Kapitel 39

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Wie sich herausstellte, handelte es sich um ein kleines Mädchen. Noabelle sagte, Luc habe es hinter dem Haus gefunden. Jemand musste es also absichtlich hier abgelegt haben. Irgendwer vertraute uns dieses kleine Kind an. Nur wieso?

"Es lag eine Nachricht dabei", sagte Noabelle und sah sich um, als die anderen darüber diskutierten, was man mit dem Kind machen sollte. Doch sie sagte es leise und zeigte den Zettel nur mir, als wolle sie nicht, dass die anderen ihn sehen. Ich runzelte die Stirn und las ihn mir durch.

Dieses Kind ist ein Wunder. Behandelt es als solches, denn nur euch vertraue ich es an. Im Haus mit dem Feind ist es am besten aufgehoben.

Im Haus mit dem Feind? Fragend sah ich zu Noabelle, die kurz zu Metatron sah, der ebenfalls mit im Haus stand. Sie musste von Luc wissen, dass wir ihn verdächtigten. Ich sah wieder zum Kind. Wer auch immer es hergebracht hat, versuchte es vor ihm zu schützen. Auffällig ist manchmal unauffällig.

"Wir werden das Kind hierbehalten", verkündete ich und steckte den Zettel in meine Hosentasche. Raziel sah mich überrascht an, genauso wie die anderen. "Wir können es nicht draußen lassen", meinte ich. Das konnte ich als Mutter nicht zulassen.

"Ich werde es wie meine Tochter aufziehen." Es waren Noabelles Worte. Überrascht sah ich nun zu ihr, lächelte dann jedoch. Eine große Geste, aber liebevoll. Luc legte einen Arm um sie. "Ich helfe dir dabei", sagte er und küsste sie auf ihre Wange. Sie waren also mehr als Freunde, wie es den Anschein hatte. Aber sie waren süß und sorgten sich umeinander. Ich freute mich für beide.

Ich ging mit ihr nach oben in Freyas Schlafzimmer und gab ihr Sachen von Clara, die Brooke mit hierher genommen hatte. Sie waren allesamt zu groß, doch mehr hatten wir nicht und es war kalt. Die Kleine sollte warm bleiben.

Noabelle setzte sich dann auf das Bett. Das Baby hatte sie im Arm und schaukelte es hin und her. Dann sah sie zu mir. "Nimm Luc mit", sagte sie und ich runzelte die Stirn. Wohin sollte ich ihn mitnehmen?

"Du wolltest weg. Das habe ich dir angesehen", erklärte sie sich. "Also nimm ihn mit. Ich will nicht, dass du stirbst. Von allen hier mag ich dich neben Luc am meisten." Das war ein Kompliment, das mich zum lächeln brachte. Ich nickte.

* * *

Wenig später liefen Luc und ich wieder durch die Gassen Londons. Raphael hatte ich gesagt, ich würde eine Runde joggen gehen. Eine Lüge mehr oder weniger war nun auch nicht mehr wichtig und heute Abend würde ich ihm dann die Wahrheit sagen. 

"Weißt du, wo Seth hinwollte?", fragte ich während wir liefen. Kurz sah er zu mir, bevor er wieder nach vorn sah. "Natürlich weißt du es", sagte ich dann seufzend. Ich konnte das nicht vergessen. Wollte er sich mit jemandem treffen? Wenn ja, mit wem?

"Du solltest dir keine Sorgen machen", meinte Luc dann. "Er wird wieder kommen." Darüber machte ich mir keine Sorgen. Er war ein Totengott und schwer zu töten. Verschwinden würde er auch nicht, solange Luc hier war.

"Ist es etwas schlimmes?", wollte ich dann wissen. Wir waren bereits wieder an dem alten Lagerhaus, als er sich umdrehte und mich mit seinen braunen Augen ansah. "Seth ist ein guter Kerl. Wenn er geht ohne zu sagen wohin, dann um andere zu schützen, aber niemals um jemandem zu schaden." 

Ich nickte leicht. Das hoffte ich sehr. Das letzte was wir jetzt brauchten, waren noch mehr Probleme. Dann schenkte Luc mir ein leichtes Lächeln und wir betraten die riesige Halle, in der wir erst gestern waren. 

Dave kam sofort auf uns zu. Er wirkte wütend. "Was sollte das gestern?", wollte er wissen und blieb kurz vor uns stehen. Hatte es ihn auch erwischt? Immerhin lebte er noch. "Das ist eine etwas längere Geschichte", meinte ich. Er hob eine Augenbraue.

"Dann fang an. Ich habe Zeit." Ich aber nicht, dachte ich. Doch eine Wahl hatte ich nicht, also erzählte ich ihm eine Zusammenfassung von gestern Abend. Wie Metatron aufgetaucht war und was er mit Raphael und Raziel getan hatte. Etwas, was ich definitiv nicht gut hieß. 

Langsam nickte er und seufzte dann. "Wollt ihr wieder zu ihr?", wollte er dann wissen und jetzt war ich diejenige, die nickte. Er erklärte uns den Weg zu ihrem neusten Versteck. Dieses mal keine Warnung vor Wachen oder sonstiges. 

Wir verabschiedeten uns kurz und gingen sofort los. Je schneller wir dort waren, desto besser. Dieses mal führte uns Daves Beschreibung in eine Gegend, in der die Häuser noch immer völlig zerstört waren. Hier hausten die Ärmsten. Der Anblick machte mich traurig, denn weder Menschen noch Engel wollten das hier in Angriff nehmen.Dabei brauchte es nicht viel. 

Meist soll hier viel Betrieb sein. Doch heute war nicht allzu viel los. Ob das an dem lag, was in der Nacht geschehen ist? Hatten sie das mitbekommen? Waren hier vielleicht auch andere Doppelgänger untergekommen? Niemand würde uns das sagen, selbst wenn wir fragten. Man kannte mich. Die Leute hier mochten mich vermutlich nicht wirklich.

Wir kamen nach einer Weile an dem Haus mit der von Dave genannten Hausnummer an. Es sah nicht besser aus als die anderen. Luc und ich sahen uns kurz an, bevor wir nickten und langsam hinein gingen. Drinnen war alles voller Staub und Dreck. Die Möbel, die noch standen, mussten alt sein. In diesem Haus war eine Ewigkeit niemand mehr. 

Und doch hielt sich meine Doppelgängerin laut Dave hier auf. Wir durchsuchten die Räume und standen schließlich vor der letzten Tür in diesem Haus. Langsam öffnete ich sie und dort saß sie und hielt sich die Seite. Als sie uns hörte, sah sie sofort auf. Allerdings wirkte sie nicht begeistert, uns, oder vielmehr mich, zu sehen.

"Wenn du mich töten und aufnehmen willst, bitte. Dein Freund oder Mann hat einen guten Anfang gemacht", zischte sie und stand langsam auf, wobei sie ihr Gesicht verzog, als hätte sie Schmerzen. Konnte man Doppelgänger wirklich verletzen? Scheinbar ging das. 

Ich betrachtete sie. Es überraschte mich, dass sie alleine war. Ohne irgendeinen anderen Doppelgänger. Das war man von ihr kaum gewohnt. Bisher war sie nur einmal ganz alleine irgendwo aufgetaucht und zwar bei Freya Zuhause.

"Wir sollten reden", meinte ich und ging auf ihren Kommentar gar nicht erst ein. Sie hob eine Augenbraue. "Wirklich? Raphael wollte es gestern nicht", sagte sie. "Er und sein Bruder haben sie alle abgeschlachtet. Die meisten hatten nur niemanden mehr, der sie aufnehmen könnte." Sie wirkte wirklich betrübt darüber, als wären die Doppelgänger ihr wirklich wichtig gewesen.

Schwer zu glauben, dass dem so war. Vor allem wenn man sie so kennengelernt hatte, wie wir. "Metatron hat sie dazu gebracht", sagte ich schließlich. Ein Satz, der sie zu überraschen schien. Etwas, womit meine Doppelgängerin wohl nicht gerettet hatte.

"Engel", sagte sie dann. "Diese verdammten Mistviecher." Sie schien Engel wirklich zu hassen. Das war weder für Luc noch für mich neu. Dann sah sie mich mit ernster Miene an. "Du musst mich aufnehmen, Citiana."

New World: AfterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt