-Maxim-
Ich hörte ein Piepen und Rauschen, irgendwie fühlte mein Körper sich seltsam an. Etwas, ich wusste nicht genau was dieses Etwas war, war falsch. Eisern versuchte ich gegen die bleierne Schwere meiner Lieder anzukämpfen und gab schlussendlich wieder auf. Sie waren einfach zu schwer, ebenso wie mein gesamter Körper sich viel zu schwer anfühlte. Meine Muskeln fühlten sich matt an, kraftlos, schwach. Sie reagierten nicht auf die Signale, die ich ihnen gab. Sobald ich meine Anspannung aufgab, fiel ich wieder zurück. Es wurde irgendwie fluffig und leicht in meinen Kopf, alles ging darin unter, auch ich selbst. Panik machte sich in mir breit, doch in diesem Moment war es bereits zu spät. Die Dunkelheit schluckte mich.Als ich das nächste Mal erwachte, hörte ich noch mehr als nur das Rauschen und Piepsen. Stimmengemurmel, welches allerdings zu weit weg war als das ich etwas hätte verstehen können, und den gleichmäßigen, ruhigen Atem einer Person. Wieder kämpfte ich mit dem Gewicht meiner Lieder und gewann, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Doch dieser reichte aus, um ein rotes Gewirr zu erkennen. Corinne! Als ich dieses Mal zurück in die Dunkelheit fiel, kämpfte ich nicht dagegen an. Corinne war bei mir. Ich hatte ihren Atem gehört.
„Willkommen unter den Lebenden, Maxim!", begrüßte mich Kyle mit gedämpfter Stimme als ich dieses Mal blinzelnd die Augen aufschlug. Kurz versicherte ich mich, dass Corinne noch immer bei mir war, bevor ich den Kopf seitlich kippte und zu dem dunkelhaarigen Vampir sah. Mein Blick schweifte über eine weiße Wand, einen Fernsehen und eine ebenso weiße Bettdecke. Kyle und Corinne waren die einzigen Farbtupfer in all dem Weiß. „Wo bin ich?", krächzte ich mühsam und bemühte mich nicht zu laut zu sprechen, um Corinne nicht zu wecken.
„Im Krankenhaus, du bist uns fast abgekratzt. Und nicht nur du...", murmelte Kyle, sein Blick wanderte von mir zu Corinne. „Sie hat sich solche Sorgen um dich gemacht, dass sie weder essen noch trinken konnte und schlafen tut sie seit fast fünf Tagen auch das erste Mal. Wahrscheinlich wird sie uns beiden einen Kopf kürzer machen, wenn sie aufwacht."
Besorgt musterte auch ich Corinne. Am liebsten hätte ich ihr die Haare aus dem Gesicht gestrichen um ihre Gesichtszüge sehen zu können, allerdings hindert die Angst sie so munter zu machen mich daran. Ihre Finger hatte sie mit meinen verschränkt und lag halb mit dem Kopf darauf. Der andere Arm war über Schläuche an einem Gerät angeschlossen, dass mich schwer an ein Dialysegerät erinnerte. „Warum wird sie auch dich einen Kopf kürzer machen?", fragte ich Kyle und musterte dabei die Schläuche, die das Blut aus mir und wieder in mich hinein transportierten. Ich war mir sicher, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag. Wieso hatten sie mich an ein Dialysegerät angeschlossen? Hatten meine Nieren versagt? Ich dachte als Vampir konnte ich solche Krankheiten nicht bekommen?
„Sie schläft nicht ganz freiwillig.", gab Kyle schulterzuckend zu und sofort hatte er meine volle Aufmerksamkeit. „Da ich Angst hatte, dass sie mir hier zusammenklappt, habe ich sie sobald ich sie kontrollieren konnte dazu gezwungen.", gestand er. Von Corinne wusste ich, dass die Vampire die Lykae nicht so ohne weiteres kontrollieren konnten.
„Sie ist viel zu stark dafür.", protestierte ich verwirrt.
Kyle verzog das Gesicht. „Normalerweise ja, aber erst haben Walker und Killian sie zwei Tage gefoltert und dann hat sie sowohl Schlaf wie auch Nahrung verweigert, weil sie dir keine Sekunde von der Seite weichen wollte. Sobald Zarek herausfindet wo sie ist, brennt ohnehin die Luft." Damit Kyle sie kontrolliere konnte, musste sie enorm geschwächt gewesen sein.
Entweder war ich noch nicht aufnahmefähig oder Kyle sprach tatsächlich so wirr wie es sich für mich anhörte. „Wann war der Kampf?"
„Vor etwa vier Tagen?", fragte Kyle nach einem Blick auf die Uhr, die er am Handgelenk trug.
Vier Tage. „Wann hat Corinne das letzte Mal etwas gegessen?"
„Vor drei Stunden hab ich sie dazu gezwungen einen Apfel zu essen und einen Tee zu trinken. Also erpresst.", korrigierte er als ich ihn scharf musterte.
„Und davor?"
Kyle zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht, ob das bei Walker im Gefängnis all inclusiv war."
„Das ist nicht witzig.", fauchte ich aufgebracht und versuchte mich aufrechter hinzusetzten. Kyle drückte mir die Fernbedienung des Bettes in die Hand.
„Finde ich auch nicht. Zarek bringt mich so schon um, aber wenn seinem kleinen Schützling was passiert, spießt er mich wahrscheinlich wirklich auf. Deshalb habe ich ihr den Apfel und den Tee aufgeschwatzt, bevor sie mir völlig zusammenklappt. Und sie halt jetzt ein wenig manipuliert damit sie schläft." Das schiefe Grinsen, dass er zustanden brachte hatte nichts mit seinem üblichen Grinsen zu tun. Kyle fühlte sich sichtbar unwohl unter meinem forschenden Blick.
„Zarek weiß nicht wo Corinne ist?"
„Die ganzen Wölfe wären zu auffällig gewesen. Deswegen sind wir mit dir heimlich getürmt."
Verstehend nickte ich. „Seit wann schläft sie?", fragte ich dann weiter.
„Etwas mehr als zwei Stunden." Beim schätzen kniff er die Brauen zusammen.
„Und was ist mit mir los?" Kurz hob ich die verkabelte Hand.
„Du wärst uns fast abgekratzt.", erklärte Kyle und wirkte deutlich sicherer. „In deinem Blut befindet sich Goldstaub. Der Dreck wirkt sich bei uns Vampiren wie Gift auf unsere Körper auf. Mit der Maschine hier," kurz deutete er auf das Gerät. „filtere ich den Staub heraus. Es ist nicht hundertprozentig, aber immerhin heilen deine Wunden mittlerweile wieder, du bist bei Bewusstsein und sprichst.", grinste er mich glücklich an.
„Ich danke dir!", aufrichtig sah ich ihn an.
„Jetzt werde ja nicht rührselig. Ich habe mir doch nicht die Mühe gemacht, dich zu trainieren und dir alles zu erklären, damit du dich von ein paar Tölen töten lässt.", tat Kyle seine Hilfe herunterspielen.
Ein leises Lachen, welches mich auf all die noch zu heilenden Wunden hinwies rumpelte durch meinen Körper. „Ich dich auch.", brummte ich dann und Kyle verdrehte die Augen. Ohne es zu wollen, hatte ich in ihm wahrscheinlich einen Freund für die Ewigkeit gefunden.
„Hast du Wasser für mich?", mein Hals schien mit jedem Wort mehr zu kratzen.
„Ich kann dir auch Blut anbieten?", meinte Kyle.
„Ich habe keinen Durst!", lehnte ich ab.
„Hätte mich auch gewundert, deine Wölfin hat darauf bestanden dir ihres zugeben.", verriet er mir. Mit großen Augen sah ich ihn an. Es war ein Traum gewesen, den ich nicht einmal auszusprechen gewagt hatte. Corinne hatte mir gegenüber nie etwas gesagt oder getan, dass mir das Gefühl gab, minderwertig zu sein. Dennoch hatte ich mitbekommen, welche Probleme die Lykae teilweise mit mir hatten und ich wusste, dass der Biss eines Vampirs einer Demütigung gleichkam und das geben ihres Blutes fast schon als Verbrechen zählte. Und nun als sie es mir gegeben hatte, war ich nicht einmal bei Bewusstsein gewesen. „Ist auch besser so, sonst wärst du wahrscheinlich noch in dieser hässlichen Bar verreckt.", redete Kyle unbeirrt weiter, während er mir den Rücken zugewandt ein Glas Wasser eingoss.
„Trink langsam.", befahl er als er es mir an den Mund hielt und vorsichtig neigte.
„Ich kann nicht glauben, dass sie es getan hat."
Kyle zuckte mit den Schultern. „Sie liebt dich."
„Ist mein Handy hier?", fragte ich einige Zeit, in der sowohl Kyle als auch ich geschwiegen hatten, später.
„Nicht das ich wüsste.", meinte er. „Du kannst aber meins leihen."
„Kannst du meinen Bruder anrufen?", fragte ich ihn, da ich mit beiden Händen nicht in der Lage war das Gerät zu bedienen. Die eine nutzte Corinne als Kissen, die andere war verkabelt.
„Lass es ja nicht Tamara hören, dass er von dir weiß.", mahnte Kyle mich streng. „Und Alexandr und Stepan auch nicht." Ich nickte.
„Hast du die Nummer zufälligerweise im Kopf?"
„Nein, aber du findest die von seiner Kanzlei im Netz."
„Es ist Samstag."
„Du würdest ihn wahrscheinlich auch an einem Sonntag erreichen.", gab ich zurück.
„Ich dachte Anwälte kriegen auch so die große Kohle.", fragend sah er mich an. Verwirrt erwiderte ich seinen Blick. „Naja, damit ich Geld kriege, muss ich Überstunden, Doppelschichten, Nachtschichten und was weiß ich nicht alles machen.", erklärte er mir dann.
„Menschen brauchen immer Hilfe.", erinnerte ich ihn. „Außerdem hast du dir das selbst ausgesucht."
„Weiß ich nicht." Kyles Antwort kam überraschend ernst und lenkte mich ab. Neugierig geworden musterte ich ihn. „Alice und ich... es ist schwer zu erklären, aber ich weiß nicht wo sie anfängt und ich aufhöre. Es ist schwer etwas anderes als sie zu machen oder etwas anderes als sie mag zu mögen.", versuchte er mir verständlich zu machen. „Ich meine, ich finde beigefarbenen Nagellack toll und weiß, dass ich ihn nie tragen kann, weil er sich mit meiner Augenfarbe nicht ergänzt. Abgesehen davon, dass es bei mir ohnehin reichlich komisch wirken würde. Und nicht zu selten, komme ich auf schnulzige Gedankengänge bei Alexandr. Weißt du wie seltsam das ist? In diesen Fällen weiß ich, dass das Alice Teil in mir ist. Es ist für mich nachvollziehbar und es stört mich nicht wirklich. Aber wann immer ich etwas mache oder einen Menschen kennenlerne... ich weiß selten, ob sich dabei meine Gefühle oder die von Alice in den Vordergrund drängen. Oder ob wir einfach so dieselben Gedanken haben. Umso näher wir uns sind, umso schlimmer ist es."
„Das ist grauenhaft.", murmelte ich entsetzt. Ich konnte es mir nicht vorstellen mit so etwas leben zu können.
„Nein! Nein, das ist es ganz und gar nicht. Es mag zeitweise anstrengend sein, manchmal verwirrend, aber im Großen und Ganzen ist es großartig. Es ist egal wo ich bin, was ich mache, sie ist immer bei mir. Wir sind eins. Diese Gewissheit nie allein zu sein... Selbst wenn ich sterbe, weiß ich, dass sie mit mir gemeinsam dem Weg geht und das wir auch im nächsten Leben zusammen sein werden. Und wenn wir es wirklich wollten, könnten wir uns vielleicht mehr voneinander distanzieren. Aber einen Moment, in dem ich ihre Präsenz nicht spüre, fühlt sich ekelhaft kalt und leer an. Wir wollen es gar nicht anders."
Er hielt sich das Telefon ans Ohr. „Hallo, hier will sie jemand sprechen.", sprach Kyle in den Hörer und hielt dann mir das Telefon an das Ohr, ohne das ich auf seine Worte etwas sagen konnte. Zugegebenermaßen, ich hätte auch gar nicht gewusst, was ich sagen soll.
„Hey Tony."
„Maxi, Gott sei Dank." Die Erleichterung in der Stimme meines Bruders verursachte mir Schuldgefühle. „Ich habe gedacht dir ist sonst was passiert. Stella hat auch schon nach dir gefragt. Warum hast du dich nicht ehr gemeldet?"
„Tut mir leid. Ich konnte nicht. Hab ein bisschen was abbekommen." Auch wenn ich die Worte locker dahin sprach, kannte mein Bruder mich doch gut genug um es besser zu wissen.
„Wird das wieder?"
„Mich kriegt so schnell nichts unter."
„Hast du Corinne da rausholen können?"
„Ja, sie ist bei mir."
„Wie geht es ihr?"
Nachdenklich sah ich zu ihr. „Sie schläft gerade, da sie scheinbar die letzten Tage nicht geschlafen hat. Aber sonst geht es ihr, glaube ich, gut."
„Was hast du Idiot nur gemacht?" Natürlich kombinierte mein Bruder meine Worte richtig und hörte das zwischen den Zeilen heraus was ich nicht aussprach. Selbst wenn ich ein Vampir war und er ein Menschen, so waren wir doch noch immer Zwillinge.
„Später, Anthony.", murmelte ich. Das Gespräch strengte mich immer mehr an.
„Na gut. Richte Corinne Grüße von mir aus und sobald es euch besser geht, soll ich euch von Stella aus zu einem Essen einladen."
„Geht klar, Bruder.", murmelte ich.
DU LIEST GERADE
[03] Wildes Blut
Werewolf-Unabhängig voneinander lesbar!- Als Cori nach Washington D.C. fliegt, will sie eigentlich nur ihrem Bruder helfen, seine Gefährtin zurück zu gewinnen. Dass sie dabei ihren eigenen Gefährten trifft, war nicht geplant. Als wäre es nicht schon schlimm...