Kapitel 4

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Die Schwester schloss die Tür wieder.

Einige Stunden später klopfte es wieder und ohne auf ein ,,Ja?" zu warten, traten zwei Polizisten ein. Sofort stieg die Panik in mir hoch: Was soll ich denen denn sagen, was passiert ist?!

,,Guten Morgen, Sie sind Hannah Wegner, richtig?", begrüßte mich der Polizist und zog die Hand zurück, die er noch eben in meine Richtung bewegt hatte, um zu einem begrüßenden Händeschütteln anzusetzen. Entweder er hatte es sich aus Angst vor Keimen anders überlegt, da wir schließlich in einem Krankenhaus waren, oder er hatte die Infusionsnadel bemerkt, die in meiner Hand steckte und die auch ich erst jetzt zur Kenntnis genommen hatte. Peinlich berührt ließ er sie zurück zu seinem Notizblock gleiten, um so zu tun, als würde er noch einmal nachlesen wollen, wieso er mich befragen sollte. Seine Kollegin schien ihm aus der Patsche helfen zu wollen und meldete sich nun auch zu Wort. Sie schien auf einer freundschaftlichen Ebene herausfinden zu wollen, wieso ich so aussah, wie ich aussah.
,,Hannah, ich darf doch du sagen, oder?" ,,Nein." Antwortete ich und sah zu, wie ihr Mundwinkel dabei war, hinunterzuklappen. ,,Ja", verbesserte ich mich.

,,Also ähm... mein Kollege und ich sind hier, um dir ein paar Fragen zu stellen." Ich hatte die Befragung lange genug hinausgezögert, was sollte ich tun? Wenn ich ihr die Wahrheit sagen würde, würde es Steffens seltsamen Kunden bestimmt nicht gefallen und ihm selbst noch weniger.

Es sollte mir eigentlich egal sein, was Steffen gefallen würde und was nicht, aber das Risiko, noch einmal so zugerichtet zu werden, wollte ich nicht eingehen. ,,Hannah, die Dame, die dich gestern ins Krankenhaus gebracht hat, kanntest du sie?" eine einfache Frage, aber es war nur der Anfang. ,,Nein." Solange ich nur mit ,,Ja" oder ,,Nein" antworten würde, konnte nichts passieren...

Es folgten einfache Fragen, die mich anscheinend langsam dazu bringen sollten ihr zu vertrauen, bis sie schließlich wissen wollte, wieso ich halbnackt an der Straße stand. ,,Ich habe gehofft mich würde jemand mitnehmen in die nächste Stadt", antwortete ich. Der Kollege wandte sich zur Polizistin ,,Hör mal, ich schätze, das bringt nichts." Er hatte Recht, ich würde ihnen nichts sagen. ,,Lass uns doch kurz mal alleine", funkelte sie ihn an , überzeugt davon, die Wahrheit aus mir herauszuquetschen. Sie nahm sich einen Stuhl vom Fenster und stellte diesen an mein Bett. ,,Wie bist du da hingekommen?" Ich erfand ein missglücktes Date, das ich übers Internet kennengelernt hatte. ,,Haben du und dieser Junge euch gestritten?" fragte sie, sie schien den Schwachsinn zu glauben. ,,Ja, er hatte andere Absichten als ich, wir sind in seinem Auto gefahren, nachdem wir einen Kaffee getrunken hatten, er ist ausgeflippt, hat am Feld angehalten und hat mich rausgeworfen, davor hat er mir meine Tasche geklaut." Ich zitterte und konnte ihr kaum in die Augen sehen. Ich hatte noch nie einen Polizisten angelogen und es fühlte sich falsch an, aber wie sollte ich bitte die Wahrheit sagen?
,,Was genau ist passiert bevor der Junge dich aus dem Auto geworfen hat?" Na toll, jetzt muss ich mir noch mehr Schwachsinn ausdenken...
,,Ich weiß nicht mehr...irgendwie ist die Erinnerung so verschwommen... mir war plötzlich ganz schwindlig..." Sie notierte sich, was ich gesagt hatte.

,,Die Schwester hat etwas von einem Verdacht auf Drogen gesagt, es scheint mir auch alles logisch, der Junge könnte dir KO-Tropfen in deinen Kaffee getan haben, das kann man natürlich nicht mehr beweisen, aber wieso hast du dann ein Einstichloch an deinem Arm?" ,,Vom Blut abnehmen, schätze ich, ich war erst vorgestern beim Arzt", stammelte ich, sie notierte sich alles, aber schien mir trotzdem nicht zu glauben. ,,Das reicht dann erstmal, auch wenn du gestern noch etwas komplett anderes erzählt hast." Ich schluckte, ich konnte mich nicht mehr erinnern, was ich gestern vorgelogen hatte, verdammt!

,,Es war mir peinlich, gleich die Wahrheit zu sagen." Wieder eine Lüge.

Sie ging nicht weiter darauf ein.
,,Jetzt bräuchte ich noch die Adresse deiner Eltern." Scheiße, meine Mutter darf nichts davon erfahren...
Was wenn...
,,Ja also das ist..." Ich legte absichtlich eine Pause ein und hielt meine Hand in die Nähe meiner Rippen. ,,Ich..." ich verzog das Gesicht als hätte ich plötzlich stechende Schmerzen. Ich krümmte mich auf dem Bett und hoffte es würde funktionieren. ,,Ich hole eine Schwester", sagte die Polizistin und verließ das Zimmer.

Gegen Nachmittag kam endlich Erna. Sie brachte frische Blumen und einen Teddybären, auf dem ,,Gute Besserung!" stand.

Sie war einfach zu gutmütig für diese grausame Welt, in der wir lebten.

,,Was ist los, Hannah?", fragte sie.

,,Woher...?", fing ich an, doch sie unterbrach mich: ,,Die Krankenschwester hat mir deinen Namen gesagt, ich bin nicht böse, dass du mir nicht gleich vertraut hast."

,,Oh und Maya stand dir übrigens ausgezeichnet", fügte sie noch hinzu. Ich musste lächeln, auch wenn ich es nicht wirklich wollte. ,,Erna, hilf mir! Sie wollen mich in eine psychiatrische Anstalt stecken!", flüsterte ich. ,,Aber dort kann man dir helfen, Kindchen."
,,Nein. Du verstehst es nicht, Erna, niemand will mir helfen, sie denken nur, ich hab sie nicht mehr alle... Sie stopfen mich mit Medikamenten voll, das hilft mir nicht", flüsterte ich wieder und dieses Mal etwas panischer.

,,Warte hier, Hannah", sagte sie auf einmal sehr entschlossen. ,,Nein, bitte lass mich nicht alleine!", sagte ich weinend. ,,Vertrau mir." Dann verließ sie einfach das Zimmer.

FuckedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt