Leere

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"Angie! Du bist endlich wieder daheim!" Die blonde Frau wurde von Olga überschwänglich begrüßt und fest in die Arme geschlossen. Ja, das war sie. Drei Wochen nachdem sie aufgewacht war, war sie heute schließlich aus dem Krankenhaus entlassen worden.

Diese Zeit war eine Qual gewesen. Angie war nie wirklich sie selbst gewesen, hatte alles aus Sichtweise eines stummen Zuschauers gesehen. Die Ärzte haben ihr Bestes versucht. Haben ihr gut zugeredet, Mut gemacht und sie körperlich wieder auf den bestmöglichen Zustand gebracht. Für ihr seelisches Leid war jeden einzelnen Tag die Psychotherapeutin des Klinikums erschienen und hatte sich ausführlich mit der jungen Frau beschäftigt. Gebracht hatte es nicht wirklich was.

Nach der ersten Woche hatte sie zwar aufgehört immer wieder zu weinen, doch daraufhin hatte sich eine tiefe, dumpfe Leere eingestellt. Und diese war schmerzhafter zu ertragen als jede Träne. Angie hatte das Gefühl nicht sie selbst zu sein, keine Gefühle mehr zuzulassen. Dagegen tun konnte sie nichts.

"Das ist sie allerdings auch, ohne dass du sie erdrückst.", bemerkte Germán lächelnd, doch es erreichte seine Augen nicht. Angie war es nicht aufgefallen, sie spürte nun jedoch die fehlende Körperwärme Olgas. Die blonde Frau schaute zu ihrem Ehemann. Man sah ihm die Erschöpfung und das Leid der letzten Wochen allzu deutlich an. Angie selbst sah vermutlich nicht mal unwesentlich schlimmer aus als er. Ihr Schwager hatte alles getan. Germán hatte praktisch im Krankenhaus gelebt, war immer an ihrer Seite geblieben. Gleichzeitig hatte er sich um Julieta gekümmert und seine Arbeit irgendwie auf die Reihe bekommen.

Es war für sie beide eine mehr als komische Situation. Germán wollte sie aufheitern, zum Lachen bringen. Er war immer wieder an seine Grenzen gestoßen und seine Versuche waren mit der Zeit immer öfter gescheitert. Auch über die Fehlgeburt hatten sie noch nicht richtig gesprochen. Als Germán einmal den Versuch starten wollte, hatte Angie sofort abgeblockt. Sie verkraftete es noch nicht. Oder würde es vielleicht auch niemals.

"Ja. Ähm, ich geh dann mal nach oben.", verkündete Angie leise und flüchtete förmlich vor ihrer Familie. Alle waren sie da, um sie zu empfangen und sahen sie mit einer Mischung aus Mitleid und Sorge an. Die blonde Frau hielt das nicht aus. Seit vierzehn Tagen hatte sie nicht mehr geweint, alle Emotionen in ihrer erbauten Schutzschicht versteckt. Als Angie die Treppen hochlief, spürte sie die Blicke der anderen auf ihrem Rücken brennen. Germán. Olga und Ramallo. Violetta mit Julieta auf dem Arm. Sie alle machten sich schreckliche Sorgen um die blonde Frau, dessen war sie sich nur allzu sehr bewusst.

Aber was sollte sie denn machen? Allen etwas vorspielen, während ihre Seele zerbrach? Sie hatte nun einmal ihr Kind verloren verdammt nochmal! Sie hatte ein gebrochenes Herz und fühlte sich wie eine leere Hülle. So war es und konnte auch nicht einfach geändert werden! Angie fragte sich ohnehin, wie man als Mutter jemals darüber hinwegkommen konnte. Natürlich traf es Germán auch, keine Frage, aber Angie wusste aktuell wirklich nicht, wie sie jemals wieder auch nur eine Nacht durchschlafen sollte.

Erschöpft ließ sich die blonde Frau auf das große Bett fallen. Wenigstens war sie endlich zu Hause und vielleicht konnte sich nach einer gewissen Zeit wieder eine Art Alltag und Routine einstellen. Außerdem wollte sie nach diesen drei Wochen ihre Mutterrolle wieder aufnehmen und sich um ihre kleine Tochter kümmern. Germán hatte sie natürlich des Öfteren mit ins Krankenhaus genommen. Julieta wollte schließlich auch wissen, wie es ihrer Mutter ging und bemerkte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Angie wollte ihr endlich wieder eine gute Mutter sein, doch das konnte sie aktuell schlichtweg nicht. Sie konnte ihre Tochter nicht im Arm halten, ohne dabei nicht an ihr zweites Kind zu denken, welchem eine Chance auf ein Leben verwehrt geblieben war.

Angie wusste nicht, ob Julieta schon genau wusste, was an jenem Tag genau passiert war. Was sie jedoch wusste, ohne überhaupt mit ihrem Ehemann gesprochen zu haben, war, dass Germán diesen Part ganz selbstverständlich übernehmen würde und ihre gemeinsame Tochter aufklären.

Darüber würde sie demnächst mit Germán sprechen müssen. Sie mussten über so einiges sprechen. Ihr Verhältnis war momentan wie eingefroren. Germán wusste, dass er nur schwer oder überhaupt nicht an seine Frau herankam und das machte ihm schwer zu schaffen. Er wusste, genau wie Angie, nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte und war ratlos. Ratlos, verzweifelt und traurig. Angie konnte sich vorstellen, wie unerträglich es für Germán war, das unendlich große Leid des Verlustes jeden einzelnen Augenblick in ihren blauen Augen zu erkennen und nichts dagegen tun zu können, egal wie sehr er auch sich anstrengte.

Angie starrte auf die Zimmerdecke. "Germán." Sie wollte kein distanziertes Verhältnis zu ihm. Sie wollte von ihm in den Arm genommen und getröstet werden. Doch auch ihm hatte sie den Zutritt zu ihren Gefühlen versperrt. Die letzten drei Wochen hatte Germán nicht Angie gesehen. Es war die leere Hülle, ohne Herz und Seele. Er hatte Tag für Tag in das Gesicht dieser gefühlslosen Maske geblickt und konnte lediglich in den Tiefen ihrer Augen ihre wahre Gefühlslage erahnen.

Angie wollte das nicht und trotzdem konnte sie es nicht einfach abstellen. Sie strahlte nach Außen das aus, was auch ihr Inneres fühlte. Nichts. Nach den ersten Tagen voller Trauer, Verzweiflung, Unglauben und Wut, war es, als hätte sie jegliche Gefühle aufgebraucht. Die Leere, die sie fühlte und Besitz von ihr ergriff, war nicht zu beschreiben und mit keinen anderen Worten auszudrücken. Sie hatte keine Gefühle, ließ nichts an sich heran. Angie hörte ihren Atem, spürte ihren Herzschlag, aber sie lebte nicht wirklich. Sie wachte jeden Morgen in dem nebelartigen, unechten Zustand auf. Sie wusste, dass das ihr Leben war und doch fühlte es sich unecht an.

Seufzend stand Angie auf. Es brachte alles nichts. Egal, wie viele Gedanken sie sich machte, an der grausamen Realität änderte sich kein bisschen. Die blonde Frau beschloss nach unten zu gehen und vielleicht wenigstens den anderen ein paar Sorgen abzunehmen...

Mit ihrem Plan kam sie nicht weit. Kaum, dass Angie die Schlafzimmertür hinter sich geschlossen hatte, hörte sie die Stimme ihres Ehemanns. Die junge Frau blieb oben stehen und lugte vorsichtig über das Geländer. Lediglich Germán und Julieta befanden sich noch im Wohnzimmer. Beide saßen auf dem Sofa. "Du hast gemerkt, dass es deiner Mamá zur Zeit nicht so gut geht, nicht wahr?", stieg Germán in das Thema ein. "Ja, sie ist immer so traurik. Hat das mit ihren Verläzungen zu tun?"

Obwohl sie sich sicher war, dass dieses Gespräch nicht für ihre Ohren bestimmt war und sie es wahrscheinlich auch gar nicht hören wollte, blieb Angie wie angewurzelt stehen und lauschte dem Gespräch. Sie konnte sich weder von der Stelle bewegen noch ihren Blick abwenden.

"So ähnlich. Du weißt ja, dass sie von dem Lastwagen angefahren worden ist. Und da hat sie sich nicht nur verletzt. Es ist noch etwas anderes passiert." Germáns Stimme wurde brüchiger und seine Haltung angespannt. Für ihn würden die folgenden Worte alles andere als leicht werden. Julieta sah ihn mit großen Augen an. So, als wüsste sie bereits, wie ernst und schlimm die Nachricht ihres Vaters werden würde. "Die Mamá ist so arg hingefallen, dass es sogar das Baby getroffen hat und deshalb..." Germáns Stimme brach weg.

"Papá? Was ist mit dem Baby?" Julieta griff nach der Hand ihres Vaters und selbst aus dieser Entfernung erkannte Angie, dass sowohl seine als auch Julietas kleine Hände zitterten. "Das Baby hat sich dabei so sehr weh gemacht, dass es den Unfall nicht überlebt hat. Es ist gestorben.", flüsterte Germán heiser, mit deutlicher Anstrengung die Fassung zu wahren.

Einen Moment war es still, ehe Julieta mit trauriger Stimme nachfragte: "Mamá hat also kein Baby mehr in ihrem Pauch?"

In diesem Augenblick wurde es Angie zu viel. Sie drehte sich abrupt um und rannte zurück in das Zimmer, die Tür laut hinter sich zuschlagend. Kaum hatte sie das Bett erreicht, brach sie darauf zusammen. Angie zog ihre Beine an den Körper und schloss die Arme darum. Rollte sich zu einer Kugel zusammen und machte sich ganz klein. "Kein Baby mehr in ihrem Bauch?"

Angie stieß einen erstickten Schluchzer aus und fing an zu weinen. Seit zwei langen Wochen waren das die ersten Tränen.



Tut mir wahnsinnig leid, dass solange nichts kam, aber ich versinke zur Zeit in Arbeit und das wird die nächsten Wochen auch noch so weitergehen :/ ♥

Ich versuche, wann immer es geht, zu schreiben, aber ich kann nichts versprechen. ^^ Irgendwann wird es mal wieder besser werden. xD :DD

Germangie - Just a DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt