Kapitel 17

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Doppelgänger

Citiana saß genervt auf ihrem Sessel. Raphael stand neben ihr. Fast hatte sie ihre menschliche Version. Doch sie wurde beschützt. Sie hatte zu viele Freunde. Deshalb musste Plan B greifen. Und dieser trat in dem Moment in Kraft, als Raziel von seinem Erzengel aufgenommen wurde. Wie erwartet verschmolzen ihre Persönlichkeiten. Darauf setzte sie.

Denn wenn sie Citiana nicht kampflos bekommen würde, musste sie die Gruppe spalten. Und Raziel war gut darin. Im Gegensatz zu seinem Erzengel, der Raphael ein treuer Bruder war, war der Raziel, den sie kannte, das genaue Gegenteil; ein Psychopath. Seine Taten in der Vergangenheit, bevor er von dem Erzengel gelöst wurde, bewiesen das nur zu gut.

Wie gewünscht hatte er Citiana von den Kreaturen in dem Keller erzählt. Nur gehörten sie nicht ihm, sondern ihr. Und ihre menschliche Version war darauf reingefallen. Hatte sogar einem von ihnen vertraut. Und dann auch noch Seth; dem Totengott. Die mächtigste Kreatur auf ihrer Seite. Denn alles was er wollte, war endlich frei sein. Genau das hatten sie und Raphael ihm versprochen. Dafür half er sogar dem Feind.

"Du denkst, dass es funktioniert?", wollte Raphael wissen. Nun grinste Citiana. "Natürlich", antwortete sie. "Raziels Brief war ausführlich. Er muss es nur noch schaffen, dass ein Streit zwischen den anderen entsteht." Und da kam Seth ins Spiel. Sie sah ihren Geliebten an, der nun ebenfalls ein Grinsen auf den Lippen hatte.

Sie hingegen wurde ernst. "Du kennst deine Aufgabe, wenn es bei dir soweit ist, oder?", wollte sie wissen, um auf Nummer sicher zu gehen. Er nickte. Perfekt. Im Grunde konnte nichts mehr schief gehen.

Citiana

Ich stand unter der Dusche, als Raphael ins Bad kam. Schmunzelt trat ich aus der Dusche. Er legte mir das Handtuch um und zog mich etwas an sich. Seine Brust war warm. Ich lächelte und sah zu ihm auf. Wenige Sekunden später legten sich seine Flügel um mich. Die weichen Federn berührten meine Haut an einigen Stellen.

Wie gern ich sie berühren würde. Scheinbar konnte er mir das ansehen, denn sanft griff er nach meiner Hand und führte sie zu einem der Flügel, wo er sie dann ablegte. Überrascht sah ich erst dorthin, dann zu ihm. Das fiel ihm nicht leicht. Es rief noch immer Erinnerungen hervor. Vorsichtig strich ich darüber und konnte kleine Narben fühlen.

Freya hatte nichts damit zutun. Niemand konnte mir das vormachen. Ich kannte sie. Vielleicht wollte sie seine Macht, doch genauso wollte sie sein Vertrauen und seinen Respekt. Niemals hätte sie ihm körperlich so sehr wehgetan. Ich legte beide Hände an seine Wangen. Eine Träne lief meine Wange hinunter.

"Wer hat dir das nur angetan?", flüsterte ich. Darauf musste er nicht antworten. Das wusste er. Lange betrachtete er mein Gesicht. "Das kann ich dir nicht sagen", antwortete er dann. "Deinen Hass möchte ich nicht erleben. Ich habe dieser Person verziehen." Also kannte ich den Übeltäter. 

Er schaute für einen kurzen Moment an mir vorbei und stieß ein leises Seufzen aus. Er schien sich für einen Moment an die Schmerzen zu erinnern. Zumindest würde das erklären, weshalb er kurz zusammen zuckte. Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen, um ihm einen sanften Kuss zu geben. Anschließend schlang ich liebevoll meine Arme um ihn. 

Er sollte wissen, dass ich es respektierte, wenn er mir den Namen nicht verraten möchte. Nach gefühlten fünf Minuten löste ich mich leicht aus der Umarmung, meine Arme immer noch um seinen Hals liegend. Dabei sah ich ihm tief in die Augen. Was ging nur in seinem Kopf, vor wenn er an diese Zeiten zurückdachte?

Hatte er das Gesicht seines Peinigers vor Augen? Spürte er alles von neuem? Seine Arme lagen ebenfalls um meinen dünnen Körper. Erneut drückte er mich an sich. Eine Hand legte ich an seinen Kopf. Ich liebte ihn so sehr. Vielleicht war es richtig, mir den Namen nicht zu nennen, denn er hatte Recht; ich würde diese Person hassen.

Als wir uns schlussendlich voneinander lösten, zog ich das Handtuch fester um mich. Es war Zeit für das Abendessen, das Azzurra und Cora vorbereitet haben. Wir sollten sie wohl nicht zu lange warten lassen. Kurz küsste ich ihn auf die Wange. "Wir sehen uns beim Essen", sagte ich. 

Nun schenkte er mir ein leichtes Lächeln, als wären all die Sorgen von gerade wieder verflogen. Er nickte und ich verließ das Bad, um mich in unserem Schlafzimmer umziehen zu können. Schnell schlüpfte ich in mein Nachthemd. Dann ging ich hinunter. Alle saßen bereits. Nur Seth und Raphael fehlten.

Letzterer betrat jedoch direkt nach mir den Raum und setzte sich. Stumm nahm sich jeder etwas und begann zu essen. Der Vorfall mit Raziel war immer noch recht frisch. Kurz sah ich zu ihm. Er war auf einmal so anders als früher. Damals schätzte ich ihn für seine Loyalität und seine ausgestrahlte Ruhe.

"Wo ist unser neuer Psycho?", kam es dann von ihm. Sprach er etwa von Seth? Wieso bitte nannte er ihn so? Er war kein Psychopath. Ich wusste auch nicht, wie er darauf kam. Im Grunde kannte er ihn nicht. Jedenfalls diese Gestalt nicht. "Nenn ihn nicht so", entgegnete ich deshalb.

"Wo ist Dave?", wollte Cora dann wissen. Scheinbar auch, um von der Situation etwas abzulenken. Raziel zu reizen wäre nicht klug. Das hatten wir heute ja fast alle schon mitbekommen. "Bei Kenna. Er will nicht hier im Haus sein", antwortete Raphael und ich nickte zustimmend.

Außerdem wollte sie keiner hier haben. Aus Angst. Obwohl ich diese mittlerweile etwas unbegründet fand, denn würden sie uns etwas antun wollen, hätten sie das längst. Kenna hätte ihre Chance gehabt, als wir gemeinsam zu den Kreaturen gegangen sind. Doch anstatt mich zu töten, stand sie mir bei, auch wenn sie nicht überzeugt von allem war.

Außerdem hatte sie mir im Einkaufszentrum das Leben gerettet und gesagt, ich dürfe nicht sterben. Also war es für sie wichtig, dass meine Doppelgängerin mich nicht bekam. Sie war auf unserer Seite. Nur bei Dave war ich mir da noch nicht allzu sicher, denn ihn konnte ich nicht einschätzen. Das war nicht mein bester Freund, der immer zu uns stand. 

"Der Psycho sollte ebenfalls dorthin", meinte Raziel und ignorierte die kurze Zwischenunterhaltung, als wäre diese nie wirklich passiert. Ich seufzte. Während Cora sich auf meine Seite stellte, blieb Azzurra parteilos. Zwar hatte sie mich davor gewarnt, vorsichtig zu sein, sprach das jedoch hier nicht an.

Raphael verstand das Problem nicht, er finde Seth ganz sympathisch. Innerlich fragte ich mich, ob er das auch gesagt hätte, wenn er wüsste, dass es sich um den Totengott handelte. Ihre Begegnung musste ja nicht wirklich prickelnd gewesen sein. Jedenfalls klang es so.

Raziel hatte schließlich erst einmal nichts mehr dazu gesagt. Später lag ich neben Raphael und sah ihn an. Ich vermisste Clara in diesem Bett. Nein, nicht nur in diesem Bett. Ich vermisste sie im allgemeinen. Genauso wie Troy. Sie fehlten hier. 

Mit seinen Finger strich Raphael meinen Arm entlang. "Ich liebe dich", sagte ich, was ihn lächeln ließ. Das musste ich ihm einfach sagen. So oft ich konnte. Und nicht nur das, ich musste es ihm auch zeigen. Man wusste nie, welcher Tag unser letzter auf Erden sein wird. Also rollte ich mich auf ihn und legte meine Lippen auf seine.


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