Kapitel 5

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"Ich kann's nicht glauben. Sogar dein Doppelgänger ist nett", kam es von Malia, die ungläubig den Kopf schüttelte. Ich hatte alle zusammengerufen. Auch Uriel und Michael waren hier, standen jedoch eher an der Wand. Abseits von uns. Mit allen zusammen wirkte das Wohnzimmer kleiner als sonst. Vielleicht, weil ich mich so an diese Leere gewöhnt hatte. 

Ich verdrehte die Augen, während Cora ihre Doppelgängerin die ganze Zeit musterte. Es musste seltsam sein, vor dem Abbild von einem selbst zu stehen. Meine Doppelgängerin wollte ich nicht treffen. Jedenfalls nicht zwingend. Doch vermutlich würde ich mich dem irgendwann stellen müssen. 

"Ich bin nicht...nett. Sondern wütend. Ich hasse es, wenn man mir etwas vorschreibt", erklärte Coras böse Version. Raphael nickte nur. Doch groß etwas dazu zu sagen hatte er noch nicht. "Heißt du eigentlich wirklich Cora?", wollte ich dann wissen. Mehr aus Neugier. Sie nickte. "Aber unten werde ich immer Kenna genannt. Wir hassen es, die gleichen Namen zu haben", meinte sie. Kenna. Sie erlaubte es uns, sie so zu nennen. Das würde es wohl einfacher machen.

Sie erklärte uns dann, was wir bereits wussten. Dass sie böse Doppelgänger sind. "Alle von euch kenne ich persönlich", sagte sie dann. "Hofft, dass ihr euch niemals begegnet." Warum? Waren wir wirklich so schlimm? Malia hakte nach. Kenna nickte. "Am schlimmsten seid ihr zwei", erklärte sie und zeigte auf Raphael und mich. 

"Raziels Doppelgänger kann ich nicht einschätzen", fuhr sie fort und zuckte mit den Schultern. "Habe ihn länger nicht gesehen. Malia, deiner lebt nicht mehr." Malia wirkte erleichtert. Wenigstens etwas Gutes. Brookes Doppelgängerin sei ebenfalls nicht die netteste Person der Welt und Freyas ebenfalls. 

Die Doppelgänger der Erzengel waren wohl allesamt wie sie es befürchtet hatten. Das klang nicht so rosig für uns. Im Gegenteil. "Sie wollen euch als Teil von sich selbst. Dafür erinnern sie euch an die schlechten Taten der Vergangenheit. Wenige können dann noch widerstehen", erklärte sie den Grund des auftauchen von ihnen. 

"Die Doppelgänger nehmen einen in sich auf und werden dadurch dann mächtig." Verwirrt runzelte ich die Stirn. "Und warum tust du das nicht?" Eine berechtigte Frage von Cora. Schließlich würde es auch sie stärker machen. Und damit unabhängiger. 

"Ich bin nicht nett. Und ich würde niemals jemandem den Arsch retten. Aber Macht? Wozu brauche ich die? Sie verführt nur. Und so ungern ich es auch zugebe, wäre sie bei meiner Art in den falschen Händen." Das klang sehr vernünftig. Sie wollte keine Macht, sondern Freiheit. Was sie vermutlich von all den anderen unterschied. 

* * *

Sie hatte sich eine Unterkunft hier in der Nähe genommen, weil sie verstand, dass wir sie nur ungern bei uns hatten. Schließlich waren hier Kinder. Nicht nur, dass sie verwirrt wären, wenn es Cora zweimal gibt. Ich hätte Angst um sie. Wir kannten Kenna nicht. Zu nah sollten wir sie also nicht an uns ranlassen. 

Ich ging in das Schlafzimmer, denn es war bereits sehr spät. Wir hatten länger geredet als erwartet. Doch ich traf nicht nur Raphael. Auch unsere Tochter lag im Bett. "Unser Bett ist definitiv zu klein", meinte er und ich schmunzelte. Dann zog ich mich schnell um, bevor ich mich zu den beiden legte. 

Doch nach schlafen war mir nicht. Stattdessen sah ich Raphael an. "Wie lief das Gespräch mit Raziel?", wollte ich leise wissen. Er hatte mit ihm über meine Bitte gesprochen, mehr auf die Menschen zu achten. Raziel hatte meinen Vorschlag unterstützt. Raphael seufzte. "Das muss eine Verschwörung gegen mich sein." Ich wusste, dass er scherzte, denn er grinste leicht. Dann wurde sein Blick ernst. 

"Ich schicke Soldaten, um sie zu schützen. Du hast recht, wir haben genug", sagte er dann. Er sagte auch, dass Raziel ihm angeboten habe, ihm dafür welche zu leihen. Doch er habe es ausgeschlagen. Und er hatte jeden Grund dazu. Auch auf Raziels Gebiet wurden Menschen und Engel bereits Opfer der Doppelgänger. 

Ich nahm die Hand, die er an meine Wange gelegt hatte und küsste sie. "Danke", flüsterte ich und er nickte leicht. Dann legte er seinen Arm um Clara und mich und schloss die Augen. Ich beobachtete ihn noch eine Weile. Er war so wunderschön. Hin und wieder hatte ich mich gefragt, weshalb er gerade mich ausgewählt hatte. 

Dann dachte ich immer an unsere Gespräche und Diskussionen. Wir passten zueinander. Ich wusste nicht, was genau es war. Doch wer wusste so etwas schon? Es war einfach so. Wir ergänzten uns. Ohne ihn würde ich manchmal vergessen, dass es Engel noch immer gibt. Und er würde hin und wieder die Menschen vergessen. 

Außerdem hatte ich ihn ihm einen Freund gefunden, den ich vielleicht so nie wieder gefunden hätte. Jemand der zuhört, mir aber auch mal die Meinung sagen kann. Ich liebte Raphael. Sogar sehr. Und das hatte sich in den letzten Jahren kein bisschen verändert. 

Am nächsten Morgen wachte ich durch Clara auf. Sie streichelte meine Hand. Leicht lächelnd und gähnend setzte ich mich dann auf. Raphael schlief noch immer. Ich sah zur Uhr. Es war noch recht früh. Nachdem ich aufgestanden bin, hob ich Clara hoch und ging gemeinsam mit ihr nach unten. 

Dort setzte ich sie in ihren Stuhl und reichte ihr Wasser in ihrem kleinen Becher. Ein Glück lief er auch dann nicht aus, wenn sie ihn runter schmiss. Was oft geschah. Dann ging ich wieder in die Küche und setzte den Kaffee an, bevor ich etwas Müsli in eine Schale mit Milch schüttete. Heute musste ich dringend einkaufen gehen. 

Brooke kam mit Troy in das Esszimmer, weshalb ich gleich eine zweite Schüssel vorbereitete und beide zu den Kindern brachte. Dann half ich Clara beim Essen, während Brooke mir nur müde dabei zusah. Troy hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sie jeden früh zu wecken, denn ihr Zimmer war neben seinem. 

Als ich fertig war, setzte ich Clara auf den Boden und stellte ihre Schüssel in der Küche in den Geschirrspüler, bevor ich mir und Cora eine Tasse Kaffee eingoss. Ihre ließ ich einfach stehen, mit meiner setzte ich mich wieder an den Tisch. Brooke hielt mir eine Banane hin, die ich dankend annahm. 

Da ich noch nicht allzu hungrig war, reichte mir das vorerst. "Ich muss heute einkaufen gehen", sagte ich und sie nickte. "Ja, der Kühlschrank ist ziemlich leer", entgegnete sie schmunzelnd. Als ich fragte, woher sie das wüsste, grinste sie. "Mitternachtssnack." Nun verdrehte ich ebenfalls grinsend die Augen. 

"Ich werde Clara mitnehmen", meinte ich dann. "Wirst du nicht", ertönte eine Stimme hinter mir. Raziel. Verwirrt drehte ich mich um. Seit wann entschied er so etwas? Er seufzte. "Du solltest sie nicht unnötig in Gefahr bringen, City." War sie denn draußen in Gefahr? Dann fiel mir ein, wie leicht Kenna hier rein kam. 

Und ich nickte. Ja, vielleicht sollte ich sie doch hier lassen. Das wäre besser für sie. Und Spielpartner hatten Troy und sie nun genug. Zwei von ihnen kamen gerade ebenfalls hier an. Azzurra und Cora. Letztere holte sich ihren Kaffee und das restliche Müsli aus der Küche und setzte sich. 

Wir redeten etwas über gestern. Bevor auch Raphael zu uns kam und ich mich für die nächste Stunde verabschiedete, denn sonst würden wir nichts mehr zu Essen haben. Also zog ich mir schnell etwas drüber und ging zu dem Auto. Es war noch immer das, mit dem Dave und ich damals einkaufen waren.

Am Laden angekommen stieg ich aus und kaufte, was wir brauchten. Essen, Trinken, unnütze Sachen. Alles war wie immer. Mit zwei Tüten verließ ich dann den Laden und konnte meinen Augen nicht trauen. Das konnte einfach nicht wahr sein. "Dave?", fragte ich verwirrt und er drehte sich um, nachdem er an mir vorbeigelaufen war.

New World: AfterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt