Vergiss mein nicht

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Heute  war für die Castillos ein bedeutsamer Tag, vor allem für Angie. Sie hoffte fest, dass dieser Tag der erste Schritt in ihren neuen Lebensabschnitt werden würde.

"Julieta hat was?", fragte Germán, zu überrumpelt, um die Information verarbeiten zu können. "Sie hat gefragt, ob wir eine Art Beerdigung für das Baby, den Embryo... - ich weiß noch immer nicht so richtig, wie wir es nennen sollen - machen können." Angie schaute zur anderen Hälfte des Bettes. Ihr Ehemann runzelte gerade zweifelnd die Stirn: "Glaubst du denn, du bist bereit dafür? Loszulassen?"

Die Blonde atmete tief ein und aus. Seitdem Julieta ihr diese Frage am Nachmittag gestellt hatte, bekam sie sie nicht mehr aus dem Kopf. Eine Beerdigung, ein Akt des Abschieds; die Idee klang gut, doch der Einwand ihres Mannes war berechtigt. Fühlte sie sich dafür wirklich schon bereit oder würde sie das emotional noch nicht verkraften? In ihrem Innern hatte sie auf diese Frage allerdings schon den ganzen Tag über nur die eine Antwort: "Ja. Ja, ich fühle mich bereit." Ihr Herz hatte sich längst entschieden und die Überzeugung in ihrer Stimme schien auch Germán zu beschwichtigen.

"Natürlich wird das nicht ganz einfach, aber mir gefällt die Idee wirklich sehr. Ich stelle mir dabei auch keine Beerdigung im üblichen Sinne vor. Ich denke eher an eine kleine Zeremonie in unserem Garten im engsten Familienkreis." Germán nickte zustimmend: "Ja, das klingt gut! Das wird eine schöne Geste, die uns allen guttun wird."

Eine gute Woche später, es war Sonntag, setzte die kleine Familie ihr Vorhaben nun in die Tat um.

Angie stand vor dem Spiegel, begutachtete sich ein letztes Mal. Germán und sie hatten in ihren Vorbereitungen an alles gedacht: Jeder hatte sich schick gemacht, trug Kleid oder Anzug, um die Bedeutsamkeit und Ernsthaftigkeit dieses Ereignisses zu untermalen. Entgegen einer normalen Beerdigung hatte Angie aber kein schwarzes Trauerkleid an. Nein, sie trug ein rosarotes in einem cremefarbenen Ton. Es erinnerte sie ein wenig an das Kleid von damals, welches sie getragen hatte, als Germán sie in der Küche geküsst hatte.

Die blonde Frau lächelte sich im Spiegel zaghaft an. Der heutige Tag sollte ihr genauso gut in Erinnerung bleiben wie dieser erste richtige Kuss mit ihrem Ehemann.

Als hätte dieser ihre Gedanken gehört, klopfte es plötzlich an der ohnehin offenstehenden Tür und Germán trat zu ihr. "Du siehst wunderschön aus.", bewunderte er mit funkelnden Augen und nahm seine Frau in den Arm. "Das kann ich nur zurückgeben.", flüsterte Angie, während sie sich näher an ihn schmiegte. Sie legte den Kopf auf seiner Schulter ab und atmete Germáns so vertrauten Duft ein. Ein wohliges Gefühl umhüllte sie augenblicklich.

Germán trug einen Anzug in marineblauer Farbe, der seinen muskulösen Körper perfekt umschmeichelte. Es sollte kein Fest der Trauer werden. Ein Abschied ja, aber gleichzeitig auch ein Neubeginn und deshalb hatten sie sich für einen Dresscode in bunter Farbe entschieden. Hoffnung und Liebe sollten diesen Tag bestimmen.

"Bist du bereit?" Germán hauchte der Kleineren einen liebevollen Kuss auf die Stirn, bevor diese sich langsam von ihm löste. "Mit dir immer.", lächelte Angie und ergriff zuversichtlich die Hand ihres Mannes.

Gemeinsam liefen sie die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, wo Violetta mit Julieta auf ihrem Schoß bereits auf dem Sofa wartete. Auch diese beiden unterstrichen das farbenfrohe Motto mit ihren bunten Kleidern. "Ihr beide seht wunderhübsch aus.", staunte Angie sofort, obwohl sie selbst es war, die ihrer Tochter das süße Kleidchen angezogen hatte.

Während sie ihr kleines Mädchen auf den Arm nahm, kamen Ramallo und Olga zusammen mit der gerade eingetroffenen Angélica aus der Küche zu ihnen gelaufen und jeder, selbst Jul, wurde mit einem Mal etwas ernster. Es ging los.


Die sieben Personen versammelten sich beim großen Blumenbeet im Garten. Germán und Angie hatten in unmittelbarer Nähe des Beets vor wenigen Stunden ein kleines, aber tiefes Loch gegraben, welches nun den Mittelpunkt des Geschehens darstellte.

Die Atmosphäre hatte sich hier draußen nochmals verändert. Es war eine fast meditative Ruhe eingekehrt und zunächst wagte es niemand, diese zu unterbrechen. Jeder war in seinen eigenen Gedanken und Empfindungen vertieft. Dann lieferte Angie das Startsignal, indem sie den Kopf zu ihrem Schwager wandte, der sofort einen intensiven Blickkontakt entstehen ließ. Sie brauchten keine Worte mehr, um sich zu verständigen. Germán drückte ihre Hand noch leicht, bevor die blonde Frau losließ und sich mit Julieta im Arm neben das kleine Loch stellte.

Das blonde Mädchen war mucksmäuschenstill und sah ihre Mutter aus großen, interessierten Augen an. Sie hatte zuvor von ihren Eltern die anstehende Zeremonie genauestens erklärt bekommen und Angie konnte Jul ebenso ansehen, wie wichtig sie dieses Ereignis nahm.

Die blonde Frau räusperte sich leicht: "Hi, i-ich möchte euch erstmal... ähm für euer Kommen danken, das bedeutet Germán und mir sehr viel." Ihre Stimme klang leise und noch etwas unsicher, doch Angélica nickte ihrer Tochter ermutigend zu. "Wir möchten heute eine kleine Abschiedszeremonie feiern. Ein kleiner Akt, um unserem ungeborenen Kind zu gedenken und der uns helfen soll, das Geschehene zu verarbeiten." Angie stoppte, ihre Augen wurden zwar feucht, dennoch hatte sie ihre Gefühle gut im Griff. Sie taten das Richtige!

Germán trat nun ebenfalls nach vorne zu seiner Frau. Diese stellte Julieta vorsichtig auf den Boden und Germán gab den beiden jeweils einen Gegenstand in die Hand, den die drei nacheinander in das kleine Loch legen würden. Jul machte den Anfang und tapste mit kleinen, schnellen Schritten auf das Loch zu: "Damit du im Himmel etwas zu spielen hast!", rief sie mit ihrer piepsigen Stimme, gab dem kleinen Plüschteddybär einen Kuss auf die Wange und schmiss ihn lächelnd in die Grube.

Angie konnte bei diesem Anblick nicht verhindern, dass ihr eine Träne die Wange hinunterlief. Auch Germán zitterte verdächtig, als er seine Tochter ablöste und an ihre Stelle trat. Er blickte auf seine geöffnete Hand und flüsterte mit rauer Stimme: "Ich hoffe, du bist jetzt an einem besseren Ort. Vielleicht tust du dich ja mit María zusammen. Grüß sie ganz lieb von mir, falls du sie siehst. Wir werden dich niemals vergessen, mein kleiner Engel." Germán musste ein paar Mal tief durchatmen, bevor er wieder aufsah und den Schnuller aus seiner Hand zu dem Teddy legte.

Als Angie ihn nun ablösen wollte, wurde sie von dem großen Mann fest umarmt. Sie hauchte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wange und strich ihm kurz durch sein schwarzes Haar. Sie war überrascht, dass sie so viel ruhiger war als er. Angie warf einen schnellen Blick zu den vier Zuschauern, die sich im Halbkreis stehend alle an den Händen hielten.

Das Paar löste sich wieder voneinander und Germán nahm stattdessen Julieta in den Arm und drückte sie fest an sich. Die blonde Frau blickte ihrerseits auf ihren Schwangerschaftstest und fuhr mit dem Daumen über die beiden senkrechten Linien. "Mit diesem Test verbinde ich so viele schöne Erinnerungen. Wir haben uns so sehr auf dich gefreut. Egal, wie viel Zeit vergeht, wie werden dich von heute bis in alle Zeit im Herzen tragen."

Nachdem auch dieses Erinnerungsstück im Grab lag, gesellten sich alle anderen zu Angie und schütteten das Loch mit der danebenliegenden Erde gemeinsam wieder zu. Im Anschluss griffen Germán und Angie nach den Päckchen mit den Blumensamen und verteilten sie. "Ab jetzt wird bitte wieder gelacht.", meinte die blonde Frau und zog Violetta lächelnd an sich, "Denn jetzt kommt der fröhliche Part!"

"Wir wollen diese Stelle nämlich mit einer ganz besonderen Blumenart bepflanzen.", eröffnete Germán und Angie übernahm: "Vergiss mein nicht. Sie sind das Symbol des bittersüßen Abschieds und gleichzeitig das Bekenntnis zu Treue und ehrlicher Zuneigung." Sie sah die Packung in ihrer Hand an. "Damit du weißt, dass du für immer einen Platz in unserem Herzen innehaben wirst. Auch wenn ich mit der Zeit vielleicht nicht mehr täglich an dich denken werde, da ich mit dieser Abschiedsfeier endlich über deinen Tod hinweggekommen bin und nicht mehr in der Vergangenheit sondern in der Gegenwart leben werde. Trotzdem werden wir dich auf ewig unter diesem Namen in Erinnerung halten: 'Vergiss-mein-nicht'."



// Ich wünsche euch vorab schon mal Frohe Weihnachten und besinnliche Festtage!

Ich werde dieses Buch höchstwahrscheinlich noch in diesem Jahr beenden, da nur noch ein Kapitel folgen wird.


Germangie - Just a DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt