Chapter Twenty: Erste Winde

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Lokis Sicht:

Er hatte mich gefunden. Odin, Allvater, hatte mich aufgespürt und nun ließ er mich von seinen treuen Begleitern beobachten. Den gesamten Heimweg schlug mir mein Herz bis zum Hals. Panisch versuchte ich Ruhe zu bewahren und mir vor Elaine nichts anmerken zu lassen. Sie hatte die Raben auch gesehen, doch nichts gesagt. So hoffte ich, dass Hugin und Munin ihr noch nicht so viel sagten und sie die beiden wirklich nur für normale Tiere hielt.

Elaine zog sich am späten Nachmittag etwas zurück, ich verstand, dass sie Ruhe brauchte, vor allen gerade bei dem, was alles geschah. Sie wollte mit ihren Eltern telefonieren.

Die Sonne versank gerade am Horizont hinter den Bäumen, als ich meine Entscheidung trief. Über meine und ihre Zukunft. Bjarne konnte kommen und eine Antwort von mir verlangen. Ich hatte keine Scheu mehr davor mich der Wahrheit zu stellen.

Denn mit dem Auftauchen der Raben war meine Wahl auf ein ruhiges Leben an der Seite der Frau, die ich liebte, vergangen und ich konnte in der Not nur das geringste Übel wählen.

Mit den Händen in den Hosentaschen vergraben, lief ich über die Terrasse, stieg die wenigen Stufen hinab auf das Gras und warf einen Blick in den Himmel. Die ersten Sterne begannen zu strahlen. Dort oben in weiter Ferne warteten die Götter auf mich. Darauf mich zu vernichten und damit Ragnarök zu verhindern. Und ich wollte ihnen diesen Wunsch gewähren. Sollten sie doch in dem Glauben bleiben, dass ich ganz alleine Schuld an all dem Tod und der Zerstörung hatte. Mir war es gleich. Allein Elaines Meinung zählte und ich wollte nicht, dass sie wusste, was für ein Mann ich wirklich war, was geschehen würde, in der letzten großen Schlacht. Lieber sollte sie denken, ich hätte sie verlassen, lieber sollte sie mich hassen und verachten dafür, dass ich sie alleine ließ, wenn sie mich wirklich an ihrer Seite brauchte, als dass Bjarne mich zwang die Wahrheit zu sagen oder gar dass er es an meiner Stelle tat und ich nicht die Gelegenheit hatte mich zu rechtfertigen. Ich hielt ihn aber für so einen ehrenhaften Mann, dass er, wenn ich gegangen war, nicht direkt Elaine von der letzten Ragnarök erzählen würde. Ich war dann fort und somit auch die einzige unmittelbare Bedrohung für sie und ihre Familie.

Ein Rascheln in meinen Nacken verriet, dass ich nicht mehr alleine war.

„Hast du eine Entscheidung getroffen?", fragte Elaines Großvater gerade heraus. Langsam wendete ich mich ihm zu und diesmal ließ ich mich nicht einschüchtern. Er hatte das Überraschungsmoment auf seiner Seite gehabt, doch nun sah ich in ihm nur den alten Mann, der er wirklich war. Seine stechend blauen Augen konnten nicht mehr auf meine Seele blicken. Mehr Macht, als das Wissen über meine Geschichte würde ich ihm nicht geben. Er konnte schon froh genug sein, dass ich ihm nichts zu leide tun konnte. Eigentlich hätte er genau das aber erwarten müssen von mir, dem Gott des Feuers und Unheils.

„Ich werde gehen", antwortete ich nach einer Weile schließlich. „Ich werde nach Asgard zurück kehren und Elaine ihr Leben leben lassen. Ohne mich wird sie nicht mehr in Gefahr sein. Ich werde meinem Schicksal folgen und sie frei geben." Keine Drohung, keine erheblichen Worte. Nichts, ich wollte, auch wenn ich den Mann vor mir verabscheute, für das, was er mir antat, ein gutes Bild hinterlassen.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Wurde dicker mit jedem Wort. Denn nun, da ich es ausgesprochen hatte, wurde es handfeste Realität. Der Gott von Lug und Trug stellte seine Bedürfnisse hinter die eines Menschen. Ich konnte mich nicht daran erinnern jemals die Bedürfnisse von überhaupt einem Menschen über die meinigen gestellt zu haben. Doch ich war nicht gut für sie, war ich nie gewesen. Es war der größte und gleichzeitig schönste Fehler meines Lebens auf die Erde zu kommen und mich in sie zu verlieben. Ich hatte all die Verantwortung und die Jahrtausende voller Geschichten verdrängt. Erlebnisse und Entscheidungen, mit denen allein ich selbst mich in diese Misere gebracht hatte. Wie gerne ich auch den Asen die Schuld daran geben wollte, es kam nicht von ungefähr, dass ich ein Monster in der Edda war. Die Zukunft stand bereits geschrieben, doch ich hoffte, dass eines Tages diese Geschichte, von dem Gott der ein Menschenmädchen liebte und für sie in den Tod ging, alles andere überschatten konnte.

Bjarne legte eine Hand auf meine Schulter: „eine weise Entscheidung Loki. Ich werde ihr erklären, dass du gegangen bist und ihr beistehen. Sie wird es verstehen. Sie wird darüber hinweg kommen. Sie ist jung und ein ganzes Leben voll weniger gefährlicher Abenteuer liegt vor noch vor ihr." Ich nickte: „könnten Sie mir einen letzten Gefallen tun? Könnten Sie jetzt sofort, wenn ich weg bin, mit ihr nach London zurück fahren, zu ihrem Vater. Es gibt da noch eine Sache, die ich für sie tun kann."

„Ich verspreche es", sagte Bjarne und reichte mir die Hand. „Ich habe nicht viel von dir gehalten Loki, das wird dir sicher aufgefallen sein, doch dass du sie jetzt gehen lässt, das ist äußerst nobel. Du sollst wissen, dass du meine höchste Achtung verdient hast." Ich konnte nur stumm seine Hand schüttelt und müde lächeln. Als hätte ich wirklich eine Wahl gehabt. Wäre nur er gewesen, hätte ich eine Möglichkeit gefunden, dass das hier alles anders änderte, doch durch die Raben, die nur ein Vorbote der wahren Gefahr waren, konnte ich nicht anders, als zu gehen. Sie würden mich hier aufspüren und auch wenn die anderen Götter in der Edda vielleicht die Guten waren, so würden sie keine Sekunde zögern Elaine und ihre Familie zu töten, sollten sie meiner Ergreifung im Wege stehen und ich wusste, genau das würde Elaine tun. Ohne Zweifel, denn sie liebte mich.

Ein weiterer Grund zu gehen war Thor. Wenn ich mich stellte, konnte sein Vater ihn nicht mehr auf frischer Tat dabei erwischen, wie er ihn hinterging, um mir zu helfen. Thor konnte zurück nach Asgard kehren und mit etwas Glück ohne Konsequenzen weiterleben.

Langsam drehte ich mich dem Wald hinter dem Haus zu, der dunkel und bedrohlich wirkte und lief einige Meter hinaus auf die feuchte Wiese. Ein leichter Wind war aufgekommen. Herbstwind. Ich konnte es spüren, dass der Sommer sich seinem Ende neigte, kaum dass er begonnen hatte. Es war kalt geworden. Der Fimbulwinter war nicht mehr fern.

Fast schon andächtig richtete ich meinen Blick gen Himmel. Die Sterne funkelten, als ich zu Heimdall rief, er solle mir Einlass gewähren. Mit geschlossenen Augen wartete ich auf das wohlbekannte kribbelnde Gefühl in meinem Körper, wenn der Bifröst mich erfasste und weit hinaus ins Universum zog. Ich konnte spüren, wie ich den Halt unter meinen Füßen verlor und mit unfassbarer Geschwindigkeit Midgard verließ.

Ich wusste, dass ich auch meine geheimen Wege hätte nehmen können, um Asgard zu erreichen. Doch zum einen wusste ich den Blick der zwei Raben auf mich gerichtet und zum anderen brauchte ich Heimdalls Hilfe. Der Wächter der Neun Welten und ich hatten uns nie leiden können, doch ich hoffte auf sein Gewissen und Ehre, mir diesen letzten Wunsch zu gestatten.

Odin hatte mich gefunden und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er jemanden nach Midgard geschickt hätte. Da ich diesen friedlichen Weg wählte, zeigte ich guten Willen und hatte nun die Wahl bis zu einem gewissen Punkt selbst zu entscheiden, wie und wann ich mich den Asen endgültig stellen würde.

Wenn Heimdall mitspielte, würde ich zu Eir, einer der Dienerinnen von Odins Frau Frigg gehen. Sie war die Göttin der Heilkunst und wenn jemand Elaines Vater retten konnte, dann sie. Der Gedanke sie zu holen hatte schon lange in meinem Kopf herumgegeistert, doch um zu Eir zu kommen, musste ich in Odins Palast eindringen und egal wie leise und gerissen ich war, früher oder später hätte er mich bemerkt. Nun spielte das keine Rolle mehr, solange ich nur Eir erreichte und sie den Palast verließ, bevor man mich gefangen nehmen würde.

Elaine würde mich hassen dafür, dass ich gegangen war, doch ich würde ihr ein letzten Geschenk machen. Mein Leben für das ihres Vaters. Dies war der Hauptgrund, dass ich ging. Nur so konnte ich noch etwas Gutes tun. Denn erwischen würden sie mich so oder so irgendwann und was nützte es mir, wenn ich auf Midgard vor ihnen davon rannte, wenn ich so noch einem Menschen das Leben retten konnte?

Ich wurde langsamer, die Sterne um mich herum wieder sichtbar. Rings zu meinen Seiten erstrahlte ein gesamtes Universum, als ich den Bifröst betrat. Heimdall stand einige Meter vor mir und hielt sein Schwert locker in der Hand, jedoch allzeit zum Angriff bereit. Nun zählten meine Gerissenheit und richtige Worte. Alles Weitere hing vom Wächter der Neun Welten ab.

Ragnarök - Sommerregen✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt