Kapitel 17

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"Ich habe ihn mit 14 kennengelernt, aber dann ging es ganz schnell...", sagte ich leise. Die Offenbarung war schon viel gewesen, aber mir war klar, dass ich das mit ihrem Vater hätte lassen sollen. "Du wirst dein blaues Wunder erleben, Hannah! Ich werde es der ganzen Schule erzählen! Das war's mit uns!", schrie sie.

 Bevor sie ging, gab sie mir eine Ohrfeige. Dann machte sie sich auf den Weg zum Platz. "Ich flehe dich an! Amalia! Amalia!", rief ich, doch der Rest wurde in Weinen erstickt. Ich blieb im Feld sitzen und schlief fast ein, da kam Amalia zurück. "Ich habe die Bushaltestelle gesucht. Mila stand da am Strich. Ich... Ich... es war ganz sicher Mila!" Sie zitterte, weil sie sich kaum traute, auszusprechen, was sie gesehen hatte. 

"Bestimmt hat die auch schon mal deinen Vater gefickt", sagte ich energisch und ohne nachzudenken. "Ich bring dich um, du verfickte Schlampe!", schrie sie lauthals und rannte auf mich zu. Sie packte mich am Hals und begann damit, mich zu würgen. Ich bekam keine Luft mehr. Ich wollte schreien oder sie darum bitten, aufzuhören, doch ich brauchte alle Luft zum Atmen. Mit ihrer Tasche schlug sie wieder und wieder in mein Gesicht. "Am..." Ich bekam keinen Ton heraus. "Stirb, du kleine Bitch!", schrie sie. Ich versuchte erfolglos, sie von mir wegzudrücken. Nach ein paar weiteren Sekunden hörte sie endlich auf, da sie selbst keine Kraft mehr hatte. 

Ich blieb auf der Seite liegen und keuchte. Alles um mich herum war schummrig und ich blinzelte immer wieder, um mich bei Bewusstsein zu halten. Amalia setze sich neben mich und holte eine Packung Zigaretten aus ihrer Handtasche, die mit meinem Blut verschmiert war. Sie zündete sich seelenruhig eine an und blieb sitzen. "Haste verdient", sagte sie schließlich, doch ich konzentrierte mich weiterhin aufs Atmen. Ich wischte mir das Blut vom Mund. Sie hatte mich nicht schlimm erwischt.

 "Ich weiß", sagte ich Minuten später. "Du..." Ich versuchte zu atmen, "du hast dich geritzt?", fragte ich. "Ja, aber ich will nicht darüber sprechen...", murmelte sie mit ihrer Zigarette im Mund. Sie raffte sich schließlich auf, um zu gehen, und so tat ich es ihr gleich. Den kompletten Weg über schwiegen wir, denn wir beide wussten nicht, was wir noch bereden sollte. Als wir ausstiegen, sagte sie: "Bitte ruf oder schreib mich nie wieder an, Hannah." Dann kehrte sie mir wohl für immer den Rücken zu. 

Ich schätze, Amalia war meine einzige und letzte Freundin, obwohl ich nur dafür da gewesen war, um sie anzuhimmeln, vermisste ich sie jetzt schon. Als ich endlich wieder in meinem Zimmer saß, brachen nur noch die Tränen über mich herein. Ich brauchte irgendetwas, um den Schmerz zu betäuben, denn er zerfraß mich und brachte mich innerlich um. In meiner Zerstörungswut zog ich mein Shirt aus und riss ein Mal kräftig an einem der Fäden, mit denen Jens meine Schnittwunden genäht hatte. Es fühlte sich viel intensiver an als mit den Klingen und so zog ich noch einen Faden ruckartig heraus, sodass das Blut aus einem der Schnitte herausströmte. Ich lachte, denn mir gefiel das Gefühl, mich so zuzurichten. Ich hatte es nicht anders verdient, ich musste nicht einmal aufschreiben oder heulen vor Schmerzen, denn dieser war längst nicht so schlimm wie der in mir drin. Die anderen Schnitte ließ ich geschlossen, da ich nicht wollte, dass Tristan etwas bemerkte...

Den restlichen Abend verbrachte ich in meinem Zimmer, obwohl Hannes mir später noch ein Brot und einen Smoothie ins Zimmer gebracht hatte, konnte ich keinen Bissen essen, geschweige denn etwas trinken. Die Trauer und das schlechte Gewissen über das, was ich Amalia angetan hatte, saßen mir wie ein Kloß im Hals. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen und verbrachte so die meiste Zeit damit, in mein Kissen zu heulen oder zu schreien. 

Immer wieder dachte ich darüber nach, wie ich mich verletzen könnte, oder ob ich noch ein paar Fäden aufziehen sollte. Um circa fünf Uhr kam Tristan zu mir ins Zimmer. Wieder einmal hatte er bei uns übernachtet. Ich glaube, er fühlte sich einsam ohne Marlene, die noch im Krankenhaus war. "Was ist denn los, Hannah?", fragte er und strich mit seiner Hand über mein Haar. Ich versuchte, die Tränen zu verstecken; ich wollte nicht andauernd Mitleid bekommen, und ich wollte nicht, dass sich jemand um mich sorgte, als wäre ich ein kleines Kind. 

"Mir geht's gut", sagte ich und versuchte, es so klingen zu lassen, als sei es die Wahrheit. "Das wirkt aber nicht so, lüg mich nicht an, indem du sagst, dass es dir gut geht, obwohl es nicht so ist." Nun streichelte er meine Schulter, sodass ich ruckartig wegrutschte. "Was soll denn das? Ich wollte dich nur beruhigen...", sagte er entsetzt doch ich schwieg nur. Nach ein paar Minuten Schweigen sagte er: "Sag mal, stimmt es, dass jemand 'Bitch'..." 

"Tristan, ich möchte nicht darüber reden", unterbrach ich ihn sofort. Ich wusste, er würde noch einmal darauf zurückkommen. "Wer war das?", fragte er ernst. "Ich weiß es nicht", antwortete ich schlagartig. "Doch, weißt du. Du musst mit mir reden, ich will dir doch nur helfen", sagte er verständnisvoll. "Man kann mir verdammt noch mal nicht helfen!", brüllte ich ihn an. "Hört auf, mir immer helfen zu wollen...", fügte ich hinzu. " Dann verschließ dich doch und brüll alle an, die dir helfen wollen, Hannah. Du bist krank und das musst du dir endlich mal eingestehen", sagte er und stand von meinem Bett auf. 

"Ach übrigens, da hast du deinen Beweis, dass was mit dir nicht stimmt", fügte er hinzu und zeigte auf mein T-shirt, durch das schon wieder das Blut hindurchgesickert war. Ich stand sofort auf und rannte an ihm vorbei ins Bad. Er verblieb in meinem Türrahmen und starrte auf den Boden.

 Am nächsten Morgen wachte ich auf dem Badezimmerteppich auf. "Hannah, wach auf, oder hast du dich wieder aufgeschlitzt?" Jeni ballerte regelrecht gegen die Tür. "Nein, hab ich nicht, aber ich darf ja wohl auch mal pissen!", rief ich. "Ich weiß genau, dass du die ganze Nacht da drin warst. Ich bin nicht taub, okay?", antwortete er genervt. Auch am Frühstückstisch war es nicht besser...

FuckedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt