Kurz vor dem Ziel

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"Genau. Immerhin können Erinnerungen doch nicht so einfach verschwinden, oder?"
Der Professor wurde still und blickt nachdenklich nach vorne.
"Nein, eigentlich können sie das nicht."

Wieder erinnerte ich mich an meine Kindheit mit dem Professor.
Diese ganze Gespenstersache war mir nur wieder eingefallen, weil der Professor und Luke sich über Gespenster unterhalten haben.
Heute glaube ich auch noch an Gespenster. Und heute weiß ich auch, dass sie ziemlich Egoistisch sind.
Denn, was auch immer mir damals vor meinem Aufenthalt im Krankenhaus passiert ist, ich konnte mich nicht daran erinnern.
Geister scheinen es zu mögen, Erinnerungen fremder Leute an sich zu nehmen und zu behalten.

"Sieht aus, als hätten wir unser Ziel fast erreicht.", sage ich, als wir wieder aus dem Wald kommen.
Allerdings sah die Gegend hier nicht wirklich ansprechend aus.
Die Häuser waren ziemlich heruntergekommen und an den Wegesrändern stappeln sich alte Regenschirme, kaputte Autoreifen und sonstiger Krimskrams.
Mein Blick bleibt an einem Haus hängen, welches eingestürzt ist. Trümmerteile lagen herum und das Glas eines Fenster war in tausende Teile zersprungen, sodass ein zerstörter Fensterrahmen alles war, was von dem Fenster übrig geblieben ist.
Ohne jegliche Vorwarnung blitzt für einen Bruchteil einer Sekunde ein Bild vor meinem inneren Auge auf: ein Wohnblock in dem mehrere Häuser beschädigt sind, eines ist komplett zerstört und schwarzer Rauch steigt auf.
Ich schüttele meinen Kopf und das Bild somit aus meinen Erinnerungen raus.
Was zum Teufel war das denn?

Ohne ein Wort darüber zu verlieren bin ich mit dem Professor und Luke den Weg gefolgt, welcher uns aus dem zerstörten Viertel wegführt und unsere Reise vor einem riesigen und gut gesichertem Stahltor vorerst zu enden schien.
"Die Herrn dort vor dem Tor sehen nicht so aus, als würden sie uns durchlassen.", sage ich, als ich zwei Männer erkenne. Der eine groß und breitschultrig während der andere klein und etwas dicklich war.
Irgendwie erinnern mich die beiden an Inspektor Chelmey und den Polizisten Barton, der immer in der Nähe des Inspektors war.
"Ich werde mein Glück versuchen.", sagt der Professor und geht auch schon auf die beiden zu.
Doch kaum hat der Professor sie erreicht, tritt er auch schon den Rückzug an.
Wieder einmal seuftze ich. Konnten wir hier, im zukünftigen London, nicht einfach mal ein bisschen Glück haben?
"Über was denken sie gerade nach, Professor?", fragt Luke.
"Erinnern dich diese beiden Schläger nicht an irgendjemanden, Luke?", antwortet Layton mit einer Gegenfrage.
Luke schien verwirrt und wusste nicht, an wen ihn diese Grobiane denn erinnern sollten. Doch schließlich scheint auch ihm diese eine gewisse Ähnlichkeit aufgefallen zu sein.
"Sie meinen Inspektor Chelmey und Wachtmeister Barton, des Inspektors Gehilfe, nicht wahr?"
"Absolut. Die Parallelen sind nicht zu übersehen, oder?"
"Das sollten wir dem Inspektor wohl besser nicht sagen..."
Keiner außer Barton und mir wusste, wie sehr der Inspektor aus der Haut fahren konnte.

Nach einer kurzen Unterhaltung schien der Professor zurück in die Vergangenheit zu wollen, um mit Chelmey persönlich zu sprechen.
"Professor, da sind Sie ja!"
Hinter uns kam der ältere Luke angelaufen.
Augenblicklich bekomme ich Kopfschmerzen. Wann werde ich ihn ansehen können, ohne das Gefühl zu haben, dass mir gleich der Kopf platzt?
"Oh! Hallo, Luke.", begrüßt Luke sein älteres Abbild.
"Ich konnte nicht überhören, was Sie gerade sagten. Sie wollen also zurück in die Vergangenheit und mit dem Inspektor reden, hab ich recht?", kommt der ältere Luke gleich auf den Punkt.
"Ich hätte gern direkt nach dem Vorfall mit ihm gesprochen, aber... nun ja..."
"Ich glaube, das ist möglich.", sagt der ältere Luke.
Der jüngere Luke sprach meine Gedanken direkt aus: "Was? Aber wie denn?"
"Wir sollten unser Gespräch fortsetzen, wo keine neugierigen Ohren in der Nähe sind.", der ältere Luke scheint kurz zu überlegen ,"Wieso gehen wir nicht in das kleine Wäldchen im Westen?"

"Schon viel besser. Hier wird uns sicherlich niemand belauschen.", der ältere Luke schien, Angesichts der Tatsache, zufrieden zu sein.
"Du sagtest gerade, es gäbe einen Weg, in unserer Zeit mit dem Inspektor zu sprechen?", fragt der Professor, "Soll das heißen, dass es irgendwie möglich ist, uns in unsere Zeit zurückzuschicken?"
"So ist es, Professor. Allerdings müssen Sie dafür das Wurmloch im Uhrenladen verwenden.", bestätigt und erklärt der ältere Luke die Situation.
"Aber die Tür ist fest verriegelt. Wie sollen wir in das Geschäft kommen?", wendet der kleine Luke ein.
Berechtigte Frage, immerhin hatten uns die Besitzer des Uhrenladens ausgesperrt.
"Das sollte kein Problem darstellen. Ich werde euch die Tür öffnen.", antwortet der ältere Luke gelassen.
"Merkwürdig... Wieso hast du Zugang zu so einem wichtigen Ort?", fragt der Professor interessiert.
"Ich verspreche, dass ich Ihnen vor Ort alles erklären werde. Bitte vertrauen Sie mir bis dahin.", lächelt der ältere Luke, "Lassen Sie uns also zuerst zum Uhrengeschäft in der Midland Road zurückkehren."
"Und was wird aus unseren Plänen in Chinatown?", fragt der kleine Luke.
"Die werden wir aufschieben müssen. Die Lage hat sich geändert.", beantwortet sein älteres Ebenbild die Frage.
"Außerdem wird das Tor nach Chinatown im Moment sowieso überwacht.", lächele ich den kleinen Rätselmeister an.
"Ja, stimmt."

"Cheryl, Tagträumst du schon wieder?", reißt mich die Stimme des jüngeren Luke aus meinen Gedanken. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie sind meine Gedanken zu dem Traum gewandert, aus welchem ich heute morgen aufgewacht bin, bevor wir nach Baldwin gefahren waren.
Besonders schien sich meine Erinnerung an dem Anfang des Traums festgebissen zu haben, als jemand sagte, ich solle Vorsichtig sein, wenn ich nach Hause gehe.
Und wieder blitzte für einen Sekundenbruchteil ein Bild vor mir auf: ein Junge, der mich breit anlächelt.
Ich schüttele wieder leicht den Kopf und somit das Bild weg.
Doch es hatte sich in mein Gehirn gebrannt, das Bild des Jungen.
Ich konnte ihn nicht ganz erkennen, dafür war sein Gesicht zu verschwommen. Aber es fühlte sich vertraut an, auch wenn ich es nicht ganz erkennen konnte.
"Cheryl?", die Stimme des kleinen Luke schien ungeduldiger zu werden.
"Wie bitte?"
"Der Professor hat dich was gefragt!"
"A-Achso...?", ich sehe den Professor an, welcher neben mir läuft.
"Wie geht es dir?", ein besorgter Ausdruck liegt auf dem Gesicht des Professors.
"Alles in Ordnung. Nur leichte Kopfschmerzen.", sage ich wahrheitsgemäß.
Tatsächlich waren die Kopfschmerzen abgeklungen, seit ich das Bild des Jungen gesehen habe. Als hätte irgendetwas in mir nur darauf gewartet, dass ich mich an jenen Jungen erinnere. Auch wenn ich nicht wusste, wer er war und woher ich ihn kannte.
"Das sind aber hartneckige Kopfschmerzen.", sagt der ältere Luke und ich sehe ihn an.
"Ja, in der Tat."
"Du hattest ja schon welche, seit wir im Kasino gewesen sind.", der ältere Luke scheint etwas besorgt zu sein, doch dies versteckt er gut hinter einem dezenten Lächeln.
"Heute ist auch viel passiert. Ich denke, morgen wird es besser sein.", ich wusste nicht, ob ich mit diesen Worten den Professor und die beiden Luke's oder mich beruhigen wollte.
Wir überqueren gerade die Eisenbrücke und ich bin mir sicher, dass ich meine Frage nicht länger zurückhalten könnte.
Ich wende mich an den älteren Luke, "Sag mal...", der ältere Luke sieht mich an, "sind wir uns schonmal irgendwo begegnet?"

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_Sylfaen_

Zerbrochene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt