Die Sonne stach zwischen den Wolken hindurch und wärmte mein Gesicht und die tauben Gliedmaßen. Meine Kleidung war nach wie vor feucht, doch erst jetzt nahm ich dies war. Ich zitterte am ganzen Körper vor Kälte und dennoch spürte ich nichts, als ich wäre im Moment nicht in meinem Körper.
„Ich sollte dann wohl wieder aufbrechen bevor Odin meine Abwesenheit bemerkt", durchbrach Eir die fesselnde Stille. Sie war es, die mich aus meiner Trance holte. Ich nickte ihr zu.
„Ich danke dir für deine Hilfe. Ich kann gar nicht in Worte fassen wie glücklich ich bin, dass es meinem Vater wieder gut geht, auch wenn ich es gerade nicht in Emotionen ausdrücken kann", antwortete ich und zwang mich zu einem Lächeln.
„Ich verstehe dich. Es war mir eine Freude nach so langer Zeit einmal wieder auf die Erde zu kommen und den Menschen zu helfen. Viel zu lange haben die Götter ihre Aufgaben vernachlässigt. Doch bevor ich gehe. Sag mir, wie geht es Thor. Ich hörte bei meinem Aufbruch von Heimdall, dass er ebenfalls hier sein soll, um Loki zu helfen. Doch wo ist er?"
Oh mein Gott, Thor. Natürlich. Ich hatte doch seine Nummer. Die hatte er mir bei unserem Aufbruch in San Diego gegeben für den Fall, dass Loki etwas Dummes anstellen sollte. Und wenn dies hier nicht so ein Fall war... Unbeholfen fingerte ich mein Handy aus der Jackentasche und suchte nach ihm im Adressbuch. Eir schien etwas verwirrt zu sein. Gleich würde ich es ihr erklären.
„Ja", knurrte Thor verschlafen am anderen Ende der Welt.
„Thor, ich bin es. Elaine. Ich sollte dich doch anrufen, wenn ich deine Hilfe brauchen sollte. Es geht um Loki. Er ist nach Asgard zurückgehrt", redete ich nicht lange drum herum. Schlagartig schien der Gott des Donners wach zu werden. Ich hörte ihm am anderen Ende der Leitung fluchen. Einige Sekunden vernahm ich nur rumpeln, dann sprach er wieder zu mir: „ ich bin in wenigen Augenblicken da", dann legte er auf. Für einen Moment wollte ich mich fragen, wie er das anstellen wollte, dann vernahm ich ein leichtes Donnergrollen in der Ferne. Der Himmel verdunkelte sich schlagartig.
„Er ist auf dem Weg zu uns", erklärte ich Eir. „Großartig, dann lass und hinab ins Freie gehen, um ihn zu empfangen", schlug sie vor. Ich stimmte ihr zu.
Blitze zuckten über den Himmel, Donner erfüllte die Morgenluft, als wir im Hinterhof ankamen und unsere Blicke nach oben richteten.
Ein Blitz heller und stärker als alle anderen schlug weniger Meter neben uns in den Boden ein und während ich erschrocken einige Meter zurücksprang, ging Eir zielsicher auf die rauchende Stelle zu. Der Qualm verzog sich und nach und nach erkannte ich die Gestalt eines Mannes darin.
Der Gott des Donners schritt in voller Montur auf uns zu. Eir stürzte ihm die Arme. Einige Augenblicke standen die zwei Götter umschlungen, während es wieder anfing zu regnen. Schließlich kam Thor auf mich zu und umarmte auch mich einige Sekunden. Dann fragte er aufgebracht: „was hat dieser Dummkopf jetzt schon wieder angestellt?"
Ich hatte ihn noch nie so erlebt. Er kochte förmlich vor Wut, dass der Donner nur so grollte. Gleichzeitig sah ich Anzeichen von Angst und Verzweiflung in seinen Augen. Er machte sich furchtbare Sorgen um seinen Freund.
Eir begann zu erzählen und ich ergänzte, wo ihr das Wissen fehlte.
Thor raufte sich die Haare. „Wieso hat er mich nicht angerufen verdammt noch mal? Ich wusste, dass das so enden würde. Er schafft es immer wieder sich in die ausweglosesten Situationen zu manövrieren. Warum habe ich ihn nur gehen lassen? Ich fürchte diesmal wird es mir nicht mehr gelingen ihn zu retten."
„Und dennoch müssen wir es versuchen", erwiderte ich und war selbst überrascht wie sicher ich dabei klang.
„Ruf Heimdall und wir werden nach Asgard reisen. Wir können ihn nicht im Stich lassen. Nicht nachdem er sich in Odins Hände begab nur um meinem Vater das Leben zu retten", forderte ich.„Bist du des Wahnsinns? Ich werde dich ganz sicher nicht mit nach Asgard nehmen. Loki würde mich umbringen, wenn ich dich in Gefahr bringen würde, nur um ihm das Leben zu retten", weigerte sich Thor und war drauf und dran alleine zu gehen.
„Das war keine Frage Thor und auch keine Bitte. Ich werde mit euch kommen", rief ich ihm hinterher.
Ich hatte die Schnauze voll die ganze Zeit im Abseits zu stehen. Ich war zwar kein Gott, doch ich liebte Loki und ich war an der Reihe etwas für ihn zu tun. Er würde sich noch wünschen mich eingeweiht zu haben, wenn ich ihm begegnete. Ich war so wütend auf ihn, dass er das getan hatte, auch ohne Thor einzuweihen, der alleine wegen ihm überhaupt auf der Erde war und wie wild entschlossen seinen Arsch aus Odins Fängen zu befreien. Ich hasste das Gefühl mehr als je zuvor nicht ernst genommen zu werden. Ständig taten die Götter etwas ohne es auch nur für nötig zu halten mit mir darüber zu sprechen. Ich war nun Teil dieser Welt und ab jetzt würde ich mitentscheiden.Thor stutzte. Anscheinend redeten nicht viele Frauen so mit ihm. Eir wiederum schmunzelte: „da hat sich unser alter Freund die richtige Frau ausgesucht. Lass sie mitkommen Thor. Du weißt wie es um die Welten steht. Sie soll uns helfen." Thor schnaubte, willigte aber schließlich ein. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht.
„Heimdall", rief er gen Himmel. „Wir brauchen dich." Der Regen hatte nachgelassen und ein Regenbogen begann sich über uns zu bilden. Der ganze Innenhof leuchtete in den bunten Farben der Erscheinung und ich war froh, dass es noch so früh am Morgen war, dass niemand sah, wie der Regenbogen wenige Meter vor uns endete. Das war also der Weg in die Neun Welten.
Eir trat als erste in den Schein und binnen weniger Augenblicke schien sie sich in reines Licht aufzulösen. Thor griff nach meiner Hand. „Dann lass uns gehen."
Ich nahm sie und wollte loslaufen, da hörte ich jemanden meinen Namen rufen.Bjarne stand am Eingang. „Einen Moment", bat ich Thor, dann löste ich mich noch einmal von ihm und lief zu meinem Großvater.
Ich wollte keine Vorträge hören, wie gefährlich das sei und das ich zur Vernunft kommen solle. Deswegen ließ ich ihn gar nicht zuerst das Wort ergreifen.
„Ich muss gehen. Ich muss einfach."Zu meiner Verwunderung nickte er. „ Ich weiß. Ich wollte dich seit ich Loki zum ersten Mal sah nur beschützen und war um ehrlich zu sein heilfroh, als er verschwand, doch mittlerweile muss ich mir eingestehen, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob das so eine gute Idee war. In der Edda ist Loki schlechtweg ein Monster, der Schuld am Untergang aller Welten haben soll. Doch im Bezug auf dich, sah ich einen ganz anderen Mann in ihm. Geh und rette ihn. Wenn einer das Schicksal ändern kann, dann du. Die Nornen sagten zwar Ragnarök voraus, doch vielleicht bist du der Faktor, der aus den gesponnenen Fäden nichts als Rauchschwaden werden lässt."
Ich fiel ihm um den Hals. So etwas hätte ich in meinem ganzen Leben niemals von meinem Großvater erwartet.
„Pass gut auf dich auf mein Schatz und mach dir keine Sorgen, ich achte auf deine Eltern. Mir wird schon eine Geschichte einfallen, wo du stecken magst." Er zwinkerte mir zu.
„Tausend Dank. Auf Wiedersehen", nuschelte ich in seine Jacke, dann löste ich mich von ihm.
„Leb wohl Elaine", flüsterte er, dann ging er hinein.‚Leb wohl!' Ein Schauer Gänsehaut huschte über meinen Rücken. Doch ich konnte nicht weiter über die Worte, die einen Abschied für immer verhießen, nachdenken, da Thor nach mir rief.
Eilig lief ich zurück zu ihm und reichte dem Gott meine Hand. Gemeinsam traten wir in das Licht des Regenbogens. Wärme und Geborgenheit hüllten mich ein. Dann verlor ich den Boden unter den Füßen und die Welt unter mir verschwand innerhalb von Sekunden. Ich sah nichts als leuchtende Streifen in tausenden Farben, die mich in den Himmel geleiteten.
Dann war die Reise zu Ende und vor mir lag in seiner vollen Pracht die Burg der Götter – Asgard.
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Ragnarök - Sommerregen✔️
Historical FictionZweiter Teil der Ragnarök Reihe Elaine ist aus Helheim zurückgekehrt und kennt die Wahrheit um Loki. Doch damit fangen die Probleme erst an. Während der Gott des Feuers versucht gut bei ihr dazustehen, möchte sie einfach nur die Wahrheit kennen. Wi...