Kapitel 16

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Als mein Handy beginnt zu läuten und mich somit aus meiner Ruhe reißt, zucke ich zusammen. Hastig krame ich in meinem Rucksack herum und finde es schließlich mit pochendem Herzen. Doch als ich „Daddy" lese, verschwindet mein Adrenalin und meine Euphorie augenblicklich. Habe ich gerade ernsthaft gehofft, dass mich Ryan anruft? Dass er mir hinterherläuft, nachdem ich ihn eine Stunde zuvor hab abblitzen lassen? Ich bin doch bekloppt.

Einen tiefen Atemzug später wische ich über das Display und hebe es ans Ohr. „Hey."

„Na, mein Engel. Wie geht es dir?", höre ich seine Stimme und meine Augen schließen sich wie von allein. Es fühlt sich an, als würde ein kleines Stück von all dem Stress und der Sorgen, die ich die letzten Tage durchlebt habe, wegfallen.

„Gut und dir?", hauche ich und versuche meiner Stimme nicht anmerken zu lassen, wie fertig ich eigentlich bin. Wie kaputt.

„Auch gut. Wie läuft die Uni so?" Auch wenn ich ihn im Moment nicht sehen kann, weiß ich genau, dass er sich ein Augenrollen unterdrücken muss. Er findet nämlich, dass das Studieren sinnlos und nur eine unnötige Zeitverschwendung ist. Seiner Meinung nach sollte ich das Studium schleunigst abbrechen und zurückkommen, da ich sowieso niemals Geldprobleme haben werde. In diesem Haus kann mir laut seinen Worten nichts passieren, dort wäre ich sicher. Nur wissen Väter nun mal nicht alles...

„Ganz gut, ich habe heute die dritte Klausur in diesem Monat geschrieben und habe um ehrlich zu sein ein gutes Gefühl dabei.", berichte ich ihm und ein Hauch von Stolz durchfährt mich. Aus welchem Grund auch immer, aber hier gebe ich mir um einiges mehr Mühe, als noch in der High-School. Vermutlich liegt das daran, dass mir hier nicht alles in den Arsch geschoben wird und ich für gute Noten kämpfen und lernen muss, statt sie durch Daddys Geld hinterhergeworfen zu bekommen.

„Das freut mich, Süße, wirklich. Ich bin stolz auf dich, sehr." Bei seinen Worten bildet sich unwillkürlich ein kleines Lächeln auf meinen Lippen und ein Gefühl erwärmt meine Brust. Mein Herz. Jedoch wird diese Freude schnell wieder gedämpft, da er im nächsten Moment nachfragt: „Bist du eigentlich immer noch mit den gleichen Leuten befreundet?"

„Ja, das bin ich. Wieso fragst du?", antworte ich zögernd. Sein Ton hat sich verändert, nur kann ich nicht sagen, ob er wütend, gereizt oder glücklich ist. Das kann man generell schwer bei ihm sagen.

„Weil du sie ja dann zur Trauerfeier mitbringen kannst." Augenblicklich verschwindet meine Freude und ein Schauer durchfährt meinen Körper. Ich öffne die Augen, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träume. Aber ich bin wirklich im Hier und Jetzt, alles steht an Ort und Stelle. Mein großer Plasma-Fernseher, meine wunderschönen Orchideen daneben und mein glänzender, aber doch ziemlich schlichter Kronleuchter. Und doch fühle ich mich mehr als überrumpelt.

„Okay, ich merke selbst, dass das etwas abrupt war, aber ich meine es ernst. Du kannst sie gerne mitnehmen, deine Mutter hätte gewollt, dass du glücklich bist."

„Als ob ich an diesem Tag glücklich sein könnte.", murmle ich und hebe meine Beine an. Ich lege meine Füße auf die Couch ab und umschlinge meine Unterschenkel mit dem freien Arm.

„Glaub mir, dieser Tag ist nicht nur für dich hart, für mich genauso. Trotzdem hätte ich dich gerne da, am besten schon am Freitag, damit du uns mit den Vorbereitungen helfen kannst." Der Griff um meine Beine verstärkt sich und ich reiße unwillkürlich die Augen auf. Er will, dass ich früher komme. Dass ich zwei Tage länger in diesem Haus verbringe. Macht er das mit Absicht?

„Henrietta kann euch doch helfen oder John oder jemand anderes von dem Personal.", versuche ich ihn fast schon hysterisch zu überreden. Wahrscheinlich werde ich einen Tag nicht überleben und dann erwartet er auch noch, dass ich zwei Tage früher komme. Das wird mein Ende sein.

„Rosetta Lydia Wood, was ist nur in dich gefahren? Seit wann verhältst du dich so respektlos gegenüber deiner Mutter und mir?" Um Gotteswillen, er hat meinen vollständigen Namen ausgesprochen! Und spielt diese unfaire Karte, mit meiner Mutter. Wie kann er es eigentlich wagen sie zu benutzen, um mich zu manipulieren? Schämt er sich denn nicht dafür ihren Namen so zu verwenden? Gegen seine eigene Tochter? Obwohl ich ihn am liebsten anschreien oder sogar beschimpfen würde, weil er so mit ihr und mir umgeht, sage ich doch nichts. Wenn ich mich jetzt gegen ihn auflehnen würde, dann hätte ich ein größeres Problem, als den Stress in der Uni. Deshalb atme ich tief durch und versuche mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen.

„Tut mir leid, Daddy. Ich wollte dich nicht verletzten, ich hatte nur einen schweren Tag und habe falsch reagiert. Natürlich werde ich schon am Freitag kommen.", sage ich das, was er hören will. Nicht nur müde von dem langen Tag, sondern auch von diesem Gespräch lehne ich meine Stirn gegen meine Knie und schließe die Augen.

„Dann leg dich lieber schlafen und schalt dein Handy aus, nicht dass du von all den Nachrichten aufgeweckt wirst."

„Ja, das ist vermutlich eine gute Idee. Ich fühle mich den ganzen Tag schon so kaputt." Wenigstens ist es die halbe Wahrheit, denn ich fühle mich wirklich schon den gesamten Tag müde und fertig. Das liegt aber nicht an meinem schlechten Schlaf, zum Großteil jedenfalls, sondern eher daran, dass ich den ganzen Tag an Ryan denken musste. Und dass ich ihn dann auf dem Sportplatz gesehen habe, hat allem noch eine Krone oben draufgesetzt.

„Warum hast du denn nicht geschlafen? Hast du etwa wieder partygemacht? Rose du weißt genau, dass das nicht gut für dich ist.", predigt er mir. Ich wusste ja, dass das Telefonat anstrengend wird, aber jetzt geht es schon fast zu weit. Wieso kann er denn nicht kapieren, dass ich nicht mehr zwölf, sondern neunzehn bin? Ist das so schwer zu verstehen?

„Nein, Daddy, ich habe nur für die Klausur gelernt. Das war eine Ausnahme und es wird auch nicht nochmal passieren."

„In Ordnung, ich hoffe du hältst dein Wort. Schlaf ist wichtig, erst recht in deinen jungen Jahren." Das sagt genau der Richtige! Er ist doch der, der etliche Nächte durchgemacht hat, weil er irgendwelche blöden Projekte fertigstellen musste. Trotzdem halte ich meinen Mund und zähle innerlich bis fünf, um mich zu beruhigen.

„Dann verabschiede ich mich mal von dir und wünsche dir eine gute Nacht. Ich habe dich lieb, mein Engel." Wie jedes Mal, wenn ich diese Worte aus seinem Mund höre, bildet sich ein Kloß in meinem Hals und ein Stich in meinem Herzen. Denn trotz all seinen Launen und seines Herumkommandierens, liebe ich ihn. Er ist mein Vater, der einzige Mann, der mich immer geliebt hat und jetzt so weit von mir entfernt ist...

„Ich dich auch, bitte grüß Maddy von mir und sag ihr, ich kann es kaum erwarten euch endlich wiederzusehen."

„Mach ich, Süße. Vergiss nicht deine Freunde mitzunehmen, ich erwarte mindestens eine Person von ihnen." Innerlich sträube ich mich schon gegen das Gespräch, denn ich will ihnen nicht davon erzählen. Ich will ihnen nicht sagen, dass ich meine Mutter mit dreizehn Jahren verloren habe und jedes Jahr eine riesige Trauerfeier in meinem Haus stattfindet. Sie würden mich mit anderen Augen angucken, würden Mitleid mit mir haben und das will ich nicht.

„Ich probier's. Gute Nacht, Daddy."

„Schlaf gut, mein Engel." Mit diesen Worten legt er auf und ich spüre, wie mir etwas Nasses die Wange hinunterrinnt. Nur bin ich so erschöpft, dass ich nicht einmal meine Hand heben kann, um es wegzuwischen und lasse es laufen. Ich lasse den Tränen freien Lauf und höre mich nach einer Zeit sogar schluchzen. Wieso muss es nur so wehtun? Wieso muss mir das alles passieren? Und wieso kann Mama nicht einfach bei mir sein und mich in den Arm nehmen?

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Wow, das ist mal ein emotionales Kapitel! Wovon spricht sie denn jetzt eigentlich? Was ist denn in diesem Haus passiert, wovon ihr Vater keine Ahnung hat? Hat es vielleicht etwas mit Alex zutun oder mit Olivia oder doch mit jemand ganz anderem? Und wird sie ihre Freunde wirklich fragen, ob sie mitkommen möchten?

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