Kapitel 6

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Er wirkte nun genauso verwirrt wie ich. "Citiana?" Spätestens da wurde mir schmerzlich bewusst, dass es wirklich nicht Dave war, sondern lediglich sein Doppelgänger. Selten hatte er mich nämlich bei vollem Namen genannt. Er wusste, dass ich das nicht sonderlich mochte. Nein, der echte Dave war tot. Mir stiegen Tränen in die Augen. 

"Ich habe dir doch erst vor zwanzig Minuten-" Doch er unterbrach sich selbst. Sein verwirrter Gesichtsausdruck wich einem Grinsen. Es ähnelte dem, welches ich kannte, nur allzu sehr. Doch es war nicht das gleiche. Das hier wirkte etwas kühler. Und dennoch schien er anders zu sein als Kenna es war. Etwas an ihm strahlte nicht diese Kälte aus. 

"Doppelgänger", sagte er. Ich wich leicht zurück, denn ich erinnerte mich an Kennas Worte; dass ihre Art böse war. Uns in sich aufsaugen wollte. "Dave komm. Wir waren Freunde. Beste Freunde", meinte ich. Doch das schien ihn wenig zu interessieren. Unbeeindruckt hob er eine Augenbraue und griff nach meinem Arm. 

Ein Stück zog er mich mit sich. "Der andere vielleicht. Ich jedoch nicht." Beim laufen ließ ich ungewollt eine der Tüten fallen. Rasch fing Dave diese auf und ließ mich dabei los. Automatisch dachte ich daran, dass mir so etwas auch damals passiert ist. Da hatte er ebenfalls geholfen. Ich bedankte mich schnell und er nickte, bevor er begann, mich zu mustern. 

Das war etwas unangenehm. "Mein Doppelgänger hat dich gemocht", schlussfolgerte er. "Woher weißt du das?", wollte ich wissen und hoffte, dass meine vorherige Aussage über unsere Freundschaft nun nicht seine Antwort sein würde. 

"Als er starb nahm ich ihn automatisch auf", erklärte er und wirkte dabei leicht abwesend. "Wieso mochte er einen Menschen?" Ich lachte leicht. "Das haben wir uns auch immer gefragt", antwortete ich ehrlich. Und nicht nur wir. Fast jeder. Sogar Uriel wirkte damals überrascht. Dave mochte eigentlich keine Menschen.

Eine Frage stellte sich mir dann. "Kannst du spüren, was er gefühlt hat? Wie er war?" Er seufzte. Ein Geräusch, dass ich nur zugut kannte. Und dieses mal wirkte er tatsächlich wie der alte, der echte Dave. "Leider ja", antwortete er und fuhr sich durch sein Haar. Auch das war blond. Nur seines war etwas länger. Zugegeben; das stand ihm wirklich gut. "Das Aufnehmen von jemandem führt unweigerlich dazu."

Das war ein interessanter Fakt. Und etwas, was Kenna wohl verschwiegen hatte. Oder wusste sie es überhaupt nicht? War das vielleicht etwas, was man erst herausfand, wenn es einem wirklich passierte? 

"Dann kannst du mich nicht töten. Dave hätte das nie getan", sagte ich und klang selbstsicherer als ich vielleicht sein sollte. Schließlich war er trotzdem nicht der Dave, mit dem ich so gut befreundet war. Er war anders.

"Ich bin nicht wie er. Auch wenn ich nun Dinge fühlen kann, ist es schwach. Ich hätte kein Problem damit, dich umzubringen", entgegnete er kalt. Jedenfalls hörte es sich an, als wolle er kalt klingen. Doch irgendwie gelang es ihm nicht richtig. 

"Dann tu es. Jetzt hast du die Chance dazu", meinte ich. Das war vermutlich das dümmste, was ich jemals in meinem Leben gesagt hatte und ich könnte mich dafür ohrfeigen. Denn was, wenn er recht hatte und tatsächlich kein Problem damit hat, mich umzubringen? Dann bin ich in wenigen Sekunden wohl tot. 

Nächstes mal sollte ich wirklich nachdenken, bevor ich etwas sage. Erneut seufzte er und sah mich einige Sekunden stumm an. Dann öffnete er den Mund. "Verschwinde. Verschwinde und ich habe dich nie gesehen", meinte er. Als wäre es sogar wichtig, mich zu töten. Musste er etwa jemandem Rechenschaft ablegen, sollte das hier herauskommen?

Ich wollte etwas sagen. Doch nun wurde er lauter. "Ich sagte verschwinde! Bevor ich es mir anders überlege!" Also dachte ich nicht weiter darüber nach und lief schnell zum Auto, wo ich die Taschen verstaute, einstieg und losfuhr. Zuhause angekommen blieb ich noch kurz sitzen und fuhr mir durchs Haar. Daves Doppelgänger war am Leben. 

New World: AfterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt