Kapitel 9: Erste Tür rechts

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Ich wartete ungeduldig das Bild ab. Als es plötzlich da war, blieb mein Herz fast stehen. Da war tatsächlich ein Tumor. Und was für einer. Er war riesengroß. Ich wunderte mich, dass der Patient nicht schon längst gelähmt war.
Ich bat die Schwester, den Patienten zurück auf sein Zimmer zu bringen, um sofort Dr. Shepherd zu konsultieren. Er war gerade an der Theke und unterhielt sich mit einer rothaarigen Frau.
"Dr. Shepherd?", unterbrach ich die beiden.
"Dr. Thompson, da sind sie ja", sagte er, wie auch schon zuvor. "Was haben sie gefunden?"
"Ein Rückenmarkstumor. Ich meine, ein riesiger Tumor! Sehen Sie sich das an", sagte ich und zeigte ihm das Bild.
Als Dr. Shepherd bemerkte, dass ich immer wieder zu der Frau sah, stellte er sie endlich vor. "Das ist übrigens meine Frau, Dr. Montgomery-Shepherd."
"Hallo", begrüßte sie mich.
"Schön Sie kennenzulernen", erwiderte ich und widmete mich wieder dem Tumor.
"Dieser Tumor ist sehr groß... Der Größe und Lage nach zu urteilen, ist er inoperabel", sagte er und schüttelte den Kopf.
"Aber Dr. Shepherd... Dieser Mann hat eine Familie und er will an einem Marathon teilnehmen mit-"
"Okay", unterbrach er mich. "Eine OP an diesem Tumor wäre extrem riskant. Das Risiko, dass er stirbt, ist hoch. Aber wenn Sie mir bis morgen einen OP-Plan zusammengestellt haben, werde ich die OP überdenken."
"Okay", antwortete ich.
"Na dann, viel Glück!", antwortete seine Frau.
"Ich werde mein bestes geben", sagte ich und ging weg.
Ich arbeitete noch eine Stunde und begab mich in den Bereitschaftsraum. Dann betrachtete ich ständig den Tumor. Alex war auch da.
"Gibt's was Neues vom Tumor?", fragte er.
"Und wie! Er sitzt im Rückenmark und ist riesig. Shepherd meint, ihn zu entfernen, wäre ein Risiko und nicht möglich. Wenn ich ihm aber bis morgen einen OP-Plan liefere, der gut ist, wird er ihn entfernen", erklärte ich stolz. Wer hätte gedacht, dass der spektakuläre Dr. Derek Shepherd mir einen solchen Auftrag geben würde?
"Darf ich ihn mal sehen?", fragte er.
Ich zeigte ihm das Bild, worauf er nur flüsterte: "Ach du Scheiße!"
"Aber hallo!", erwiderte ich und dann wurde mir erst klar, dass ich am Arsch war. "Oh Gott. Wenn nicht mal Shepherd das hinbekommt, wie soll ich dann einen OP-Plan aufstellen?"
"Ich glaube nicht, dass er es nicht hinbekommen würde", antwortete Alex. "Er testet dich. Denk wie Shepherd. Was wäre sein erster Schritt?"
"Ich schaffe das nicht alleine. Was habe ich mir überhaupt dabei gedacht?!"
"Ich könnte dir helfen", schlug Alex vor und zuckte mit den Schultern.
"Du willst mir helfen?", fragte ich verwundert, worauf er nickte. "Ohne Haken?"
"Ist das denn so schwer zu glauben?", fragte er und schüttelte lachend den Kopf.
"Eigentlich schon. Ich meine, eigentlich mögen wir uns gar nicht", sagte ich.
"Das wird sich auch nicht ändern. Ich helfe dir nur, das ist alles."
"Okay... Wann ist deine Schicht zuende?"
"In 3 Stunden", sagte er.
"Meine auch. Dann komm doch einfach mit zu mir und wir besprechen das."
"Okay", erwiderte er.

"Komm rein", sagte ich und schloss die Tür hinter uns.
Mein Appartment war ziemlich klein, aber modern eingerichtet. Ich fühlte mich hier sehr wohl.
"Nett hast du's hier", sagte Alex und stellte seine Tasche ab.
"Danke. Willst du irgendwas? Essen, Bier,...?"
"Bier", sagte er.
Ich holte zwei Flaschen aus dem Kühlschrank und setzte mich an den Tisch. Er setzte sich. Ich holte noch einen Block und Stifte und setzte mich neben ihn.
"Okay. Was würde Shepherd tun?", fragte ich.
"Er würde ihn vom Rückenmark trennen, wie jeden Tumor... Aber dieser Tumor ist so groß, dass etwas vom Knochen zerstört wurde", sagte Alex und nahm einen Schluck von seinem Bier.
"Zuerst wird die Rückenmarkshaut geöffnet, dann wird die Verzahnung aufgesucht und der Tumor wird vom Rückenmark getrennt", sagte ich und schrieb es auf.

Öffnen der Dura mater. Verzahnung aufspüren und trennen. Tumor entfernen.

"Was, wenn diese OP nicht nur die Neuro betreffen würde?", fragte ich. "Die Orthopädie könnte einen Knochenersatz herstellen und ihn einsetzen, wo der Knochen zerstört wurde. Die Neuro verbindet dann die Nerven."
"Das könnte funktionieren...", sagte Alex. "Es wird viel Physiotherapie benötigen, aber... Es ist ein guter Plan.

Implantat einsetzen. Nerven verbinden. Verschließen.

"Was, wenn das nicht funktioniert?", fragte ich.
"Dann ist es eben so", sagte Alex und zuckte mit den Achseln.
"Dieser Mann nimmt mit seiner Tochter an einem Rennen teil und er sagte, er kann sie nicht nochmals im Stich lassen, was auch immer da schon vorgefallen ist", sagte ich und trank aus meinem Bier.
"Wenn er sie im Stich gelassen hat, ist er ein Arschloch. Wie alle Väter", erwiderte er. "Vielleicht verdient er diese tolle OP garnicht."
"Mein Vater ist kein Arschloch. Nicht jeder Vater ist ein Arschloch", verteidigte ich alle Väter, obwohl ich mich doch fragte, wieso Alex sowas sagte.
"Meiner schon."
"Was meinst du?"
"Als ich klein war...", begann er und lachte kurz auf. "Es ist egal, es interessiert sowieso keinen."
"Mich schon", erwiderte ich. "Was war?"
"Versprichst du mir, dass du niemanden von diesem Gespräch erzählst?"
Ich nickte.
"Na schön. Mein Vater war Alkoholiker und er war aggressiv. Er hat meine Mutter geschlagen, meine Geschwister, mich... Und meine Mutter und mein Bruder waren beide schizophren. Mein Bruder hat sogar versucht meine Schwester umzubringen. Damals musste ich für alle sorgen. Ich trug die Verantwortung, weil mein Vater uns hasste und uns im Stich gelassen hatte. Und ich... Ja, manchmal habe ich sogar geklaut. Nicht, weil ich es wollte... Ich musste es tun. Ich konnte meine Familie nicht im Stich lassen wie er. Dann haben meine Geschwister und ich verschiedene Pflegefamilien durchlaufen. Ich hatte 17 in fünf Jahren."
Ich war sprachlos. Vielleicht verhielt er sich deshalb so ekelhaft. Er hatte viel durchgemacht. "Was ist jetzt mit deiner Familie?"
"Wir haben nicht mehr viel Kontakt."
"Oh, Alex", sagte ich und legte meine Hand auf seine, ohne es wirklich zu realisieren. "Das tut mir unglaublich leid."
"Es ist schon okay", erwiderte er und sah mir in die Augen. "Nur weil ich dir das jetzt erzählt hab, sind wir keine Freunde, verstanden?"
"Schon klar, ich hasse dich trotzdem noch", sagte ich und kam ihm etwas näher.
"Dito", erwiderte er und fing an mich zu küssen. Es dauerte nicht lang, bis ich den Kuss erwiderte. Ich wusste nicht wirklich, warum ich ihn küsste. Es war Alex. Ich hasste ihn, er hasste mich. So war das nunmal zwischen uns.
Wir standen beide auf und unterbrachen den Kuss nicht. Alex nahm mich hoch, küsste mich und lief weiter. "Wo ist dein Schlafzimmer?"
Ich löste mich von ihm.
"Erste Tür rechts", sagte ich und wurde sofort von seinen Lippen unterbrochen.
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Hallo, ihr Lieben! Dies ist mein letztes Update im Jahr 2016. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Endlich passiert mal was zwischen Kate und Alex.
Ich esse heute mit meiner Familie Raclette und dann gehen wir um Mitternacht für das Feuerwerk raus. Wie verbringt ihr Silvester?
Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr und hoffe ihr habt einen genauso schönen Abend wie ich!


Been Here All Along [Alex Karev | Deutsch]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt