25. Neufang

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POV Manu

Noch vor zehn Minuten hätte ich ein ganzes Buch über meine Emotionen schreiben können. Ich hätte problemlos hunderte von Seiten voll schreiben können und füllen mit den Gedanken, die mir durch den Kopf rasten. Da war Angst, Nervosität und Neugierde mit einem Hauch Vorfreude. Ein wenig Melancholie und Panik und das alles in solch einer ekelhaften Mischung, sodass sogar kurz die Übelkeit in mir aufgestiegen war.

Meine Gedanken und Ängste hatten meinen Kopf nahezu zerfressen. Es hatte sich angefühlt, als wären all meine Sinne überreizt und gleichzeitig war mir zum Heulen zumute. Kurz fragte ich mich, ob das normal war, wenn man nach sechs Jahren wieder zu seinem Haus fuhr, doch ich fing an daran zu zweifeln, dass ein "normal" in unserer Situation überhaupt gelten würde.

Noch vor zehn Minuten, als ich neben Patrick im Auto saß, war ich von Emotionen erschlagen gewesen, hatte gezittert und geschwitzt. Zu viel Panik geschoben und zu viel nachgedacht.

Doch jetzt, wo ich still neben Patrick in dem leeren Wohnzimmer stehe, das ich einst mein Zuhause nannte, war in mir alles leer.

Als wäre ein kalter Wind durch mich hindurch gefegt und hätte alles mitgenommen, was in mir war. Meine Angst? Weg. Die Nervosität? Weg. Doch auch die winzige Vorfreude war verpufft.

Ich blieb still, als Patrick aus seinen Schuhen schlüpfte und seine Jacke aufhängte. Ich fokussierte das Zimmer und schloss die Augen, um mich zurück zu erinnern. Es hatte sich nicht viel verändert. Die selben Möbel und dasselbe Licht, die selben Pflanzen, die ich schon immer hässlich fand. Selbst unsere Bilder hatte Patrick unberührt gelassen.

Ich unterdrückte den Drang, mir die Bilder genauer anzusehen. Ich wusste genau, welches Bild wo hing und ich wusste auch genau, dass ein Blick darauf meinem Gefühlszustand jetzt nicht guttun würde.

Ich wandte mich um, noch immer mit dieser beängstigenden Leere in mir, und entledigte mich meiner Jacke und meiner Schuhe, ehe ich Patrick in die Küche folgte, wo mein erster Blick dem Kühlschrank galt.

Meine Notizen und meine Postkarten.

Nichts schien gealtert zu sein, der einzige Unterschied, der mir wirklich auffiel, waren die bunten Kinderbilder, die überall im Raum hingen und irgendwie fehl am Platz wirkten in dieser großen, trostlosen Küche.

Patrick aktivierte die Kaffeemaschine und drehte sich zu mir, schenkte mir einen sorgenden, nachdenklichen Blick. "Wie fühlst du dich?", wollte er leise wissen. Ich nickte ratlos. "Seltsam. Es ist nicht so, wie ich erwartet habe", gab ich dann zu.

Und ob das gut oder schlecht war, wusste ich nicht. Noch vor zehn Minuten im Auto hätte ich mir Szenarien ausgemalt, wie ich weinend im Flur zusammenbrach, weil jeder Zentimeter des Hauses mich an mein früheres Leben erinnerte. Wie ich mich zwingen musste, nichts genau anzusehen und nicht den Duft von Zuhauss einzuatmen, um nicht erneut daran erinnert zu werden, was ich verloren hatte.

Doch es war still in mir. Alles, was ich damals verloren hatte, war hier, ich spürte es, doch es war nicht das Gefühl von einem Verlust, das sich in mir breit machte.

Ich fühlte mich eher, als käme ich zurück aus dem Urlaub, aus einer Pause. Zurück ins Unveränderte, zu Pat und zu unserem Haus.

Fast schon fühlte ich mich herzlos, dass dieses Gefühl vom nach Hause kommen sich so unspektakulär und selbstverständlich anfühlte.

Das Einzige, was mein Herz bewegte, war noch immer Patrick, der mir in diesem Moment fürsorglich eine Tasse Kaffee in die Hand drückte und mich behutsam an den Esstisch lotste.

"Die Erinnerungen wurden erträglich", sprach er dann leise und umfasste seine warme Tasse mit beiden Händen, während er auf den Tisch zwischen uns schaute.

"Irgendwann waren sie alles, was ich noch hatte. Das Beste."

Nachdenklich nickte ich. "Ich habe mich immer davon ferngehalten. Aber es ist, als würden die Erinnerungen auf einmal nichts mehr zählen", startete ich den schwachen Versuch, mein Inneres in Worte zu fassen.

Besonders gut war ich noch nie darin, doch in diesem Moment schien es unmöglich, meine Gedanken und Gefühle auszudrücken. Doch Patrick lächelte nur warm. "Das stimmt. Immerhin bist du jetzt hier. Wir sind hier, Manu. Und nur das zählt."

Ich trank, um meine Verlegenheit zu verstecken. Natürlich war mir bewusst, dass mein Mann sowieso wusste, was mir durch den Kopf ging, denn trotz allem fühlte es sich immer noch so an, als wüsste er alles über mich, doch es war eine Art kläglicher Schutzreaktion meines Körpers.

"Was ich dich fragen wollte", begann der Andere dann zögernd und schien plötzlich sehr unsicher. Und das, obwohl er die ganze Zeit über hier das Selbstbewusstsein in Person war.

"Möchtest du mit mir auf ein Date gehen?"

Mein Mund öffnete sich ein kleines Stück. "Ich meine, das ist vielleicht eine seltsame Reihenfolge, aber ich denke, ein Neuanfang würde uns beiden gut tun."

Er liebte mich und ich liebte ihn. Wir wussten das.

Ich bin mir sicher, für euch hörte sich das im ersten Moment an wie ein Witz. Doch diese normalerweise falsche Reihenfolge - und was heißt schon normal - und diese schräg klingende Idee halfen mir auf eine wunderbare Art und Weise zurück in mein altes Leben.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 18, 2019 ⏰

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