Kapitel 30: Nur dich

795 22 0
                                    

Niemand wacht auf und denkt: "Meine Welt wird heute explodieren. Meine Welt wird sich verändern."
Niemand denkt das.

Ein schmerzerfülltes Stöhnen entwich meinen Lippen, als meine Augenlider flatterten. Mein Kopf schmerzte wie verrückt, als wäre er kurz davor zu explodieren. Explosion. Das war passiert. Die Munition war direkt in Dylan Youngs Händen in die Luft gegangen. Meine Augen öffneten sich. Von der Decke regneten Trümmerteile hinunter, Papierstücke. Mit aller Kraft setzte ich mich und sah an mir herunter. Hautfetzen, Blut, Haare. Und all diese Dinge waren nicht von mir. Ich fing an zu zittern. Das war vom Sprengstoffkommando übrig geblieben. Im Medizinstudium hatte ich gelernt, wie man Menschen wieder zusammensetzte. Ich wollte Chirurgin werden. Es war mein Beruf, Fetzen zusammenzusetzen. Doch solch kleine Fetzen hatte ich meiner Lebtage noch nicht gesehen. Ich versuchte aufzustehen, doch versagte jämmerlich, als ein stechender Schmerz meinen Kopf durchfuhr. Mir wurde schwarz vor Augen und ich sah nur verschwommene Figuren auf mich zukommen.

"Thompson, hören Sie mich?", durchdrang eine bekannte Stimme meine Trance. Vorsichtig nickte ich mit dem Kopf und als ich die Augen öffnete, blickte ich in Dr. Shepherds lächelndes Gesicht. Er nahm meine Hand. "Drücken Sie mal fest zu."
Schon diese kleine Bewegung sendete tausende von Schmerzimpulsen durch meinen Körper.
"Sehr schön", murmelte er.
"Die Bombe ist explodiert", murmelte ich, worauf Dr. Shepherd mich traurig anblickte.
"Ich denke nicht, dass sie mehr als eine Gehirnerschütterung haben, aber ich werde ein MRT veranlassen, um sicherzugehen, dass sie keine weiteren Verletzungen haben", sagte er, als sein Pager losging. "Ich sehe nachher noch nach Ihnen!"
Und weg war er. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in eine Sauerstoffmaske atmete, die ich mit aller Kraft aus meinem Gesicht entfernte.
"Kate", hörte ich jemanden sagen. Ich blickte zur Tür und erblickte George. "Du siehst ja schlimm aus!"
Er lief auf mich zu, ich befand mich im Traumaraum und lag auf einer Liege. George nahm meine Hand und streichelte mit dem Daumen darüber. "Ich habe mir Sorgen um dich gemacht."
"Hey, ich hab's überlebt", sagte ich leise, worauf er lachte.
"Du bist eben eine Kämpferin", sagte er und lächelte mich liebevoll an. "Dr. Shepherd sagt, ich soll dich zum OP bringen."
"OP?!", fragte ich entsetzt und krallte meine Nägel in seine Haut. "Aber davon hat Shepherd nichts gesagt!"
"Aua! Das war nur ein Scherz", erwiderte er schmunzelnd. "Wir machen nur ein MRT."
"Leck mich, O'Malley."
George brachte mich in einem Rollstuhl zum MRT. Ob Alex wohl schon von der Explosion mitbekommen hatte?
"Wie geht's dem Patienten?", hakte ich nach.
"Die Operation ist gut verlaufen", erklärte George. "Und jetzt zu dir. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Bist du lebensmüde?"
"Ich glaube nicht, dass ich gedacht habe, aber ich habe einen Eid abgelegt, dass ich Leben retten werde und das habe ich heute getan."
"Lebensmüde", sagte er, worauf ich den Kopf schüttelte.
"Ist sonst noch jemand verletzt worden?", fragte ich und zuckte leicht zusammen, als ein stechender Schmerz meinen Kopf durchfuhr.
"Naja, das Sprengstoffkommando. Keiner hat überlebt. Außer dir wurde keiner verletzt", sagte George und räusperte sich.
"Mein Schädel bringt mich um", jammerte ich und rieb meine Schläfen.
"Hoffentlich nicht", erwiderte George und öffnete die Tür. Er fuhr den Rollstuhl zum MRT und stützte mich, bis ich auf der Liege lag.
"Alles in Ordnung?" fragte George und drückte leicht meine Hand, während er mir ein ermutigendes Lächeln zuwarf.
Ich nickte kurz. "Danke, George."
"Kein Problem", sagte er. "Und nicht vergessen: Still liegen bleiben!"
"Danke, Doktor", gab ich zurück, worauf George auflachte. Wenige Sekunden später fuhr die Liege nach hinten. Jetzt wusste ich mal wie die Patienten sich im MRT fühlten. Es war beängstigend. Obwohl unser MRT offen und modern war, war es überraschend laut und ich starrte nur an den Spiegel, der in der Röhre angebracht war, um die Patienten abzulenken. Der gesamte Tag zog nochmals an meinen Augen vorbei.  Hannah, die Sanitäterin und der Patient, an dessen Name ich mich nicht erinnern konnte. Dylan Young, der Sprengstoff-Experte, dessen Leben in wenigen Sekunden explodiert war. Meine Hand an der Bombe. Meine Hand in Alex' Hand. Er hatte mir seine Liebe gestanden. Er liebte mich, obwohl er mit Izzie zusammen war. Oder hatte er es nur gesagt, weil er dachte, ich würde sterben und bräuchte letzte aufmunternde Worte. Aber das passte doch nicht zu ihm...
Da ich so in meinen Gedanken versunken war, bemerkte ich George nicht, der neben mir stand.
"Alles okay?"
"Ja, tut mir leid", erwiderte ich leise.
"Sieht alles gut aus", verkündete George. "Du hast aber trotzdem eine Gehirnerschütterung, weshalb ich dich als dein bester Freund und Arzt ein paar Tage krankschreiben muss!"
George half wir wieder in den Rollstuhl und brachte mich zu einem Krankenzimmer. "Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht. Bailey hat uns nicht zu dir gelassen. Sogar Cristina saß vor der Tür!"
Ich schmunzelte. "Wieso hast du mich eigentlich hergebracht?"
"Shepherd will, dass du noch einen Tag zur Überwachung bleibst. Nur für alle Fälle und dann darfst du nach Hause."
"Nach Hause klingt gut", murmelte ich. George stützte mich an meiner Hüfte und half mir in das Krankenbett. Er deckte mich liebevoll zu und setzte sich zu mir. "Soll ich mir freinehmen? Dann bist du die nächsten Tage nicht alleine."
"Das musst du nicht, George", sagte ich und lächelte ihn an. "Aber danke."
"Kein Problem", gab er zurück. "Brauchst du irgendwas?"
"Nein, alles in Ordnung", erwiderte ich.
"Okay, ich muss los. Shepherds post-operative Patienten warten. Falls du irgendwas brauchst, du kennst meine Pager-Nummer."
"Geh nur, George. Ich komm schon klar", versicherte ich, worauf er lächelte und davoneilte. Ich hatte ihn wirklich gern. Er war von meinem ersten Tag hier da gewesen und er war mir unglaublich wichtig geworden. Ich war so dankbar, ihn als besten Freund zu haben.

Den ganzen Tag schlief ich oder starrte die Tür an. Ich wartete auf jemanden. Vorallem auf Alex. Wie konnte er mir einfach seine Liebe gestehen, aber nicht auftauchen, um nach mir zu sehen? Nach einer Weile klopfte es an der Tür. Mein Magen verknotete sich, als ich auf die Tür starrte.
"Herein."
Statt Alex traten Meredith und Izzie in mein Zimmer. Ich lächelte sie schwach an und atmete dann tief durch.
Izzie stellte eine Box auf meinen Nebentisch. "Muffins! Damit geht es dir bestimmt bald besser."
"Du bist echt geisteskrank, Kate", sagte Meredith und lachte auf.
"Ja, niemand legt seine Hand auf eine Bombe."
"Das war einfach nur intuitiv, okay? Ich wollte das Leben des Patienten nicht gefähren."
"Hardcore", staunte Izzie, als zwei Pager losgingen.
"Okay, wir müssen los. Wir sind in der Notaufnahme, vielleicht kommen ja ein paar Schwerverletzte rein", fügte sie hinzu und schon waren beide verschwunden.
Ich schlief noch eine Weile, bis ich an einem Geräusch aufwachte. Verschlafen blickte ich zur Tür, die gerade von Alex geschlossen worden war.
Lächelnd lief er auf mein Bett zu. "Wie geht's dir?"
"Den Umständen entsprechend geht es mir bestens", erwiderte ich.
Alex strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. "Ich habe die Explosion gehört, ich dachte, dir wäre was passiert."
Ich lächelte ihn schwach an.
"Kate, was ich da vorhin im OP gesagt habe-"
"Schon okay, Alex", gab ich zurück, doch wurde wieder von ihm unterbrochen.
"Ich habe das wirklich ernst gemeint", sagte er und lächelte mich liebevoll an. Er legte seine Hand an meine Wange und kam mir näher. Ehe ich mich versah, lagen seine Lippen wieder auf meinen. Wie ich dieses Gefühl vermisst hatte.
Sanft drückte ich ihn an seiner Brust weg. "Warte, Alex. Du bist mit Izzie zusammen."
"Ich weiß, aber ich will dich."
Er streichelte mit seinem Daumen meine Wange.
"Nur dich, Kate Thompson. Nur dich."

Been Here All Along [Alex Karev | Deutsch]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt