Kapitel 20

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Dann schaltete mein Kopf sich jedoch wieder ein. Ich hatte Raphael. Wir waren glücklich. Was auch immer ich gerade gefühlt hatte - oder mir einbildete, gefühlt zu haben - war falsch und durfte nicht sein. Schnell wich ich zurück und räusperte mich. 

Während mein Inneres nun komplett verwirrt war, sah er mich noch immer mit dem gleichen undurchdringlichen Blick an, wie er es gerade getan hat. Man sah ihm nicht an, was er fühlte. Konnte er überhaupt Gefühle haben? 

Die Situation war mir unangenehm und gern hätte ich einfach über irgendein Thema geredet, doch ich konnte es nicht. Aus welchen Gründen auch immer. Er wollte gerade den Mund öffnen, als er zusammenzuckte und sich leicht krümmte. Besorgt sah ich zu ihm.

Seth sah auf. Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben. "Luc", sagte er während er aufsah. "Ihr müsst das Haus verlassen." Was? Wieso? Auf einmal kam ein Geräusch aus einem der anderen Räume. Woher genau, das konnte ich nicht genau identifizieren. Doch es klang, als wäre jemand gegen eine Wand geschleudert worden.

Sofort wollte ich in die Richtung laufen, doch Seth hielt mich fest. Verwirrt sah ich zu ihm. Wenn etwas passiert ist, musste ich helfen. Das waren meine Freunde. Den Zeigefinger seiner freien Hand legte er an seinen Mund; ein Signal, still zu sein. "Wir sind unsichtbar", flüsterte er. Unsichtbar? Man konnte uns nicht sehen? Würde ich das ebenfalls können?

Er nickte als Antwort leicht. "Du musst einfach nur daran denken", erklärte er mir genauso leise. Nun nickte ich und versuchte, mich unsichtbar zu machen. Dabei ließ er mich los und war verschwunden. "Es funktioniert", sagte er dann. Erst wollte ich wieder nicken, doch vermutlich konnte er das nicht sehen.

Dann erinnerte ich mich daran, dass ich ihn sehen konnte, als er mich berührt hatte. Also versuchte ich nach seinem Arm zu greifen und schien ihn auch zu erwischen. Seth tauchte wieder vor mir auf. Kurz darauf liefen wir los. Falls sie Hilfe brauchen, musste ich dort sein. Sie würden uns brauchen. 

Mein Schwert, dachte ich. Seth verschwand für ein paar Sekunden und tauchte mit diesem in seiner Hand wieder auf. Ich nahm es entgegen und wollte den Mund öffnen. "Nein, das kannst du nicht", antwortete er auf meine innerlich gestellte Frage. Schade, dachte ich. Doch ich er teilte nicht all seine Kräfte, denn das war kein Bund.

Ich würde jedoch mit einem von mir erzeugten Dampf Engel und Menschen zu Asche verwandeln können. Obwohl, verwandeln konnte man das nicht nennen, denn das war nur die Folge der Hitze des Dampfes. Das musste Seth mir allerdings noch beibringen.

Wir kamen im Wohnzimmer an. Es war komplett verwüstet. Azzurra schützte gerade Cora, die mutig und ängstlich zugleich wirkte. In einer Hand hielt sie ein großes Messer, was jedoch kaum bis gar keinen Schaden anrichten wird. "Wir müssen sie hier raus holen", flüsterte ich Seth zu, welcher nickte. 

Langsam und möglichst lautlos schlichen wir uns an allen vorbei, während Azzurra und Cora kämpften. Wo Raphael und Raziel waren, wusste ich allerdings nicht. Waren sie überhaupt im Haus gewesen? Schließlich trainierte Raphael gerade mit Kenna. Und Raziel, bei dem wusste man derzeit sowieso nichts mehr.

Vor Cora blieben wir stehen. Ich griff ihren Arm und sie wollte schreien, doch Seth legte seine Hand auf ihren Mund, damit die Tarnung nicht aufflog. Schnell erklärte ich ihr leise alles. Sie nickte und Seth ließ ihren Mund los. "Raziel wollte zu Freya", erklärte sie. "Raphael denkt, du seist bereits auf dem Weg dorthin", fuhr sie fort und sagte, dass er deshalb ebenfalls dorthin auf dem Weg war.

"Dave und Kenna werden wir dann wohl nie wieder sehen", schlussfolgerte ich. "Unterschätze die zwei nicht", entgegnete Seth. Dann wollte ich wissen, wie genau wir zu Freya kommen sollten. Wir hatten hier nur noch einen Engel. Und Azzurra musste in diesem Kampf ordentlich einstecken.

Seth erklärte, er könne uns teleportieren. "Aber immer nur kleine Stück-" Doch den Satz konnte er nicht beenden, denn Cora ließ mich los und schrie leicht. Sie sah in eine Richtung und ich folgte ihrem Blick. Azzurra hatte es scheinbar schwer erwischt. Automatisch konnte ich spüren, wie auch ich sichtbar wurde.

Plötzlich waren alle Augen auf uns gerichtet, während Azzurra sich aufrappelte. Es waren nur wenige Seelen. Das meiste mussten Doppelgänger seien. "Wir sind tot", sagte ich und Cora stimmte dem mit einem Nicken zu. "Ich bringe euch hier raus", kam es leise von Seth.

Erst wollte ich nicken, doch dann blickte ich in eine Ecke. Das Mädchen von vorhin kauerte dort. Sie war wach, was ein gutes Zeichen war. Und sie hatten sie in Ruhe gelassen. Vielleicht hatten sie sie noch nicht gesehen. Doch wir konnten nicht sicher sein, dass es so bleiben würde. "Bring erst sie fort und hole uns dann. Solange halten wir durch", entgegnete ich. 

Er sagte, er sei in wenigen Minuten wieder da. Ein paar Sekunden später verschwand das Mädchen und ich griff nach meinem Schwert. Ich war dank Seth stärker als früher. Doch das hier waren zu viele. Wenn er nicht bald kommen würde, waren wir tot.

Eine der Seelen griff mich an und mit nur einem Schwertschwung vernichtete ich sie. Ob sie für immer von der Erde verschwunden war, wusste ich nicht. Doch ich hoffte es sehr. Es war besser für alle. Erneut wurde Azzurra im Kampf erwischt. Gern würde ich ihr zur Hilfe eilen, doch ich wusste, was für eine gute Kämpferin sie war. Cora brauchte mehr Schutz.

Dann tauchte Seth vor uns auf. Mit nur einer Handbewegung tötete er zwei der Doppelgänger, dann sah er zu Cora und mir. "Wir müssen los", sagte er. Eine Aufforderung, keine Bitte. Mein Blick fiel auf Azzurra, die gerade eine Seele tötete und zu uns sah. "Geht. Raphael wird merken, dass du nicht bei Freya bist. Und dann wird er sauer. Ich halte hier die Stellung." Kein 'ich werde nachkommen'. Denn das wäre eine Lüge.

Sie würde nicht nachkommen können, denn wenn sie bleibt, stirbt sie. "Aber du wirst sterben!" Es war Cora, die das sagte. Azzurra tötete eine weitere Seele, dann schenkte sie ihr ein Lächeln. "Ich weiß, ich will es so. Und jetzt geht." Dann wurde sie von einem Doppelgänger angegriffen. Ich wusste nicht, wo dieser herkam oder wie sie es mit so vielen auf einmal aufnehmen konnte.

"Nein, ich bleibe auch", protestierte Cora. Es musste schwer sein zu akzeptieren, dass Azzurra sterben würde. Cora würde die Liebe ihres Lebens verlieren. Eine grausame Vorstellung und es tat mir leid, dass ich ihr diese Entscheidung nehmen würde.

Denn ich nickte Seth zu. Dann griff er nach unseren Armen. Mein letzter Blick glitt zu Azzurra. Auch, wenn die Welt um mich herum gerade verschwamm, konnte ich noch erkennen, wie Azzurra sich den Todesstoß selber verpasste. 

A/N: RIP Azzurra.

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