Eins

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Seufzend schloss Mina ihren Koffer. Sie benutzte ihn an diesem Tag zum ersten Mal. Davor hatte sie ihr Heimatdorf nie verlassen. Natürlich wollte sie wie jedes Mädchen und jeder Junge in ihrem Alter raus und die Welt sehen. Und heute bekam sie die Chance dazu.

"Mina!", rief ihr großer Bruder Blake aus der Küche. "Der Fahrer ist da!" Sie sah sich ein letztes Mal in ihrem Zimmer um. Sie ließ ihren Blick über all die Fotos, Bücher und Zeichnungen gleiten. Ihr Reich. Dann packte sie entschlossen ihren Koffer und maschierte zur Haustür. Blake schloss sie fest in die Arme. "Mach's gut. Ich hab dich lieb. Ruf sofort an, wenn irgendwas ist und ich hol dich ab." "Mach ich. Ich hab dich auch lieb. Pass gut auf Grandpa auf." "Wenn, dann pass ich auf Blake auf!", erklang eine warme Stimme hinter ihr. Ihr Grandpa kam in seinem Rollstuhl auf sie zu und umarmte sie ebenfalls. "Pass auf dich auf.", murmelte er. "Ich werde euch so vermissen.", erwiderte sie und musste mit ihren brennenden Augen kämpfen. "Du schaffst das. Daran glaube ich.", flüsterte er ihr ins Ohr, als wäre es ein Geheimnis, das nur sie beide teilten. Mit diesen Worten trat sie aus dem Haus und durch den Garten. Ein Mann Mitte Fünfzig wartete vor einem schicken Mercedes auf sie. Er trug einen schwarzen Anzug und ein schwarzes Hemd. Mit der ausdruckslosen Miene hätte er besser auf eine Beerdigung gepasst.

"Miss Connor?", fragte er in reserviertem Ton. Mina nickte. "Mein Name ist Mr. McLean. Ich bin der Chauffeur der Familie Carter." "Freut mich." Er starrte auf ihre Hand, als würde sie die Krone der Queen darin halten. Nachdem er gut eine halbe Minute nur darauf gestarrt hatte, zog Mina sie wieder zurück. Wortlos überließ sie ihm den Koffer und stieg hinten ein. Als Mr. McLean den Motor startete, winkte sie ihrem Bruder ein letztes Mal zu. Ihre Augen brannten, aber sie lächelte auch. "Ich bin bereit.", flüsterte sie leise.

Mina lehnte ihren Kopf gegen die Scheibe und sah dabei zu,  wie der Wagen an den Wiesen, Feldern, Bäumen und Felsen vorbeizog, die ihr in all den Jahren so vertraut geworden waren. Sie war sich nicht sicher, ob sie nicht doch Heimweh bekommen würde. Sie liebte ihre Heimat, ihre Familie. 

"Mr. McLean?", fragte sie in die Stille hinein. "Ja, Miss?" " Wie sind die Carters so? Wissen Sie etwas über die beiden Geschwister, um die dich mich kümmern soll?" Er schien kurz zu überlegen, ob er ihr eine Antwort geben sollte. "Die beiden jungen Herrschaften heißen Olivia und Ethan. Acht und elf Jahre alt. Beide sind gut erzogene Kinder mit einer herausragenden Bildung. Sie werden ihnen nicht allzu viel Mühe bereiten. Sie haben noch einen älteren Bruder. Den jungen Grafen Aiden. Er ist zwanzig und kümmert sich um die Familiengeschäfte. Sein Vater Mr. Carter, ist aufgrund seiner Krankheit nicht mehr in der Lage."

"Was hat Mr. Carter?" Wieder zögerte Mr. McLean. "Alzheimer.", sagte er knapp. Mina wusste, dass er log, oder zumindest etwas vor ihr verschwieg. Und dass er vermutlich keine ihrer anderen Fragen beantworten würde. Sie steckte sich Kopfhörer in die Ohren und schloss die Augen. 

Irgendwann musste sie eingeschlafen sein, denn als Mina ihre Augen öffnete, fuhren sie gerade durch einen dichten Wald. Dahinter befanden sich nichts als Berge. Ihr wurde mulmig zumute. "Wie lange dauert die Fahrt noch?", erkundigte sie sich. "Zehn Minuten.", antwortete Mr. McLean mit zittriger Stimme. War er etwa nervös? Wenn er für die Carters arbeitete, musste er diesen Wald doch schon hunderte Male mit dem Auto durchquert haben. Reiß dich zusammen! Es ist nur ein Wald!, rief Mina sich innerlich zur Ordnung.

Die Schöne und das Biest (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt