Kapitel 12

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Obwohl ich bereits mehrere Minuten wach bin, halte ich meine Augen weiterhin geschlossen. Denn ich will nicht aufstehen, nicht wieder der Realität ins Gesicht blicken. Der Realität, die mich einerseits beängstigt und andererseits auch glücklich macht. Weil ich endlich das erreicht habe, was ich mir so sehnlichst gewünscht habe.

Freunde zu finden. Freunde, mit denen ich lachen kann; Freunde, die mich nicht verurteilen, wenn ich nicht up-to-date bin, was den neusten Klatsch und Tratsch angeht. Freunde, die mich nicht angewidert ansehen, wenn ich mich bekleckere oder einen dummen Witz reiße. Das sind wahr Freunde. Glaube ich jedenfalls.

Aber egal wie sehr ich sie mag, dieses Schnarchen hält kein Mensch aus. Weshalb ich nach einer gewissen Zeit die Augen aufschlage und nach meinem Handy greife. Dabei stelle ich fest, dass ich weder von meinem Dad, wie eigentlich jeden Samstagmorgen, noch von Olivia, die mir ihr kurzfristiges Absagen immer noch nicht erklärt hat, eine Nachricht bekommen habe. Trotzdem lasse ich mich deshalb nicht unterkriegen und erhebe mich seufzend von der harten Matratze.

Während ich mich strecke, wünsche ich mir mein Wasserbett herbei, denn wenn ich darauf liege, dann fühlt es sich an, als würde ich auf Wolken schweben. Nicht wie auf Veronicas Matratze, die meinen Rücken zum Schmerzen bringt.

Mit leisen Schritten verlasse ich den Raum und mache mich auf den Weg zum Badezimmer. So wie es aussieht, schlafen alle noch, denn ich höre weder eine Kaffeemaschine, noch Gemurmel. Es ist mucksmäuschenstill und so wird es die nächsten Stunden wahrscheinlich auch bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nach der letzten Nacht, in der sie sich vollkommen abgeschossen haben, um acht Uhr morgens aufstehen.

So leise wie möglich schließe ich die Tür hinter mir ab und stelle mich vor den riesigen Spiegel. Vielleicht sollte ich mal einen Termin beim Friseur machen. Wer hätte denn gedacht, dass Haare innerhalb von drei Monaten von einem Bob bis hin zu den Schultern wachsen können?

Plötzlich kracht etwas mit einem lauten Scheppern auf den Boden und reißt mich mit einem erschrockenen Schrei, der aus meiner Lunge dringt, aus den Gedanken. Blitzschnell drehe ich mich um und starre den Duschvorhang an, der sich just in jenem Moment zu rütteln beginnt.

„Fuck!", flucht eine tiefe Stimme und ich spüre wie ich unbewusst einen Schritt zurückweiche. Da ist ein Mann. Ein Mann, der unter der Dusche steht und wahrscheinlich nackt ist...

Und wie sich herausstellt, ist dieser Mann niemand geringeres als Ryan, der seinen Kopf neben dem Vorhang herauslugen lässt. Zunächst ist sein Gesichtsausdruck entschuldigend, doch als er erkennt, dass ich es bin, die er erschreckt hat, ändert sich etwas in seinem Blick. Erst recht, als er seine Augen an meinem Körper hinunterwandern lässt.

Mit einem Mal bereue ich es mir gestern Abend Klamotten von Veronica geliehen zu haben und wünsche mir sehnlichst meine Jeans und mein lockeres Oberteil zurück. Denn dieses Top ist mir mindestens eine Nummer zu klein und entblößt sogar einen dünnen Hautstreifen an meinem Bauch. Die kurzen Shorts machen es nicht besser, da sie gerade noch so meinen Hintern bedecken und mit ihrem grellen Pink, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der er meinen Körper ausgiebig inspiziert hat, sieht er mir schließlich in die Augen. Und leckt sich die Lippen...

„Kannst du mir ein Handtuch geben?", fragt er und zeigt neben mich. Es kann ja sein, dass ich mir das nur einbilde, aber eigentlich bin ich mir sehr sicher, dass seine Stimme kratzig und viel tiefer als sonst klingt. Vermutlich liegt das daran, dass er erst aufgestanden ist. Ja, daran muss es liegen.

„Bitte.", meint er und erst da fällt mir ein, dass er mich bereits um etwas gebeten hat. Jetzt reiß dich doch mal zusammen, Rose!

„Äh, ja klar.", krächze ich. Um Himmelswillen, was ist denn mit meiner Stimme los? Ich räuspere mich und nehme ein Handtuch von dem Stapel, um es ihm zu überreichen. Inständig hoffe ich, dass sich unsere Hände nicht zufällig berühren und halte es ihm mit gesenktem Blick hin.

Is it possible?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt