Während ich den Hörsaal verlasse lese ich mir meine Nachricht noch einmal durch.
Süße, ich vermisse dich. Wann hast du Zeit?
Diese Frage habe ich sicher schon fünf Mal gestellt und meist die gleiche Antwort bekommen. Nächste Woche, diese kann ich leider nicht. Aber das ist nicht schlimm, sie hat wirklich viel zu tun. Sie muss so gut wie jede Woche zu einer Feier mit ihren Eltern gehen und für ihr Studium lernen. Obwohl ich das manchmal bezweifle, da ich öfters Bilder im Netz sehe, wo sie auf irgendwelchen Partys ist.
Plötzlich höre ich jemanden meinen Namen rufen und sehe von meinem Handy auf. Veronica steht auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs und winkt mir energisch zu. So wie immer hat sie ihr Hundert-Watt Lächeln auf den Lippen und steckt mich gleich damit an. Ich verfrachte mein Handy in die Jackentasche und gehe auf sie zu.
„Was machst du denn hier?", platzt es aus mir heraus, als ich sie erreiche. Sie neigt den Kopf und verzieht ihr Gesicht gespielt beleidigt.
„Darf ich etwa meine Freundin nicht von ihrem Kurs abholen?" Warte mal, hat sie das gerade wirklich gesagt? Hat sie ernsthaft gesagt, dass wir Freunde sind? Oder träume ich etwa wieder?
Langsam verschwindet ihr Grinsen und sie runzelt die Stirn. „Habe ich etwas Falsches gesagt?" Erst da fällt mir auf, dass ich sie mit offenem Mund anglotze. Sofort räuspere ich mich und zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen.
„Nein, es ist nur..." Nicht in der Lage, dieses komische Gefühl in mir drinnen zu beschreiben, suche ich nach den richtigen Worten. Ich meine, kann ich ihr denn vertrauen? Kann ich ihr sagen, dass ich am liebsten anfangen würde zu weinen, weil sie mich als ihre Freundin benennt? Oder dass ich ihr um den Hals fallen und sie abknutschen will? Nein, vermutlich nicht.
„Ich hatte eine harte Nacht und kann mich nicht so ganz konzentrieren, tut mir leid.", werfe ich das Bestmögliche ein. Immerhin ist das nicht ganz gelogen. Ich habe wirklich schlecht geschlafen und das lag an dem Gespräch mit meinem Vater. Er hat wieder einmal versucht mich zum Reden zu bringen und mich schließlich zum Weinen gebracht. Wieso kann er denn nicht einfach verstehen, dass ich nicht darüber reden will? Warum muss er mich immer wieder drängen und versuche alles aus mir herauszuquetschen? Ich kann nicht darüber sprechen, denn wenn ich es tun würde, dann...dann...ach keine Ahnung, was dann wäre. Ich habe einfach Angst davor, okay?
„Eigentlich wollte ich nichts sagen, aber man sieht dir an, dass du fast gar nicht geschlafen hast.", reißt mich Veronicas Stimme aus den Gedanken. Na toll, dann hat wohl die Tonne Make-up, die ich mir ins Gesicht geklatscht habe, nichts gebracht. „Aber das passiert jedem Mal. Geh heute einfach ein bisschen früher schlafen und schon ist alles wieder gut.", lächelt sie mich aufmunternd an.
Nein, liebe Veronica, durch ein paar Stunden Schlaf wird nicht alles wieder gut; würde ich sie am liebsten anfeixen, aber ich lasse es. Sie hat noch vor wenigen Minuten gesagt, wir seien Freunde, also muss ich mich jetzt zusammenreißen. Denn wahre Freunde fahren sich nicht gegenseitig an, nur weil es ihnen schlecht geht. Glaube ich jedenfalls.
„Ja, wechseln wir lieber das Thema. Was hast du jetzt?"
„Musikgeschichte und du?"
„Englisch" Als ich mein nächstes Fach ausspreche, fällt mir Ryan wieder ein. Um ehrlich zu sein, weiß ich echt nicht was das am Samstag war. Wieso ich nicht die Augen von ihm nehmen konnte oder weshalb mich seine Sticheleien mehr provoziert haben, als sie sollten. Aber was ich weiß, ist, dass das aufhören muss.
Ich nehme einen tiefen Atemzug, als wir in den Gang biegen, in dem sich der Hörsaal befindet.
„Ich habe sowas von keine Lust auf diesen blöden Test am Montag. Ich habe fast gar nicht dafür gelernt.", stöhnt Veronica genervt. „Ich habe auch keinen Bock auf Montag. Ich verstehe das Thema einfach nicht, egal wie oft ich mir die Einträge durchlese." Sie nickt energisch und zeigt mit ihrer Hand auf mich.
„Ja, ich meine wen interessiert bitte..." Die restlichen Wörter nehme ich gar nicht mehr wahr, denn mit einem Mal tauchen strahlend, grüne Augen auf. Augen, die mich selbst durch mehr als zehn Meter Entfernung ansehen und nicht loslassen. Doch statt mich anzulächeln oder überhaupt eine kleine Reaktion zu zeigen, sieht er mich monoton an. So als würde er durch mich hindurch gucken.
Ich muss mich anstrengen nicht mitten im Gang stehen zu bleiben und immer wieder einen zustimmenden Laut zu machen, obwohl Veronicas Worte gar nicht zu meinem Hirn durchdringen. Ryan bleibt neben der Tür stehen und lehnt sich mit verschränkten Armen an die Wand. Wie in den ganzen dummen Filmen, winkelt er sein Bein an und stützt seinen Fuß auf die weiße Wand hinter sich. Dabei lässt er mich nicht aus den Augen.
Am liebsten würde ich die Augen verdrehen und den Kopf missbilligend schütteln, aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht abgeturnt sein, denn der Drang mir die Lippen zu lecken ist viel stärker. Man, das ist doch so lächerlich.
„Oh, Ryan, was machst du denn hier?", nehme ich Veronicas überraschte Stimme neben mir wahr. Statt seine Freundin anzusehen, sieht er mich weiter undurchdringlich an.
„Ich habe jetzt Englisch.", meint er schlicht. Sein Blick wandert meinen Körper hinab und automatisch bereue ich meine Klamottenwahl. Ich hätte besser ein anderes Oberteil anziehen sollen, eins wo man nicht meinen weißen BH herausschimmern sieht. Zwar hat mich noch keiner darauf angesprochen, aber Ryan fällt es sicher auf, das ist die einzige Erklärung, weshalb er mir länger auf die Brüste starrt, als auf den Rest meines Körpers.
„Warte mal, ihr habt zusammen einen Kurs?", fragt Veronica nach einer Weile. Dadurch schafft sie es, dass Ryan aufhört meinen Körper zu inspizieren und mir wieder ins Gesicht sieht und kurz nickt.
„Und wieso hat mir das noch keiner von euch erzählt?", krächzt sie. Ich reiße meinen Blick von ihm und sehe meine neue Freundin an. Sie ist sichtlich verwirrt und vielleicht auch wütend, so genau kann ich das nicht sagen.
„Das ist doch keine große Sache.", leugne ich und lege meine Hand auf ihren Arm. Ihre Augenbrauen huschen in die Höhe und sie reißt die Augen weit auf. Vielleicht hätte ich doch etwas anderes sagen sollen.
„Ist das dein Ernst? Ihr habt schon seit einem Monat den gleichen Kurs, erzählt es mir aber nicht.", sagt sie empört. Ich denke angestrengt über eine gute Ausrede nach, um sie zu beruhigen. Aber da kommt mir Ryan wohl zuvor, da er genervt stöhnt und sich von der Wand abstößt.
„Veronica, du brauchst jetzt kein Drama draus zu machen. Wir haben den gleichen Kurs und sehen uns einmal die Woche. Wow, was ist daran so besonders?" Warum auch immer, aber der Tonfall mit er diese Worte ausspricht, raubt mir den Rest meiner Fröhlichkeit. „Aber du..."
„Kein aber, Veronica. Du musst endlich aufhören mit den Versuchen mich mit jemandem zu verkuppeln. Auch wenn Rose nett ist und wir den gleichen Kurs besuchen, wird nie etwas zwischen uns laufen." Was habe ich mir eigentlich gedacht? Dass er mich oder wenigstens unsere Blickkontakte mag? Habe ich etwa geglaubt, er würde es genießen Zeit mit mir zu verbringen? Gott, bin ich dumm.
Am liebsten würde ich mir gegen die Stirn schlagen, bis mir der Kopf wehtut, aber ich lasse es. Wäre vielleicht nicht besonders clever vor den beiden, wie eine Verrückte gegen meine Stirn zu schlagen. Erst als die Klingel läutet und die letzten Leute in den Saal stürmen, hört Ryan auf Veronica zu fixieren und sieht mich wieder an.
„Wir müssen rein." Mit diesen Worten dreht er sich um und verschwindet in den Hörsaal. Dabei lässt er Veronica und mich allein im Gang stehen.
„Er hat sicher nur einen schlechten Tag." Es klingt eher so als würde sie sich selbst überzeugen wollen, statt mich. Ja, ich muss wirklich aufhören mich so komisch in seiner Umgebung zu benehmen.
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Wenn dir das Kapitel gefallen hat, dann würde ich mich sehr über ein Sternchen freuen^^
Wieso ist Ryan nur so kalt? Worüber will Rose nicht reden? Und wem hat sie die Nachricht geschrieben?
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Is it possible?
RomanceRose hat mit der Liebe abgeschlossen, denn die Männer sind doch eh alle gleich. Sie wollen einen nur verletzen und zerstören, sowie er es getan hat. Doch was ist, wenn plötzlich ein attraktiver Mann auftaucht, sie mit seinen faszinierenden Augen und...