Kapitel 23

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"Ihr Tod ist nur etwas Wert, wenn keiner von euch mehr auf Erden wandelt", fauchte Cora, die offensichtlich wütend darüber war, dass meine Doppelgängerin Azzurras Namen in den Mund genommen hatte. Verständlich, denn es war ein unsinniger Tod. Sie hatte bereits jemanden aufgenommen.

Ich verstand sie also nicht. Was war ihr Plan? Wirklich nur Chaos? Wenn sie wenigstens halbwegs so dachte wie ich, dann steckte mehr dahinter. Sie tötete nicht unbedacht. Es waren gut ausgewählte Ziele. Malias Tod frustrierte Raziel. Azzurras ließ Cora nicht klar denken. Und Michaels Tod ließ einen Kontinent unbewacht.

"Nun dann", kam es von meiner Doppelgängerin. Sie schnipste mit ihren Fingern und mehr Soldaten tauchten auf. Langsam ging ich rückwärts. Das würden wir niemals gewinnen. "Geht." Es war Kenna, die das sagte. Schützend stellte sie sich nun vor uns. Kampfbereit. Das war wahnsinnig. Sie wird sterben.

"Ich dachte, du riskierst deinen Arsch für niemanden", erinnerte ich sie an ihre Worte. Sie würde für niemanden ihr Leben aufs Spiel setzen. "Ich werde ja nicht vollständig sterben", entgegnete sie. Nein, das würde sie nicht. Cora wird sie aufnehmen. "Wenigstens weiß ich, dass die Macht an eine vernünftige Person geht", fuhr sie fort. Auch Daves Doppelgänger postierte sich vor uns.

"Und mit Dave habe ich einen guten Partner. Los jetzt", sagte sie mit Nachdruck, als sie begannen zu kämpfen. Es war kein fairer Kampf. So viele gegen zwei. Doch Cora rannte los und zog mich mit. Wir hatten uns noch nicht einmal bedankt.

Ich konnte hören, dass einige von denen uns folgten. Wir bogen einige male ab, in der Hoffnung sie zu verwirren, doch stattdessen verwirrten wir uns nur selber. Denn ich hatte nun keine Ahnung mehr, wo genau wir überhaupt waren. 

Als wir erneut abbogen, rannten wir in Seth, der fast hingefallen wäre, sich aber noch fangen konnte. "Oh Gott", sagte Cora erschrocken, bis auch sie erleichtert feststellte, um wen es sich handelte. "Das trifft es", scherzte er. Unpassender Zeitpunkt, auch wenn es mich überraschte, dass er so etwas überhaupt konnte.

"Geh weg", kam es dann von Cora. Dann sah sie zu mir. "Ich will ihn nicht hier haben. Wegen ihm ist sie tot." Sie gab also auch ihm die Schuld an Azzurras Tod. Nicht nur alleine mir. Doch Seth tat nur, was Azzurra verlangte; uns wegbringen. 

Erneut ertönten Schritte. Die Soldaten. Wir mussten hier weg. Gerade als ich den Mund aufmachen wollte, ergriff Cora jedoch meine Hand und zog stark die Luft ein. "Sie ist tot. Kenna ist tot. Ich kann ihre Macht spüren", sagte sie leicht keuchend. Ja, dieser Moment konnte überwältigend sein. Allein daran zu denken, wie die Macht durch den Körper fließt, war berauschend.

Doch dafür blieb keine Zeit. "Cora hör zu, du musst sie bekämpfen", erklärte ich. "Wir müssen los", meinte Seth dann und griff nach unseren Händen. Wenige Sekunden später verschwamm alles und wir landeten an einem anderen Ort von London. Wie auch Cora, stolperte ich etwas zurück.

Erst jetzt fiel mir auf, dass wir nicht länger in der Stadt waren. Wir standen inmitten einer weiten Landschaft. Und es war nur ein Haus in der Nähe. Es war kleiner als unseres, doch immer noch größer als Häuser manch anderer Engel und Menschen. Von außen hatte es eine graue Farbe und ein tristes Dach. Es fiel nicht auf. Genau das wollte Freya vermutlich auch.

Luc und Noabelle saßen nebeneinander und standen auf, als wir ankamen. "Ich habe gewonnen", kam es plötzlich von Cora. Überrascht sah ich zu ihr. Hatte sie das? "Sie wollte nicht kämpfen und hat sofort aufgegeben." Erleichtert umarmte ich sie, doch sie erwiderte nur kurz. Das war mir allerdings egal. Cora blieb Cora. Einen weiteren Raziel könnten wir nicht gebrauchen.

Gemeinsam gingen wir zur Tür. Als ich merkte, dass diese nicht verschlossen war, ging ich einfach hinein. Es war ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte. Nicht schlicht und kalt, wie es die meisten Engel mochten. Es wirkte familiär. Sie hatte viele Bücher.

"Nicht einmal anklopfen kann sie", ertönte eine Stimme aus einem anderen Raum. Freya kam dort durch eine Tür und sah uns alle an. Im Gegensatz zu ihrem Haus überraschte ihr Aussehen mich nicht; geschminkt und gestylt wie immer. Auch das Landleben konnte ihr das scheinbar nicht nehmen.

Doch so war sie wohl nun einmal. Leicht musste ich lachen. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mich freuen würde, dich zu sehen", gab ich zu. Das ließ sogar sie leicht schmunzeln. "Gleichfalls. Was aber nicht heißt, dass ich dich umarme." Mit diesen Worten ging sie wieder in den anderen Raum.

Wie auch die anderen zog ich meine Schuhe aus und folgte ihr. "Wo sind sie?", wollte ich dann wissen. "Oben", antwortete sie knapp. Ohne zu zögern machte ich mich auf den Weg dorthin. Ich rannte fast. Als ich Raphael dann dort im engen Flur sah, umarmte ich ihn stürmisch. Er drückte mich an sich.

Dann küsste ich ihn sanft. Er lebte. "Wo ist Azzurra?", wollte er dann wissen. Wir hatten uns voneinander gelöst und er sah sich um. Cora stand alleine hier, um ihn ebenfalls zu begrüßen. Leicht schüttelte ich den Kopf, als er wieder zu mir sah. Brooke, die scheinbar alles von einem Türrahmen mitbekommen hat, umarmte Cora sofort.

"Michael hat uns verraten", sagte ich dann, nachdem ich kurz die ganze Situation erklärt habe, die wir erlebt haben. Raphael runzelte die Stirn. "An wen?", wollte er wissen, als läge das nicht auf der Hand. Hatte er diesem Erzengel wirklich so sehr vertraut? Ob er auch Gabriel einst vertraut hatte?

"An unsere Doppelgänger. Dann haben sie ihn getötet, weil ich nicht auf den Deal eingehen wollte." Erneut umarmte er mich. Dass Michael vor seinem Tod noch etwas sagte, verschwieg ich, bis ich wusste, ob es wichtig für uns war oder nicht. Nur wen sollte ich da fragen? Uriel würde ich niemals erreichen. Ob Seth etwas wusste?

Er war mehrere tausend Jahre alt. Da musste er doch ein wenig Ahnung haben, denn sollte Michael mich wirklich gewarnt haben - und das war dieser Satz doch, eine Warnung - hätten wir bald ein noch viel größeres Problem.

Doch zuerst widmete ich mich dann meinen Kindern; Troy und Clara. Wie sehr ich sie vermisst hatte. Verändert hatten sie sich zum Glück nicht, dafür war viel zu wenig Zeit vergangen. Doch wenn es nach mir ging, waren wir dennoch viel zu lange voneinander getrennt. Gemeinsam spielten wir ein Brettspiel.

Clara wurde dabei recht schnell ungeduldig, während Troy seinen Spaß dabei hatte. Er gewann sogar zwei unserer vier Runden. Dann hatte Clara keine Lust mehr und spielte stattdessen mit Bausteinen, wobei ihr großer Bruder ihr dann half. Zusammen bauten sie einen Turm, während ich mich auf den Weg zur Dusche machte. Die war mehr als nur notwendig.

New World: AfterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt