Elf

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Als Mina ihr Zimmer stolpernd erreicht hatte, ließ sie sich ein Bad ein und wollte einfach nur noch in dem heißen Wasser versinken. Sie konnte nicht glauben, dass dieser Abend wirklich geschehen war. 

Sie sog den fruchtigen Duft des Shampoos ein und versuchte die Erinnerung zu verdrängen. Zumindest an die Schlägerei. Sie wollte nicht vergessen, dass Aiden ihr geholfen hatte. 

Als sie aus der Wanne stieg, zog sie sich eine Jogginghose und ein Shirt an und wollte nochmal nach den Kindern sehen. Sie öffnete leise die Tür zu Olivias Zimmer. Und sie konnte nicht fassen, wer da am Rand ihres Bettes saß und ihr leicht über den Kopf strich. 

"Aiden?", fragte sie ungläubig. Er hielt einen Zeigefinger vor den Mund und trat mir ihr auf den Flur. Mina musste lächeln. "Du bist doch gekommen.", sagte sie leise. Er nickte nur. "Wie lange soll das noch so weitergehen? Warum versteckst du dich vor deiner Familie?" "Mina, bitte. Du verstehst das nicht." "Dann erklär es mir eben." 

Er trat näher an sie heran. "Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du dich raushalten sollst?" Er klang nicht wütend. Nur enttäuscht. "Ich will mich aber nicht raushalten!" "Hör auf so starrköpfig zu sein!" "Nein!" Er fuhr sich wie vorhin durch die Haare. "Mina." Sie verschränkte die Arme. "Gute Nacht, Aiden." 

Sie verzog sich in ihr Zimmer und zog sich ihre Bettdecke bis zum Kinn. Die Zeit bis sie endlich einschlief kam ihr wie eine halbe Ewigkeit vor. 

"Lass dich nicht aufhalten." Wieder die Stimme ihres Großvaters. "Hör auf die alten Geschichten und vertrau auf dein Gefühl." Sie saß wieder an dem Teich. Sie konnte ihr Spiegelbild klar im Wasser erkennen. Neben ihr tauchte eine Gestalt auf. Nicht ihr Großvater. Sondern eine Raubkatze. Sie kannte diese grünen Augen, die so menschlich und doch irgendwie raubtierhaft waren. 

Mina wachte auf und fühlte sich, als hätte sie ein Traktor überfahren. Sie brauchte einen Kaffee dringend. In der Küche waren schon Jenny, Emma und Mrs. Clarksen. "Guten Morgen!", kicherten die beiden Dienstmädchen im Einklang. "Morgen, ihr beiden. Morgen, Mrs. Clarksen." "Kleines, was ist denn mit dir passiert? Du siehst aus, als hättest du im Garten übernachtet." "Es geht mir gut ich hatte nur ... einen Albtraum." 

Nach zwei Tassen Kaffee füllte sie sich eine Dritte ein und schlenderte damit durchs Haus. Die Kinder konnten länger schlafen. Mike hatte glücklicherweise per Telefon verkündet, dass er nicht mehr zum Unterricht kommen würde. Zumindest eine gute Nachricht. Auch wenn die Kinder nun einen neuen Schwimmlehrer brauchten. Sie konnten ihnen jedenfalls nicht die Wahrheit erzählen. Dafür waren sie einfach noch zu klein.

Sie setzte sich in die Bibliothek und las an dem Charles-Dickens-Roman weiter, als sich hinter ihr die Tür öffnete. Mr. Carter kam herein. Wie immer schien er in einer anderen Welt zu schweben. Er ging an den Regalen vorbei, strich über die Rücken der Bücher und schien mit den Gedanken weit, weit weg zu sein. "Sir?", fragte Mina vorsichtig. "Geht es Ihnen gut?"

"Hm?" Er wandte den Blick langsam zu ihr. "Es geht mir ausgezeichnet! Warum passen Sie nicht auf die Kinder auf?!", fuhr er sie plötzlich an. "Die Kinder schlafen noch." War ihm ihre Abwesenheit beim frühen Frühstück nicht aufgefallen? "Und was ist mit dem Unterricht?" "Ihr Lehrer hat doch gestern angerufen und gesagt, dass er nicht mehr kommt!" Vielleicht hatte er doch Alzheimer?

"Gestern sagen Sie?" Seine Gedanken schienen wieder abzustreifen. Dann verließ er ohne weiteres Wort die Bibliothek. Das konnte so nicht weitergehen! Mina musste etwas unternehmen, allein der Kinder wegen!

Die Schöne und das Biest (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt