17. Schuld

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PoV Patrick

Anders als bei unseren anderen Streits verrauchte meine Wut nicht, als Manu weggelaufen war. Ich verspürte nicht das Bedürfnis, mich zu entschuldigen oder ihm hinterherzulaufen. Ich war noch immer sauer auf meinen Mann und die Vernunft in mir sagte mir, ich sollte gefälligst dafür sorgen, dass Manu in seiner derzeitigen Verfassung nicht allein war oder sich in Gefahr brachte. Doch meine Vernunft wurde von tausend anderen Emotionen erstickt, weswegen ich einmal gegen die Wand trat und mich auf den Boden sinken ließ, bevor ich die ersten Tränen auf meiner Haut spürte.

Eine lange Zeit saß ich da einfach, versuchte, das alles zu verarbeiten, bis mein Handy klingelte.

„Pat? Bist du da? Ich hab dir schon tausend Nachrichten geschrieben! Geht's euch gut? Manu geht nicht dran..." Es war Claus, der da vollkommen aufgelöst durch den Hörer schrie. Ich schniefte einmal lautlos, da sprach der beste Freund meines Mannes auch schon weiter.

„Ihr habt geredet, stimmt's? Und jetzt ist Manu weg?", wollte er wissen und ich gab ein zustimmendes Geräusch von mir. Ich hatte jetzt keine Lust auf ihn oder seine Frau, die mir sagten, ich solle Manu hinterher. „Seit wann ist er weg?"

„Seit wir zuhause sind", murmelte ich tonlos. „Was? Das sind schon über drei Stunden, Patrick!" Claus wurde panisch und ich hörte etwas rauschen. Eigentlich hätte es mich bestürzen sollen, dass Manu drei Stunden nach einem Streit nicht vollkommen aufgelöst bei Claus und Luisa auftauchte, wie er es sonst immer tat, aber das alles kam mir so surreal vor, dass es wie eine Wolke im Himmel einfach an mir vorbeizog. „Wir gehen ihn suchen", knackste Claus schon weiter und ich meinte, Luisa im Hintergrund fluchen zu hören, doch mir war alles egal. Ich legte einfach auf und ließ wie in Zeitlupe meine Hand sinken.

Die Zeit verging, doch ich war noch immer emotionslos. Gelegentlich kamen Tränenflüsse in mir hoch, doch sie waren leer und emotionslos. Zuletzt hatte ich mich so gefühlt, als meine Oma gestorben war, die mir sehr nahe stand und der ich als erstes meine Sexualität anvertraut hatte. Doch trotzdem war diese triste Leere viel schlimmer als damals.


„Patrick!" Ich öffnete träge meine Augen. Sie waren von den Tränen völlig verklebt und mein Nacken schmerzte. Langsam richtete ich meinen Oberkörper auf, der an der weißen Wand meines - unseres - Wohnzimmers lehnte. Ich erblickte ein Paar Schuhe vor mir. „Claus?", brachte ich leise über meine Lippen und eine Hand streckte sich in mein Sichtfeld. Schwach ergriff ich sie und hob meinen Blick an, in das Gesicht des besten Freundes meines Mannes. Verdammt, Manu war echt überall. „Wie lange bist du schon hier?", meine Lippen waren aufgerissen und wund, gestern hatte ich wohl viel darauf herumgebissen. „Ich bin gerade erst gekommen. Du hast dich schließlich fast fünf Stunden nicht mehr gemeldet" Ich konnte keinen Vorwurf in Claus Antwort hören, und um ehrlich zu sein, verspürte ich immer noch keine Reue. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Claus zog mich langsam vom Boden hoch. „Du siehst echt übel aus, Mann. Geh mal duschen."

Ich weiß nicht, ob Claus dachte, dass es mir nach einer Dusche besser ginge, doch das Wasser änderte rein gar nichts an meiner Verfassung. Noch immer war ich wie in Trance, im Halbschlaf. In einem bösen Traum. Doch Claus, der mir einen Tee hinstreckte, war real, genau wie der Streit, genau wie die schwangere Luisa, die jetzt wahrscheinlich alleine zuhause saß und auf ihren Mann wartete, der beim Mann seines Kumpels saß und irgendwie versuchte zu helfen. Seufzend nahm ich den Tee entgegen und ließ mich aufs Sofa lotsen. „Wir haben Manu immer noch nicht gefunden. Wie geht es dir?" Fürsorglich legte Claus mir eine Hand auf die Schulter, doch ich antwortete nicht. Wie es mir ging? Irgendwas zwischen irgendwas und nichts. Irgendetwas zwischen komplett beschissen und vollkommen gleichgültig. Ich war gefangen in diesen Gefühlen, die mich selbst zerstörten und verwirrten. Konnte ich nicht einfach Reue empfinden und Manu zurück haben wollen? Doch Manu war das Letzte, was ich im Moment sehen wollte.

Durchs Fenster konnte ich meinen Mann sehen, der mit nassen Haaren und leerem Blick aus dem Bad kam. Ich hatte mich gut hinter einem Baum positioniert, von dem ich unser Wohnzimmer sehen konnte. Claus rührte in einer Tasse herum und wirkte ebenso bedrückt. Ich bekam ein schlechtes Gefühl. Ich war schon so weit gewesen, doch ich hatte umgedreht, um ihn noch ein letztes Mal zu sehen. Meinen Mann. Mein Herz schmerzte bei diesem Ausdruck, und ich wusste, es würde mich vollends kaputt machen, doch die Liebe war schon immer stärker als mein Selbstschutz. Als mein eigenes Wohl. In Patricks matten Augen spiegelten sich meine Gefühle wieder. Leer und trist. Glanzlos und ausdruckslos. Nur die Enttäuschung sah ich nicht in dem kalten Braun. Schniefend drehte ich mich vom Fenster weg und setzte einen Fuß vor den anderen, weg von hier. Es war Zeit zu gehen. Dieses Mal endgültig.

Der Tee war längst kalt, doch noch immer nicht leer, und so schlürfte ich weiter. Wieso wärmte man Tee überhaupt? Eigentlich war es doch egal, ob man dieses Gebräu kalt oder warm trank. Egal. Claus neben mir schien noch zu überlegen, was er tun sollte. „Hast du schon mit Michaela und Hannah gesprochen?", fragte ich tonlos. „Ja. Ich habe sogar Chrissie angerufen. Sie weiß nichts. Sie macht sich ebenso Vorwürfe wie Sorgen." Ich schnaubte. Christina konnte mir gestohlen bleiben. Sie war schließlich der Ursprung allen Übels.

Kürbistumor - After Wedding [Fortsetzung]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt