Achtzehn

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Mina war während der Vorbereitungen hunderte Male durch den Saal gelaufen. Aber jetzt, wo Gäste und wunderschönen Kleidern und Anzügen ihn ausfüllten und ein kleines Orchester in der Ecke spielte, sah es wirklich wie im Märchen aus.

"Ihr habt euch wirklich selbst übertroffen.", staunte Aiden. "Wirklich?", fragte Mina grinsend. Er grinste zurück. "Absolut!" Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. "Aiden!", erklang es vom anderen Ende des Saals. Der alte Graf kam auf sie zu. 

Plötzlich wirkte Aiden verunsichert. "Geh zu ihm.", sagte Mina mit einem aufmunternden Lächeln. "Gut. Aber reservier mir einen Tanz, okay?" "Abgemacht." Während sich also der junge und der alte Graf seit Langem wieder aussprachen, setzte sich Mina an einen freien Tisch. 

"Du siehst wirklich bezaubernd aus, Kleines.", ertönte eine fröhliche Stimme hinter ihr. Sie drehte sich um und sah Mrs. Clarkson vor ihr stehen. Sie trug ebenfalls ein Kleid. Es hatte lange Ärmel und war ganz schwarz. Die grauen Haare hatte sie mit einer Spange zurückgesteckt. 

"Danke. Sie sehen auch gut aus." Die Köchin setzte sich zu ihr. "Was ist los, Kleines? Du hast doch irgendwas auf dem Herzen." "Mrs. Clarkson ... was ... was genau hat Aiden eigentlich? Warum kann er ..." "Zu einem Biest werden? Kind, ich hatte wirklich gehofft, wir könnten dir dieses Wissen ersparen." "Waren Sie alle deshalb anfangs so verschwiegen?" Mrs. Clarkson nickte. "Warum? Was genau stimmt hier nicht?" Sie seufzte. Tief und lang.

"Vor gut vier Jahren kam eine alte Frau zu uns. Sie wollte mit Mr. Carter sprechen. Es ging um ein Grundstück. Ihr Grundstück mit ihrem Haus. Es wurde versteigert. Wenn nur lange genug niemand anderes ein Gebot abgab, hatte sie genug Geld um es zu retten, aber ... genau das tat Mr. Carter. Sie wollte ihn anflehen, ihr ihr Zuhause zu lassen und irgendein anderes Grundstück zu nehmen. Es war ihm egal. Dann kam Aiden ins Spiel. Als die beiden in dem Büro seines Vaters um das Grundstück stritten, kam er zufällig hinzu. Er wusste natürlich längst von dem Vorhaben seines Vaters. Die Dame schilderte ihm ihre Situation. Ab da sah der Graf es wie ein Spiel an. Er ließ seinen Sohn entscheiden, was mit dem Grundstück passieren sollte." "Und Aiden hat ... hat sich ..." "Er hat sich auf die Seite seines Vaters gestellt. Daraufhin sagte er alte Graf zu der Frau, dass man nun fraß oder gefressen wurde." "Und dann?" "Kleine, ich könnte es bis heute nicht glauben, wenn ich nicht an diesem Tag im selben Raum gestanden hätte." Sie legte der Köchin eine Hand auf den Arm. "Sie müssen nicht darüber reden, wenn Sie nicht wollen." "Nein, schon gut. Die alte Frau war eine Nachkommin von einer Art Magier oder Druiden. Sie hat Aiden verflucht. Wann immer er panisch, traurig oder wütend ist, wird er zum Raubtier. Zum Biest." 

Mina konnte Mrs. Clarkson nur anstarren. Zauberei? Ein Fluch? Wenn sie Aiden damals nicht im Garten so gesehen hätte, hätte sie es ohnehin nicht geglaubt. "Kann man das irgendwie rückgängig machen?" "Ich habe keine Ahnung. An jedem Neumond kommt die Alte zu uns in den Garten. Sie sieht Aiden dabei zu, wie er sich verwandelt, umherstreift ... Als würde sie darauf warten, dass er seine Lektion endlich lernt. Aber ich glaube das hat er längst. Nur lässt sie niemanden mit sich reden." "Ist nicht morgen Neumond?" Mrs. Clarkson nickte langsam. Darin sah Mina Aidens Chance. Sie würde zumindest versuchen mit der alten Magierin zu reden. 

Ein neues Lied setzte an und pünktlich dazu trat Aiden an ihren Tisch und hielt ihr seine Hand hin. "Darf ich?", fragte er und lächelte dabei charmant. Vergessen waren der Fluch und die schreckliche Geschichte. Mina lächelte zurück, ergriff sie und ließ sich von ihm unter die Tanzenden ziehen. Er legte eine Hand an ihre Taille und zog sie so nahe heran, dass sie wieder diesen unverwechselbaren Waldgeruch roch. Dann schlossen sie sich den Bewegungen der anderen an und glitten über die Tanzfläche. 

Mina konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so glücklich war. Wann sie sich zuletzt so sorgenlos und einfach nur frei gefühlt hatte. Als wäre die ganze Welt nur auf Aiden und sie geschrumpft. Sie blickte immer noch in dieselben Augen, die ihr vom ersten Tag an begegnet waren. Doch diesmal lagen in ihnen nicht nur Angst und Wut. Sondern auch Vertrauen. 

Die Schöne und das Biest (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt