Chapter Seventeen: Lorena und Bjarne Gold

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Es begann zu regnen, als wir die letzten Vororte Londons hinter uns ließen. Im Licht der Scheinwerfer erkannte ich die stürmisch hin und her wiegenden Bäume am Straßenrand. Es hatte stark abgekühlt und ich kuschelte mich fest in meine Jacke und warf Loki, der am Steuer saß einen Seitenblick zu. „Wie kommt es eigentlich, dass ein Gott Auto fahren kann?", fragte ich. „Ich stelle mir eure Welt magisch und wunderschön vor, dennoch mittelalterlich."

„Ich habe mich einfach gut auf meine Rolle als Dozent vorbereitet und da gehört nun mal auch das Autofahren dazu. Odin und die anderen schickten mich einige Wochen vor meiner ersten Vorlesung hinab nach Midgard. Ich nahm mir die Zeit alles zu erlernen. Ich war schon vor vielen Jahren auf der Erde, doch das Verhalten der Menschen ändert sich so schnell. Ich suchte mir eine Wohnung, lernte die neuen Gepflogenheiten von euch und alles andere Wichtige, um nicht aufzufallen. Dass ich Magie beherrsche, machte es natürlich sehr viel einfacher an einen Führerschein zu kommen oder den Arbeitsplatz. Wenn ich eins gut kann, dann ist es manipulieren", erklärte er und grinste verschmitzt.

Ich musste bei dieser Bemerkung zurück an das Museum denken, in dem ich die Zeit völlig vergessen hatte, bis ich mit ihm alleine gewesen war und er mir die Sache mit dem Diebstahl der Schatulle erklären konnte. Ich zweifelte nicht daran, dass er mich auch so einige Male manipuliert hatte, doch ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Er hatte es getan, um mich glauben zu lassen und sein Leben zu retten. Letzteres hatte zwar noch nicht geklappt, aber ich war so froh, wie es gekommen war.

„Es muss großartig sein alles tun und lassen zu können, was man schon immer wollte", schwärmte ich und konnte einen gewissen Neid nicht ganz verbergen.

„Oh ja das ist es", antwortete Loki ehrlich. Ich hatte längst bemerkt, dass ihm gefiel wer und was er war, egal in welcher Situation er sich gerade befand. Er liebte die Aufmerksamkeit sowohl als Dozent, als auch Gast auf Feiern seiner Studenten. Warum sonst hätte er sich freiwillig mit uns am Strand abgegeben? Der Loki aus der Edda und allen anderen Geschichten war zwar sehr viel selbstverliebter und fieser, als die Version, die ich kannte, doch deckten sich die beiden Bilder des Feuergottes immer mehr und ich betete, dass so einige Aufschriebe über ihn es nur der künstlerischen Freiheit des Autors zu verdanken hatten, dass er so dargestellt wurde, als wäre er der Widersacher aller. Denn er war so viel mehr und ich merkte, wie ich mich immer weiter in ihn verliebte. Er sorgte sich um mich, wie kein anderer, obwohl er selbst in tiefen Schwierigkeiten steckte. Er war liebevoll, romantisch, abenteuerlustig und unberechenbar. Mit dem Gott des Schabernackes würde es sicher nie langweilig werden.

„Aber es ist auch mit so vielen Verpflichtungen verbunden", holte Loki mich aus meinen Gedanken zurück ins Auto. „Je mehr Macht du besitzt, desto mehr Verantwortung musst du auch übernehmen. Viele der Götter sind so stark, dass ein falsches Verhalten ganze Welten zerstören könnte. Unsere Aufgabe ist es das Leben zu bewahren und Gleichheit zu schaffen. Doch ich befürchte viele der Asen haben längst vergessen, weswegen wir überhaupt existieren. Ich will nicht aufgeben das Richtige zu tun, vor allem wenn sie mir das Ende der Welten abhängen wollen. Es ist nicht meine Schuld. Ein in die Enge getriebenes Tier wird sich immer wehren. Das Schicksal ist nicht festgelegt, wir können es verändern, wir können alles zum Guten wenden. Doch Odin wollte mir nie zuhören und ich befürchte langsam wird es zu spät sein Ragnarök aufzuhalten."

Was redete Loki da? Seine Hände schlossen sich krampfhaft um das Lenkrad, die Knöchel traten bereits weiß hervor. Sein Blick ging starr auf die Straße und erst jetzt, als er aufhörte zu reden, bemerkte ich, dass er immer mehr Gas gab.

Verdammt, er hatte die Kontrolle verloren. Irgendetwas beschäftigte ihn so sehr, dass er nicht mehr klar denken konnte.

„Hey Loki, alles in Ordnung?", fragte ich vorsichtig. Er reagierte nicht, schien innerlich mit sich zu ringen. Erst als ich meine Hand auf seine Schulter legte, wich die Anspannung von seinem Körper und er nahm den Druck vom Gaspedal.

„Was ist los?", fragte ich erneut. Er hatte von Ragnarök geredet. Ich hatte diesen Begriff schon einige Male gehört, der dritte Teil der Thor-Filme besaß diesen Titel. Doch was er in der nordischen Mythologie bedeutete wusste ich nicht genau.

Loki rieb sich übers Gesicht und schüttelte den Kopf, dann blickte er in meine Richtung und lächelte. „Entschuldige, es ist alles in bester Ordnung. Ich musste nur gerade an etwas denken, was mich lange beschäftigte, aber es ist nicht mehr wichtig. Nur du bist es und dass wir bald bei deinen Großeltern ankommen." Er wechselte das Thema und ich getraute mich nicht erneut eine Frage dazu zu stellen. Es hatte ihn so sehr aufgewühlt, dass ich es kurz mit der Angst bekommen hatte. Ich musste ihn dazu zur Rede stellen, doch nicht hier und jetzt.

„Es ist nicht mehr weit", sagte ich also stattdessen und loste ihn die letzten Minuten durch ein kleines Dorf, bis wir wieder außerhalb des Ortes durch eine kleine Allee fuhren und schließlich vor dem großen Anwesen meiner Großeltern hielten.

Es war ein altes Landhaus aus Stein mit einem tiefen dunkelbraunen Dach und vielen Erkern und Schornsteinen. Der Wind blies uns Regentropfen ins Gesicht, als wir zum überdachten Eingang eilten und an der doppelflügeligen Eingangstür klopften. Es dauerte eine Weile, bis sich etwas regte und Lichter angingen. Ich hoffte, dass wir sie nicht geweckt hatten, denn eigentlich hatte meine Mutter versprochen Bescheid zu geben, dass wir heute Abend kamen.

Und so war es auch. Meine Großmutter öffnete die Tür und nahm mich fest in die Arme. „Oh es ist so schön dich zu sehen meine kleine Elliemaus", begrüßte sie mich. Und zum dritten Mal an diesem Tag war ich dran meinen Begleiter vorzustellen, doch so weit kam ich nicht, denn da tauchte mein Großvater auf und nahm mich ebenfalls in den Arm. Während Lorena eine liebevolle und warmherzige Frau war, die Musteroma, die sich wohl jeder wünschte, war Bjarne eher forsch und misstrauisch. Er war pensionierter Geschichtsprofessor und unterzog jeden Neuankömmling in unserer Familie erst einmal einem Verhör. Irgendwie hatte ich das total vergessen und bereute es Loki nicht vorgewarnt zu haben.

„Sie sind also der ‚Freund' meiner Enkelin, von dem meine Tochter vorhin am Telefon erzählt hatte. Mein Name ist Bjarne Gold und mit wem habe ich das Vergnügen?" Mein Großvater reichte Loki die Hand und schien ihn mit seinem Blick zu durchbohren. Sah ich da etwa Schweißperlen auf der Stirn des Gottes? Bjarne konnte zwar echt einschüchternd sein, aber ich hatte nicht erwartet, dass sich Loki verhielt wie ein 17 jähriger Teenager, der sich zum ersten Mal bei der Familie seiner Freundin vorstellte. Ich musste schmunzeln.

„Mein Name ist Aidan Laufeyson, Mister Gold", stellte er sich vor. Die Augen meines Opas wurden schmal. Er schüttelte noch immer die Hand von Loki und ich hatte schon die Befürchtung er würde sie ihm zerquetschen.

„Ein sehr interessanter Nachname, den sie da haben. Er ist wirklich ... außergewöhnlich", sagte er und ließ ganz langsam seine Hand zurück sinken, nahm seinen Blick jedoch nicht von Loki.

Was zur Hölle war das gerade hier? „Ehm, also dann. Mir ist wirklich kalt, können wir bitte rein gehen?", fragte ich und zog meine Jacke noch enger um meinen Körper, um mein Anliegen zu bekräftigen.

„Natürlich, kommt herein", besann sich mein Großvater und ging voraus. Als ich eintreten wollte, zog mich Loki zur Seite: „wer zum Donner ist dieser Mann?", fragte er. Er schien eingeschüchtert. ER.

„Hey, alles gut. Er hat nur einen viel zu stark ausgeprägten Beschützerinstinkt. Er meint es nicht böse, du wirst schon sehen." Ich lächelte zuversichtlich, ergriff seine Hand und zog ihn ins Haus.

Ragnarök - Sommerregen✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt