1. Dezember

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1. Dezember 

- Life Of The Party by Shawn Mendes

Ich verharrte in meiner Position, als ich hörte, dass ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Als ich hörte wie die Tür über den Teppich, der im Flur lag, schliff, schaute ich überrascht auf meine Uhr an meinem linken Handgelenk. Es war tatsächlich schon vierzehn Uhr. Ich hatte wohl beim Putzen die Zeit aus dem Auge verloren.
Ich ließ den Staublappen, mit dem ich bis eben noch etliche Regale in unserer Wohnung ausgewischt hatte, einfach auf dem Sideboard liegen und verließ das Wohnzimmer. Das erste was mir auffiel war die weiße Plastiktüte, die an der Türklinke zur Küche hing. Shawn musste sie eben dort hingehangen haben. Shawn, der gerade seine Schuhe auszog, schaute hoch, als ich den hellerleuchteten Flur betrat.
„Hey.", sagte ich und lehnte mich neben den Türrahmen. Lächelnd sah ich zu, wie er versuchte den Knoten seiner Schnürsenkel zu öffnen.
„Hallo.", meinte er gereizt, als er nun noch einen zusätzlichen Knoten verursacht hatte, weil er ungeduldig an den Enden gezogen hatte und so eine lose Schlaufe zugezogen hatte. Schlussendlich gab er es auf und streifte sich den Schuh so vom Fuß.
Shawn kam zu mir und legte seine großen Hände auf meine Hüfte.
„Du hast kalte Hände.", stellte ich fest und legte meine auf seine Handrücken.
„Ich weiß, draußen herrschen ja auch Minusgrade.", sagte er schmunzelnd und lehnte seine Stirn an meine. „Was hast du heute gemacht?", fragte er und nahm seine linke Hand nun von meiner Seite, um sie mir in den Nacken zu legen. Sofort bildete sich eine Gänsehaut.
„Ich habe die Zeit genutzt, in der du in der Uni warst, um hier ein bisschen Ordnung zu schaffen."
„Sehr gut, dafür habe ich dir auch was mitgebracht.", meinte er und schaute in Richtung Küchentür. „Ich hoffe, die Nummer dreizehn vom Chinesen ist dir recht."
„DU bist der Beste!", meinte ich freudestrahlend. Seit unserem zweiten Date bestellte ich mir bei unserem Chinesen immer die Nummer dreizehn. Ich hatte noch nie etwas anderes bestellt und die Kellnerin, die Shawn und mich mittlerweile schon kannte, fragte schon gar nicht mehr, was ich bestellen wollte.

„Ich weiß, dass ich der Beste bin.", meinte er selbstsicher und drückte mir einen Kuss auf die Nasenspitze. „Packst du das Essen aus und ich ziehe mich schnell um?", schlug er vor.
„Klar."

Ich wendete mich von Shawn ab und machte mich auf den Weg in die Küche. Ich nahm die Plastiktüte vom Türgriff und stellte sie auf die Anrichte. Aus dem darüber hängenden Schrank entnahm ich zwei Teller und füllte dann den Reis aus den Plastikschalen um. Wie immer lief in der Küche das Radio und so summte ich automatisch bei dem Lied, das gerade lief, mit. Die Teller stellte ich auf den Esstisch und legte zwei Gabeln daneben.
Vor wenigen Wochen hatte Shawn ein Weinregal neben dem Kühlschrank angebracht, vor welchem ich jetzt stand. Ich hatte keine Ahnung, welche Weinsorte zu einer chinesischen Reispfanne passte, daher entschied ich mich einfach für einen Weißwein. Aus der gläsernen Vitrine, die gleich neben der Tür stand, holte ich zwei Weingläser und füllte diese. Ich war bei dieser Sache wohl eine Perfektionistin, denn ich achtete stets darauf, dass in jedem Glas auf den Millimeter genau gleich viel war.
„Rechts ist zu viel drin.", wies mich Shawn hin und erschreckte mich. Er stand ganz dicht hinter mir und schaute mir über die Schulter. Ich vergoss etwas Wein und drehte mich gleich zu ihm um, damit ich ihn böse anschauen konnte.
„Du bist –.'', fing ich an, doch wurde von weichen Lippen unterbrochen, die sich urplötzlich an meine schmiegten. Zärtlich bewegten sie sich gegen meine und ließen nicht zu, dass ich noch ein Wort verlor. Sie zogen meine ganze Aufmerksamkeit auf sich, sodass ich an gar nichts anderes mehr denken konnte. Als ich meine Lippen einen Spalt voneinander trennte, spürte ich wie Shawns Zunge sich langsam vorschob. Ich legte meine Hände auf seine breiten Oberarme und stellte mich auf Zehenspitzen, damit er sich nicht weiter herunterbeugen musste. Ich konnte das Verlangen nach seiner Süße nicht stoppen und drängte ihm zu einem wilden Kuss, doch er hatte andere Pläne.
„Du musst den Wein noch weg wischen und dann sollten wir essen, sonst wird der Reis kalt."
Ich konnte nicht anders, als ihn entsetzt anzusehen.
„Ist das dein Ernst?"
„Ja und mein Geld, was gerade in flüssiger Form den Küchenschrank herunterfließt und gleich eine Pfütze auf den Fliesen bildet auch.", gab er zurück und grinste mich süffisant an.
Genervt drehte ich mich wieder um und nahm den Lappen aus der Spüle, um den Wein aufzuwischen. Shawn trug inzwischen den Wein zum Tisch, mit der Begründung, dass er Angst hätte, dass ich die Gläser umstoße und noch mehr verschüttete. Das alles mit einem Lächeln.
Ich setzte mich schließlich zu ihm an den Tisch und nahm meine Gabel in die Hand. Gegenseitig wünschten wir uns einen guten Appetit und ich fing an mir mein Lieblingsgericht in den Mund zu stopfen. Es war einfach köstlich.

Als wir beide uns mit leeren Tellern gegenüber saßen, beschloss ich, ihn zu bestrafen. Ich würde mich für seine Aktion von vorhin rächen. Die Rolle der beleidigten Leberwurst beherrschte ich einwandfrei.
Ich nahm unsere Teller und räumte sie in die Spülmaschine, ohne ihn auch nur einmal anzusehen. Der gute Herr bekam heute keinen Funken Aufmerksamkeit mehr. Sollte er sehen, wie er den Abend überlebte.
Doch gerade als ich das Besteck einsortieren wollte, hielt mich Shawn zurück.
„Lass mich das machen. Du hast heute schon genug im Haushalt gemacht. Ich finde dafür, hast du dir eine Überraschung verdient oder?"
Erstaunt sah ich ihn an. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Das war es jetzt auch mit meinem Vorhaben. Er hatte wiedermal meine volle Aufmerksamkeit. Für Überraschungen war ich immer zu haben. Meine Gedanken wanderten zu dem Kuss und zu dem was hätte daraus werden können. Vielleicht wollte Shawn dort nochmal ansetzen und es weiterführen? Ich würde es nicht ablehnen, denn schon viel zu lange hatte ich auf seinen Körper verzichten müssen. Die letzte Woche hatte er durchgängig in der Uni gehockt oder Zuhause gelernt, weil er gestern eine Prüfung geschrieben hatte und den heutigen Tag hatte er auch wieder in der Uni verbracht.
„Deinen verträumten Blick nach zu urteilen, hast du keine jugendfreien Gedanken und erhoffst dir etwas anderes, aber ich hoffe, dir gefällt er trotzdem.", meinte Shawn unsicher und hielt mir eine große Geschenktüte hin. Auf ihr war eine Winterlandschaft abgebildet. Es erinnerte mich an meine Kindheit. Ich wohnte in einem kleinem Dorf weit außerhalb von Toronto und konnte jeden Winter rodeln gehen.
Ich nahm Shawn die Tüte ab und stellte sie auf meinen Stuhl. Als ich hineinschaute, sah ich bloß einen Holzkasten, den ich neugierig herausnahm.
Er war etwa so hoch wie die Mikrowelle und so breit wie unsere kleine Kaffeemaschine, doch es war keineswegs ein elketronisches Gerät. Der Holzkasten hatte 24 kleine Schubladen, die durchnummeriert waren. Erst als ich den Weihnachtskalender in den Händen hielt, fiel mir ein, dass heute der erste Dezember war.
Ich fuhr lächelnd mit meinen Fingerspitzen über die bedruckte Papierschicht, die wohl draufgeklebt wurde. Es war ein Bild von Shawn und mir, wie wir letzten Winter durch die Innenstadt spaziert sind. Ich weiß noch, wie seine Mum angefangen hat zu kichern, als sie von uns das Bild gemacht hat.

„Danke, Babes.", meinte ich, stellte den Kalender zur Seite und drückte Shawn einen Kuss auf die Wange,
„Willst du das erste Käschen nicht aufmachen?", fragte er enttäuscht.
„Doch natürlich, aber ich wollte dir erstmal danken. Wer weiß, was da drin ist. Vielleicht kann ich dir nach dem Öffnen gar nicht mehr danken.", sagte ich, um ihn zu necken. Dann lehnte ich mich zu den Kalender und suchte die eins. Oben rechts fand ich sie und so zog ich die Schublade heraus. Ihr Inhalt war ein kleiner Stick. Ich nahm ihn in die Hand und schaute Shawn erstaunt an.
„Ist er unbenutzt und hast du da schon was drauf gemacht?"
„Sieh doch nach. Steck ihn doch einfach in deinen Laptop.", bat er mich. Ich tat wie mir befohlen und lief mit meinem Freund im Schlepptau ins Büro. Dort fuhr ich meinen Laptop hoch und steckte dann den USB-Stick in den dafür vorgesehenen Anschluss. Nachdem ich ein paar Tasten gedrückt hatte, hörte ich sanfte Klavierklänge und kurz danach setzte eine mir bekannte Stimme ein.
„Bist das du?", fragte ich überrascht nach. Vor Rührung rollten mir einige Tränen über die Wangen. Von Shawn bekam ich ein unsicheres Nicken. „Es ist wunderschön.", ließ ich Shawn wissen und wischte mir die Tränen weg. Ich wusste schon vorher, dass Shawn wunderschön singen konnte und es auch gerne tat, doch mir wurde erst jetzt richtig bewusst, wie viel ihm die Musik eigentlich bedeutete. Seine Stimme war ruhig, klar und passte zu dem Lied. Ich hatte es noch nie zuvor gehört. „Wie heißt es?"
„Life of the Party. Gefällt es dir?"
„Babes, es ist wunderschön! Hast du es selbst geschrieben?", erkundigte ich mich. Wieder nickte Shawn und schloss mich in seine Arme. Mein Ohr lag auf der Höhe seines Herzen. Es schlug für mich. Es schlug für die Musik. Es schlug für seine Leidenschaft sein Leben zu leben.
„Natürlich. Ich habe es für dich geschrieben, weil ich dich liebe. Ich habe jedes der 24 Lieder für dich geschrieben und jeden Tag darfst du ein neues hören. Nur du, weil sie alle für dich sind."
„Oh, Shawn, ich liebe dich.", sagte ich und hob meinen Kopf. Als ich in seine braunen Augen sah, bemerkte ich auch eine Träne, die seinen Augenwinkel verließ.
Ich war so stolz auf ihn.

Shawnmas - der Weihnachtskalender 2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt