Kapitel 28: Was habe ich getan?

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Am nächsten Morgen wachte ich mit einem totalen Kater auf. Meredith war spät nach Hause gegangen und ich war alleine auf dem Sofa eingeschlafen. Wenigstens hatte es geholfen, das Gespräch mit Alex kurzzeitig zu vergessen. Stöhnend stand ich auf und ging zur Küche, um mir ein Aspirin zu holen. Ich hatte noch zwei Stunden bis meine Schicht begann, weshalb ich mir erstmal einen Liter Wasser runterschüttete und unter die Dusche ging. Ich wollte keinen schlechten Eindruck auf der Arbeit machen.
Bis dahin wusste ich jedoch nicht, dass dieser Tag mein Leben verändern würde.
Ich machte mich auf den Weg ins Krankenhaus und wurde dort von Bailey der Notaufnahme zugeteilt. Erst war ich erleichtert, Alex noch nicht begegnet zu sein, doch dann entdeckte ich auch ihn in der Notaufnahme. Sofort kümmerte ich mich um ein paar Wunden, um ihm aus dem Weg zu gehen. Ich hatte ihm praktisch meine Liebe gestanden und es war wirklich nicht meine Absicht, heute auch nur mit ihm zu reden.
Als ich ein paar Wunden genäht hatte, kamen neue Patienten rein. Eine schreiende Frau, die Alex zugeteilt wurde und ein Mann auf einer Trage, den ich mir schnappte.
"Was ist passiert?", fragte ich die braunhaarige Sanitäterin, die neben der Trage stand.
"Er hat eine starke Blutung in der Brust, vermutlich am Herzen. Wir konnten sie nicht stillen, also habe ich..." Erst jetzt sah ich, dass die Hand der Sanitäterin in seiner Brust steckte.
"Okay, wir bringen ihn in Trauma Raum 1 und bewegen Sie ihre Hand nicht,..."
"Hannah", stellte sie sich vor.
"Hannah, okay", sagte ich. "Ich bin Kate."
Ich wandte mich an eine der Schwestern. "Piepen Sie bitte Dr. Burke an, er wird in Trauma Raum 1 gebraucht."
Sie nickte und machte sich direkt an die Arbeit. Wir schoben die Trage in den Trauma-Raum.
"Hannah, sie bewegen ihre Hand nicht. Keiner bewegt diesen Patienten. Jetzt ist die Blutung gestoppt, aber jede kleinste Bewegung könnte das ändern."
"Okay", sagte Hannah und lachte. "Das ist meine erste Woche als Sanitäterin und meine Hand steckt in einer Brust."
"Was ist passiert?", fragte ich nach. "Wieso hat er das Loch in der Brust?"
"Er hat sich Zuhause in die Brust geschossen. Die Frau war total traumatisiert. Sein Freund hat ausgesagt, dass es ein Unfall gewesen wäre.
"Die Welt ist verrückt, nicht wahr?", sagte ich und zuckte mit den Achseln, als Dr. Burke reinkam.
"Guten Morgen. Was haben wir denn hier?", fragte er.
"Er hat sich bei einem Unfall Zuhause in die Brust geschossen", sagte ich.
"Das ist aber ein großes Loch", bemerkte Dr. Burke und schüttelte den Kopf. "Thompson, Sie assistieren."
Ich freute mich, da ich bis jetzt kaum Kardio-Stunden gehabt hatte, geschweige denn Operationen.
"Bringen Sie den Mann sofort in den OP. Wir müssen die Blutung sofort stoppen", sagte Burke.
"Okay, Dr. Burke."
Wir liefen zum Aufzug und fuhren runter in den OP-Saal.
"Wie kann man so bescheuert sein", sagte ich und schüttelte den Kopf. "Mit was hat er sich denn da in die Brust geschossen?"
"Keine Ahnung", erwiderte Hannah. "Ich bin einfach froh, meine Hand endlich aus ihm rauszunehmen. Das fühlt sich nicht gerade angenehm an."
"Kann ich mir vorstellen", erwiderte ich schmunzelnd. "Aber Vorfreude ist die schönste Freude."
"Wo Sie recht haben."
Der Aufzug hielt an und wir brachten den Patienten in den OP. Ich machte mich steril und begab mich dann nach drinnen.
Wenige Minuten später betrat auch Dr. Burke den Saal. "Also schön, legen wir los."
Er trat an den Tisch, überprüfte nochmals die Vitalzeichen und bat dann um das Skalpell.
Er setzte es gerade an, als sich die Tür öffnete. Alex stürmte mit Mundschutz hinein. "Dr. Burke! Es ist wichtig!"
"Karev, ich operiere!", erwiderte Burke leicht gereizt.
"Das werden Sie wissen wollen."
Dr. Burke trat seufzend vom Tisch weg und ging zu Alex, der ihm hektisch etwas zuflüsterte. Er sah mich dabei an und schüttelte den Kopf. Verwirrt sah ich ihn an. Was war nur los?
Dr. Burke nickte, sein Blick ernst, obwohl ich ihn nie wirklich fröhlich gesehen hatte. Er drehte sich langsam um.
"Okay", sagte er, als müsste er sich erst sammeln. "Hannah, bewegen Sie vorsichtig Ihre Hand. Spüren Sie etwas hartes?"
"Ich-Ich weiß nicht", stotterte Hannah.
"Bewegen Sie nicht Ihre Hand", sagte Burke, Schweißperlen standen auf seiner Stirn. "Spüren Sie etwas Hartes... wie Metall."
Hannahs Gesichtsausdruck wurde kurz nachdenklich. "Ja, ich spüre da etwas. Wie Metall."
"Okay", sagte Dr. Burke. "Dr. Thompson, kommen Sie her."
Alex war inzwischen wieder auf dem Gang und ich fragte mich, ob ich jetzt erfahren würde, was los war.
Als ich vor ihm stand, lehnte Dr. Burke sich etwas zu mir. "Gehen Sie auf den Gang, rufen Sie die Oberschwester an und sagen Sie ihr, dass wir einen Code Black haben."
"Code Black?", wiederholte ich und warf ihm einen fragenden Blick zu.
"Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass sich im Brustkorb dieses Patienten scharfe Munition befindet. Sie soll die Sprengstoffeinheit anrufen."
Ein kalter Schauder lief mir den Rücken hinunter. Seine Worte kamen erst viel später in meinem Hirn an. Wie in Trance torkelte ich aus dem OP und griff zum Telefon auf dem Gang. Dort hatten sich bereits viele Schwestern und Ärzte versammelt, die wissen wollten, was vor sich ging. Alex musste ja hergerannt sein wie ein Verrückter.
Die Schwester nahm ab. "Hallo, mein Name ist Kate Thompson. Ich bin mit Dr. Burke in OP1, mit dem Patienten James Carlson. Wir haben einen Code Black. Wir benötigen dringend die Sprengstoffeinheit."
Am anderen Ende der Leitung war ein ersetzter Seufzer zu hören. "In Ordnung."
Sie legte auf, worauf ich den Hörer weglegte. Alex stand nur wenige Meter von mir weg.
"Wie kann man so dumm sein und sich mit einer Bazooka in die Brust schießen?", fragte er und lachte, die Arme vor der Brust verschränkt.
"Keine Ahnung", gab ich zurück. Ich war zu nervös, um mit ihm zu reden. Außerdem wollte ich schon grundlegend nicht mit ihm reden.
"Kate, ich weiß, du bist sauer", sagte Alex. "Aber dafür dass du eifersüchtig bist, kann ich doch auch nichts."
Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, aber es waren zu viele Leute um uns und ich hatte keine Kraft mehr. Mein Körper war wie gelähmt.
Dr. Burke trat mit dem gesamten OP-Personal auf den Gang. "Sie müssen jetzt alle gehen. Wir brauchen niemanden im OP, der nicht unbedingt von Nöten ist."
Die Menge löste sich langsam auf, doch ich blieb da. Das war eine tolle OP und wie oft ging eine solche Bombe tatsächlich in die Luft?
"Ich werde bleiben", sagte ich selbstsicher.
"Kate, komm schon", drängte Alex.
"Sie werden ein OP-Team brauchen", sagte ich an Dr. Burke gewandt. Was Alex sagte, war mir egal.
"Na gut, ist ja deine Beerdigung", sagte Alex und lief in Richtung Aufzug davon.
"Dr. Milton macht die Anesthesie und den chirurgischen Teil bekomme ich hin", erwiderte Dr. Burke.
"Sobald die Hand und die Bombe aus seiner Brust draußen sind, wird die Blutung stark sein. Sie könnten Hilfe gebrauchen."
"Na schön", antwortete Dr. Burke. "Aber Sie warten mit den OP-Schwestern beim Aufzug. Ich will keinen in der Nähe dieses OPs sehen!"
Ich nickte und ging zum Aufzug. Alex war bereits weg. Obwohl ich mich mit hochexplosiver Munition auf einem Stockwerk befand, war es mir nicht so wirklich bewusst. Hätte ich mit gesundem Menschenverstand über die Sache nachgedacht, wäre ich Alex wahrscheinlich gefolgt.
Der Aufzug öffnete sich und ein ganzes Einsatzkommando trat auf das Stockwerk. "Wo sind sie?"
"In OP1", antwortete ich und deutete auf die Tür den Gang hinunter.
"Vielen Dank", antwortete ein schwarzhaariger Mann der Sprengstoffeinheit, kein Lächeln auf seinen Lippen. Ich konnte nicht glauben, wie man einen solch gefährlichen Job machen konnte. Andererseits musste ich doch gleich verrückt sein, immerhin hatte ich mich freiwillig für eine OP gemeldet, bei der ich in die Luft fliegen könnte. War ich denn lebensmüde? Leider hatte ich das in diesem Moment nicht gedacht.
"Hey!", hörte ich eine bekannte Stimme sagen.
"Cristina," erwiderte ich. "Du solltest garnicht hier sein."
"Burke ist hier?", fragte sie, worauf ich nickte. Schon spazierte sie los, um ihn zu finden.
Ungeduldig wartete ich auf irgendetwas. Ich konnte nicht einfach so tatenlos herumstehen, weshalb ich wieder zum OP ging. Durch das Fenster in der Tür konnte man Hannah und Dr. Milton sehen, der den Ambu-Beutel bediente.
Ich lief etwas weiter und sah durch die Jalousien Cristina, Burke und die Sprengstoffeinheit vor den Bildern der Brust des Mannes stehen. Ich betrat das Zimmer und alle Blicke fielen auf mich.
"Wie sieht's aus?", fragte ich und sah dabei Cristina an.
"Wie es aussieht?", fragte Burke. "Cristina, Kate, Sie sollten jetzt zurück zum Aufzug. Wir müssen hier einen Plan aufstellen wie wir diese Munition rausholen, ohne dass sie explodiert."
"Burke-"
"Nein, Cristina. Ihr geht."
Zögernd verließen wir beide das Zimmer und machten uns wieder auf den Weg zum Aufzug, bis Cristina mich aufhielt. "Zittert Hannah etwa?"
Cristina deutete in Richtung des OP-Saals. Hinter der Scheibe konnte man eindeutig erkennen, dass Hannahs Hand stark zitterte. Sie bediente mit der linken Hand den Ambu-Beutel, mit der rechten steckte sie im Patienten.
"Wo ist Dr. Milton?", fragte ich verwirrt und lief auf den OP zu. Vorsichtig öffnete ich die Tür, um Hannah nicht zu erschrecken.
"Hannah."
"Ich kann das nicht", murmelte sie, Tränen liefen ihre Wangen hinunter.
"Hannah, wo ist Dr. Milton?"
Sie blickte uns mit ihren rot unterlaufenen Augen an und schüttelte leicht den Kopf.
"Er ist gegangen", sagte sie und schluchzte. "Er wollte nicht sterben."
Cristina nahm ihr den Beutel ab und drückte den Sauerstoff in die Lunge das Patienten.
"Hannah, bleiben Sie ruhig", sagte ich, worauf sie lachend den Kopf schüttelte.
"Ich halte eine Bombe in meiner Hand", sagte sie. "Und ich will nicht sterben."
"Sie werden nicht sterben", erwiderte ich, obwohl ich es nicht versprechen konnte. Hoffen war die einzige Option.
"Ich muss die Hand jetzt rausziehen."
"Wir brauchen hier Hilfe!", rief Cristina.
Ich trat um den Tisch herum, neben Hannah. "Hannah-"
"Nein!", erwiderte sie. "Ich bin fertig! Ich ziehe meine Hand jetzt aus seiner Brust!"
Burke und der schwarzhaarige Mann vom Sprengstoffkommando kamen durch die Tür gerannt.
"Hannah, lassen Sie die Bombe nicht los", drängte Dr. Burke.
"Ich muss!", rief sie und ehe ich mich versah, zog sie ihre Hand heraus und rannte davon. Alle im OP warfen sich auf den Boden, um sich vor der möglichen Explosion zu schützen. Aber es gab keine Explosion. Es dauerte eine Weile, bis alle bemerkt hatten, dass nichts passiert war. Aber ich stand noch. Ich sah auf den Patienten hinunter. Meine rechte Hand konnte ich nicht sehen, denn sie hatte Hannahs Hand ersetzt. Meine Hand steckte jetzt in der Brust des Patienten. Ich spürte das harte Metall an meinen Fingerspitzen durch die Gummihandschuhe.
Langsam richtete Cristina sich auf und starrte mich an, dann meine Hand. "Kate."
"Was habe ich getan?", murmelte ich.

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Danke, dass ihr gelesen habt.
Ich habe mit einer Freundin zusammen einen zweiten Account, wo wir bald gemeinsame Geschichten veröffentlichen werden. Schaut mal vorbei! melinastory

Been Here All Along [Alex Karev | Deutsch]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt