|20| Kapitel

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Die Tür gab keinen Laut von sich, genauso wenig wie der Mann dessen Schatten über die Schwelle trat.

Zacs Stiefel hoben sich kaum hörbar vom hölzernen Paket ab und der Assassine schlich durch den dunklen Gang der sich zu einem Gemach ausbreitete.
Alle Fensterläden waren geschlossen und nur durch die schmalen Spalte zwischen den Holzscheiben fiel der Hauch von Mondlicht in das Schlafzimmer des Kronprinzen.

Zac umrundete einen Tisch, seine Hand glitt dabei zu dem Griff seines Dolches und mit einem leisen Geräusch zog er die Klinge hervor.
Er ging auf den Körper des Prinzen fokussiert auf dessen Bett zu.
Der Assassine schlich lautlos bis zum Kopfende und sah auf den schlafenden jungen Mann herab.
Nathaniel Kathrator schlief wie ein Stein, zumindest nahm Zac dies an, als langsam die versteckte Klinge aus seinem Unterarm glitt.
Zac streckte seine Hand aus und legte sie dem Kronprinzen auf die Brust.
Er würde ihn nicht im Schlaf erdolchen.
Als der Assassine ihn berührte riss Nathaniel die Augen auf und starrte ihn an.

Eine Sekunde, die Zac wie eine Ewigkeit vorkam, starrten sie einander an.
Es gab keine Worte zu sagen, keine Wünsche auszusprechen und keine Gründe zu geben.

Der Assassine war bereit sein Werk zu vollführen und hob den Arm, die ausgestreckte Hand und die Klinge darunter auf den Prinzen gerichtet.

Für einen Moment glaubte er, der Prinz würde nichts tun und ihn einfach weiter wie ein verängstigter Welpe anschauen, doch als Zac die Waffe auf ihn zurasen ließ, riss Nathaniel die Hände hoch und blockte den Angriff mit seinen überkreuzten Armen.
Erneut sahen sie sich an.
Mörder und Opfer.

"Du willst kämpfen?"
"Ich kenne dich." Sagte Nathaniel nur und runzelte die Stirn, er hielt die Klinge immer noch auf. "Ihr seit der Assassine?"
Zac antwortete nicht, sondern zog seinen Arm zurück und fuhr die Klinge ein, nur um in der selben Bewegung einen handlichen Dolch zu ziehen und nach dem Prinzen zu stechen, dieser rollte sich zur Seite und die Klinge bohrte sich in die Matratze. Federn stoben auf.

Der Bann war gebrochen. Nathaniel Kathrator stürzte sich aus dem Bett, griff nach einem Dolch in seinem Nachtkasten und griff Zac damit an, der Assassine wich dem ersten Angriff aus, nutzte den Schwung um den Prinzen in einem geschickten Manöver wieder zu entwaffnen.

Zac hielt nun beide Dolche in den Händen und bevor der Prinz erneut den Mund öffnen konnte, stach er zu.

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"Kane VanCanto."

Der schwarzhaarige Assassine blickte die große, schlanke Frau an, die nun den Innenhof betrat. Sie wurde von drei Männern flankiert, doch Kane war sich sicher, dass diese Frau ihren Schutz nicht nötig hatte.

Ihr langes, ebenes schwarzes Haar war zu einem niedrigen Pferdeschwanz gebunden und ihre milchweiße Haut deckte sich mit den Skulpturen aus weißen Marmor, die am Rande des Hofs aufthronten.
Kunst, Kane hatte keine Ahnung was sie in der Residenz der Assassinen zu suchen hatte.
Die eingetroffene Frau anscheinend genauso wenig, den ihre schmalen aber schwarz geschminkten Augen würdigten die Skulpturen keines Blickes.

"Sa-Huen." Er deutete ein Neigen des Kopfes mit einem Nicken an, womit sich die Meisterassassinin zufrieden gab und stattdessen die Arme vor sich verschränkte. "Was verschafft mir die Ehre?"
Huen antwortete nicht gleich, sondern schaute sich zunächst aufmerksam um. "Tairen Kesars Tod. Und deine Ernennung zum neuen Master von Amerun. Ich hörte die Umstände seien recht kompliziert gewesen." Sagte sie schließlich ruhig und mit kontrollierter Stimme.
"Ja, das ist richtig." Kanes Blick wanderte zu ihren großgestaltigen Begleitern und er erkannte Bher, der hinter ihnen stand und Huens Aufmarsch wachsam beobachtete.
"Willst du mir davon erzählen? Er würde sich auch mehr Aufklärung wünschen." Fuhr sie nun fort.
"Er? Du meinst, der Er?" Kanes Augenbrauen hoben sich.
"Wenn du, so wie ich, vom König der Assassinen sprichst, dann ja." Entgegnete sie monoton.
"Wie wurde diese Geschichte bis zu Ratane vorgetragen?" Hackte Kane etwas unbeholfen nach.
"Er wird es dir sicher erzählen, wenn du seiner Einladung in die Villa Chattanze folgst." Antwortete Huan schlicht, wenn doch die Züge eines Lächelns ihre dünne Lippen überzog.

Kane senkte einen Moment den Blick, um seine Überraschung zu verbergen, dann nahm er die Kunde gefasst auf.
"Wann soll ich dort eintreffen?"
"In zwei Wochen."
"Gut." Er nickte leicht und wollte sich abwenden, da räusperte sich Huan abermals. "Kane, niemand hat Tairen Kesar gemocht, doch er war ein guter Assassine und hier Master für über fünf Jahre. Er verschaffte sich Respekt."
"Durch Einschüchterung. So werde ich es nicht tun."
"Hast du dir darüber überhaupt schon Gedanken gemacht? Ich meine nur, Ratane wird dich danach fragen. Überlege dir besser, was du dem König der Assassinen darauf antworten wirst, VanCanto."

Und mit diesen Worten drehte sich die Meisterassassinin um und verließ schattenhaft den Innenhof, als Kane blinzelte und sie plötzlich aus seinem Blickfeld verschwunden war, zweifelte er einen Moment sogar daran, dass Sa-Huen überhaupt hier gewesen war.
Doch Bhers grimmiges Gesicht in der Passage zum Innenhof bewies ihm, ja, sie war hier und sie hatte ihm eine Einladung von Ratane überbracht.

Ratane, dessen ganzen Namen niemand kannte.
Ratane, den nur so wenige Lebende zu Gesicht bekamen.
Ratane, der König der Assassinen.

MURATIS |1| AssassinenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt