4. Dezember

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4. Dezember

- Bad Things 

Draußen herrschten eisige Temperaturen. Schnee fiel vom Himmel und die Leute rannten gut verpackt in dicken Jacken, Mützen, Schals und Handschuhen, so wie warmen Stiefeln durch die Straßen Manhattans. So auch ich. Ich war gerade auf dem Heimweg von der Uni und musste nun das kurze Stückchen zwischen der U-Bahn Station und dem Haus meiner Eltern zurücklegen. Der Wind wehte kräftig, sodass mir meine langen Haare in mein Gesicht peitschten. Es war sinnlos, sie zurückzuhalten. Immer wieder spürte ich Strähnen, die mir die Sicht versperrten, weil sie mir vor die Augen schlugen. Ich mochte den Winter, den Schnee und all das was dazu gehörte, doch heute wünschte ich mir nichts mehr, als einen heißen Sommertag in der Karibik verbringen zu können. Stattdessen erlebte ich heute den Tag eines Studenten: Stress, Stress und Kaffee. Ich hatte heute noch nichts gegessen und dementsprechend Hunger, doch dafür die doppelte Ration Kaffee konsumiert als sonst. An jedem Kaffeeautomat, an dem ich vorrüberging, hielt ich und füllte mir einen Becher mit dem koffeinhaltigen Getränk ab. Auch jetzt hatte ich das Verlangen nach solch einem Becher. Manch einer würde mich wohl als süchtig beschreiben, doch jetzt wollte ich nur einen, um meine Hände zu wärmen mit der Wärme, die er abgab. Doch dazu musste ich erst einmal nach Hause kommen.

So lief ich schnellen Schrittes in Richtung meines Elternhauses. Ich wohnte dort noch, weil ich aufgrund meines Studiums mir noch nichts eigenes leisten konnte. Jedoch waren meine Eltern für die nächsten zwei Wochen in Jamaika im Urlaub. Ich wollte nicht mehr mit ihnen fliegen und so mussten sie sich an keine Schulferien halten. Doch es war nicht so, dass ich diese vierzehn Tage ohne ihre Anwesenheit verbringen musste. Sie hatten Betty, unseren fünfjährigen Jack Russell Terrier, hier in New York gelassen. So war ich nicht allein und er musste in keine Pension.
Als ich endlich in unserer Straße angekommen war, suchte ich meinen Hausschlüssel aus meinem Rucksack. Als ich ihn gefunden hatte, stand ich schon vor der Haustür des kleinen Stadthauses, in dem ich seit meiner Kindheit wohnte. Es hatte zwei Etagen, einen Garten an der Rückseite des Hauses und einen Keller. Die Fassade hatten wir letztes Jahr erneuern lassen. Von dem hellen blau war nichts mehr zu sehen, jetzt strahlte das Haus in einem freundlichen gelb. 

Als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, hörte ich wie die kleinen Pfoten von Betty an der Tür entlang kratzten. Ich öffnete die Tür und wurde von der Hündin freudig begrüßt. Schwanzwedelnd stand sie vor mir und schaute hoch. Doch leider versperrte sie mir den Weg und ließ mich nicht herein. „Betty, geh von der Tür weg.", meinte ich schmunzelnd. „Es ist kalt draußen." „Komm her, Betty. Lass dein Frauchen rein.", meinte eine Stimme, von der ich gedacht habe sie nie wieder zu hören. Ich war starr vor Schock. Wie konnte das sein? Was machte er hier und wie kam er hier rein? Was wollte er nach über drei Jahren von mir? „Shawn?", traute ich mich schließlich doch zu fragen. „Überrascht mich zu sehen?", fragte die ungewohnt tiefe Stimme belustigt nach. Betty schaute nun abwechselnd immer zwischen uns her. Sie wusste, dass hier etwas nicht stimmte, doch es wunderte mich nicht, dass sie mich nicht vor Shawn beschützte. Sie kannte ihn einfach immer noch. Damals hatte sie ihn so sehr geliebt wie ich. Anscheinend ist ihre Liebe aber nicht vergänglich. 

„Was machst du hier und wie zum Teufel kommst du hier rein?", meinte ich wütend, als mir wieder in den Sinn kam, wie unser letztes Wiedersehen stattgefunden hatte.
„Hat dir etwa niemand gesagt, dass man seinen Ersatzschlüssel nach jedem Ex woanders verstecken soll? Er lag immer unter dem Stein am Briefkasten.", meinte er lässig und kam auf mich zu. Er lief am Lichtschalter vorbei und drückte drauf. Innerhalb eines Augenblicks war der Eingangsbereich beleuchtet. Und ich stand immer noch in der Tür.
Shawn, den ich nun richtig sehen konnte, hatte sich nicht großartig verändert. Seine Gesichtszüge haben sich ausgeprägt und sind nicht mehr so weich, auch seine Haare sind ein bisschen länger. Seine Schultern sind etwas breiter, doch sonst sah ich keine Unterschiede. Er ist vom Teenager zum jungen Mann geworden. Vom hübschen Schuljungen zum attraktiven Student. Davon ging ich aus, denn nur wegen seinem Studium, welches er in Toronto machen wollte, weil er dort geboren wurde, hatten wir uns getrennt. Wenn ich jetzt erfahren würde, dass er es abgebrochen hatte, wüsste ich wahrhaftig nicht, wie ich reagieren würde.

„Was machst du hier? Müsstest du nicht irgendwo in Kanada sitzen und über ein paar Medizinbüchern hocken?", meinte ich schnippisch. Währenddessen stieg ich nun über Betty, die sich immer noch nicht vom Fleck bewegt hatte, und schloss hinter mir die Haustür. In den letzten Minuten ist ein großer Schwall kalte Luft eingedrungen. Es war ziemlich kalt. „Wir haben einen Ausflug und daher, dass ich heute Morgen schon schnell im Krankenhaus war, habe ich die nächsten zwei Tage Zeit. Für dich. Und Mich. Und Betty. Wo sind eigentlich deine Eltern? Ich hatte richtig Glück, dass sie nicht da sind, sonst hätte ich mir womöglich eine schlechte Ausrede einfallen lassen müssen." „Sie sind in Jamaika. Aber was willst du hier, Shawn?", fragte ich ihn und zog mir meinen Mantel aus. „Das habe ich dir eben schon gesagt: Ich will Zeit mit dir verbringen. Wir haben uns die letzten drei Jahre nicht gesehen, lass uns die Zeit aufholen. Du kannst mir nicht erzählen, dass du mich nicht vermisst hast!", sagte Shawn selbstsicher und blieb nur wenige Schritte von mir entfernt stehen. Sein Geruch war der gleiche wie damals. Noch immer wirkte er anziehend auf mich. „Ich habe dir mindestens genauso sehr gefehlt wie du mir, weil du mich nicht weniger, als ich dich geliebt hast. Und egal wie sehr sich dein Gesicht vor Zorn verzehrt, wir wissen beide, dass es einen Teil deines Herzens gibt, der sich freut mich zu sehen. Der sich nach mir sehnt. Du bist nicht die Einzige, der es so geht. Mir geht es auch so, also gib es zu und lass uns diese wenigen Stunden genießen.", meinte er leise und kam mir näher. 

Shawn war etwa einen halben Kopf größer als ich und ich konnte nicht anders, als jetzt den Kopf zu heben und ihm so direkt in die Augen zu sehen. In seine braungrünen leuchtenden Augen, deren Anblick ich unbewusst seit Jahren vermisst hatte. „Lass uns uns wenige Stunden lieben. Lass uns so tun, als ob ich die letzten Jahren nicht weg gewesen wäre.", schlug er vor. Ich wollte mit dem Kopf schütteln, doch zuerst atmete ich tief ein - und das war mein Fehler. Der herbe und doch gut riechende Duft vernebelte meinen Verstand voll und ganz. Ich wollte Shawn sagen, was ich davon hielt. Ihm eine Standpauke halten, doch alles, was mein Verstand zuließ, war, dass ich meine Hände in seinen Nacken legte, ihn so ein Stück zu mir runter zog, bis unsere Lippen aufeinander lagen und ich sie vereint hatte. Auch sie hatten sich kein Stückchen weit verändert. Sie waren noch immer so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Noch immer waren sie das Gegenstück zu meinen. Wir pressten unsere Münder gegeneinander. Wir wussten, dass wir nicht viel Zeit hatten, bis ich wieder klar bei Sinnen war. Also bewegten unsere Lippen sich stürmisch und ich drängte Shawn nach hinten. Weg von der Tür, damit er mich nicht dagegen drücken konnte und ich ihm schutzlos ausgeliefert war. Ich wollte die Macht haben und wann immer ich wollte aufhören können. Wir befanden uns schließlich in meinem Zuhause.

So standen wir leidenschaftlich küssend mitten im Flur. Seine Hände an meiner Hüfte ; meine geschlungen um seinen Hals.
„Lass uns hochgehen.", brachte ich unter schweren Atem heraus, als ich mich von ihm gelöst hatte und nickte in Richtung Treppe. Shawn brummelte irgendetwas unverständliches, ließ sich jedoch von mir mitziehen.

Shawnmas - der Weihnachtskalender 2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt