|19| Kapitel

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Helena schloss die Tür ihres Gemachs hinter sich und ging in zügigen Schritten den Flur entlang. Sie war bereits spät dran und wollte das Familienabendessen nicht versäumen.

Als sie jedoch die Treppe hinunter lief und sich innerlich über die kalten Fliesen aufregte, fiel ihr Blick auf eine Person, die ihr von der Treppe aus entgegen kam.
Der Mann trug eine abgewetzte grüne Robe, doch das auffälligste an ihm waren die Tätowierung auf seinem Kopf. Kantige, schwarze Runen erstreckten sich über seinen blassen Schädel.

Als der Mann an ihr vorbei ging begegneten sich ihre Blicke und Helena lief ein Schauer über den Rücken und sie verschränkte die Hände vor sich.

Die blutunterlaufenden Augen starrten die Prinzessin mehrere Sekunden lang an, dann neigte er der Höflichkeit halber den Kopf und wandte den Blick ab.

In Helena blieb ein unwohles Gefühl zurück und sie drehte sich noch einmal hektisch um, da verschwand der Mann jedoch bereits um einer Ecke.

Sie schluckte und betrat nun den Speisesaal der königlichen Familie.
"Verzeiht meine Verspätung." Verkündete sie beim Eintreten und lächelte in die Runde, während sie Platz nahm.
Ihr Bruder saß gegenüber von ihr und stützte seinen Kopf an seinem Arm ab. Nathaniel war müde, da er heute Nachmittag mit dem Boot zu einer Insel vor der Küste gesegelt war, erinnerte sich Helena und warf ihm einen mitleidigen Blick zu.

Ihre drei anderen Geschwister unterhielten sich miteinander.
Ihre Tante, die jüngere Schwester des Königs, half ihrer kleinsten Schwester Keia dabei ihr Fleisch zu schneiden.
Ihr kleiner Bruder Niam schien gelangweilt und ließ die Erbsen auf seinen Teller herumrollen.
Ihr Vater war wie so oft tief in Gedanken versunken, während ihre Mutter Jamena etwas unbeteiligt aus dem Fenster schaute.
"Wisst ihr wer dieser Mann mit den auffälligen Tätowierungen auf dem Kopf ist? Er ist mir gerade entgegen gekommen." Fragte sie während sie sich einen Becher Fruchtnektar eingoss.
Ihre mittlere Schwester, Emylia, sah auf.
Die beiden haben sich nie wirklich nahe gestanden, doch Helena gab zu, dass das Mädchen mit ihren dichten schwarzen Haaren und dem bronzenen Teint inzwischen sehr hübsch aussah. Sie, ihr jüngster Bruder und die Kleine Keia kamen mehr nach ihrem Vater, während Helena und Nathaniel die helleren Gene ihrer Mutter Jamena geerbt hatten. Nur woher Helenas eher rötlich blondes Haar stammte, blieb der Familie ein Rätsel.
"Ich habe den Mann vorhin ebenfalls gesehen. Ich finde ihn wirklich gruselig." Antwortete ihre Schwester.
Helena nickte. "Ja, was will er wohl hier."
Überraschenderweise, war es ihr Vater der antwortete, denn er blickte sie nun an. "Mach dir keine Gedanken, Helena."
Die Prinzessin sah den König an. "Weißt du denn um wen es sich handelt?"
Er nickte. "Ja, ein hoher Inquisitor."

Königin Jamena schnaubte und strich ihrer jüngsten Tochter durchs Haar. "Religiöse Fanatiker."

Der König warf seiner Frau einen ungeduldigen Blick zu, dann trank er einen Schluck Wein.

"Inquisitor? Wozu das denn?" Fragte Helena unsicher. Der Mann hatte ihr tatsächlich Angst eingejagt mit seiner Erscheinung.
Der König zuckte mit den Schultern. "Ich habe nach dem Ball nach ihm schicken lassen, nachdem das Gerücht umging die Zwischenfälle, der Mord, wäre durch Assassinen verübt worden. Inquisitoren haben Erfahrung mit diesem Problem und von daher dachte ich wäre es am effizientesten diese Plage so zu beseitigen. Assassinen im Palast fehlen uns in unserer politischen Lage gerade noch."

"Assassinen. Noch mehr Fanatiker." Murmelte Jamena und schüttelte den Kopf.

Nathaniel lächelte und tauschte einen amüsierten Blick mit seiner Mutter.

"Fürchtest du dich vor ihm?" Fragte der König und seine braunen Augen schauten Helena nun direkt an und die Prinzessin schüttelte sofort den Kopf.

"Gut." Er wandte den Blick wieder ab und Helena entspannte sich etwas.

Danach kehrte Stille ein und die Familie aß bis auf weiteres schweigend weiter.

🔴◾🔴


Die Nacht brach herein und ein halber Mond schien auf die Stadt herab, bis sich dichte Wolken vor ihn schoben und auch die Sterne hinter Nebel verschwanden.
Stille war eingekehrt und es schien, als wäre die Welt erstarrt. Als wüsste jeder - jedes Tier, jeder Mensch - um das Unglück, was dabei war zu geschehen.

Als Zac nach Mitternacht am verlassenen Hafen entlangeilte, hörte er kaum das Meeresrauschen und vermutete, sogar das Wasser würde inne halten. Doch er nahm eher an, es verstummte nur für den Moment, in dem die Götter des Meeres ihn verfluchten.
Sollten sie es doch.

Er kletterte eine Hauswand hinauf und zog sich die tiefhängende Kapuze über den Kopf. Er überprüfte noch einmal im Schutz der Schatten seine Ausrüstung. In seiner rechten Armschiene lag das dünne Messer, das er sich für den Ball hatte anfertigen lassen, an seinem Gürtel hingen vorne zwei überkreuzte Messer und hinten ein Dolch. Für Notfälle war da noch die Klinge an seinem Stiefel. Den Rest brauchte er für Bewegungsfreiheit.
Es waren fünf Klingen insgesamt.
Das müsste reichen.

Zac nickte leicht und rannte dann los.

🔴◾🔴

Der Assassine erreichte das Schloß, kletterte an der hintersten Stelle der Mauer hinauf und schwang sich elegant über die Zinnen.
So sehr er sich auch mit der Observierung des Schlosses beschäftigt hatte, er hatte keine Ahnung wo Nathaniel Kathrators Gemach war, also hieß es: suchen. Das kostete jedoch wertvolle Zeit.
Zeit, die schon verloren ging, als er über die Zinnen, den gesamten Palast einmal umrundete, um eine offene Einstiegsmöglichkeit zu finden.
Es war schließlich ein Fenster in der Schlossküche, was ihm Zugang verschaffte und Zac kletterte hindurch.
Gerade als er zur Tür eilen wollte, fiel sein Blick auf eine schlafende alte Frau, die in einem Stuhl neben der Tür zusammengesunken vor sich hin schnarchte.

Der Assassine legte leicht den Kopf schief und musterte sie, dann ging er leise zur Tür und drückte den Henkel hinunter ... und nochmal ... und ein drittesmal versuchte er die Tür zu öffnen, doch sie war abgeschlossen.
Sein Blick landete wieder auf der alten Frau, auf deren Schoß ein halbleerer Teller Essensreste stand.
Zac kniff die Augen zusammen, als er unter ihr etwas entdeckte.
Saß die Frau etwa auf den Schlüsseln? Wer sperrt sich denn bitte in einer Küche ein und setzt sich dann auch noch mit dem größten Hintern, den Zac je gesehen hatte, auf die Schlüssel?

Der Assassine seufzte und ging auf die Frau zu ...

Fünf Minuten später hielt er die Schlüssel in der Hand und unterdrückte einen Würgreiz. Seine Hand hatte Stellen berührt, die ihn für lange Zeit Albträume bescheren würden.
Doch schließlich konnte er die Küche verlassen und fand sich in einem kühlen Gang mit beigen Fliesen und Wandgestein wieder.
Er erkannte manche Räume im Vorbeigehen vom Ball wieder, doch er hielt auf die kleinere Dienstbotentreppe am Ende des Korridors zu. 
Zac sah sich kurz hektisch um.
Ins Schloss zu kommen, hatte mehr Zeit benötigt als eingeplant war. Jetzt musste er sich beeilen und das hieß alle Register ziehen.
Er würde Nathaniels Gemach finden, seine Wachen erstechen und anschließend den Kronprinz selber töten müssen.

Der Assassine schob die Klinge aus seinem Armschutz und als er oben auf Gardisten stieß, brachte er sie mit sauberen Kehlschnitten rasch und leise um, bis auf Einen.

"Das Gemach von Prinz Nathaniel." Verlangte er und presste dem Mann den Dolch in die Seite. "Sag es mir, oder ich werde dir deine stille Zunge herausreißen, auf das du für immer schweigen darfst." Raunte der Assassine und schloss die blutigen Finger um sein Kinn, dann blickte er der Wache in die vor Schreck geweiteten Augen.

Wenig später sackte auch dieser Körper leblos zu Boden, doch Zac wusste nun, wo er den Kronprinzen finden würde.







MURATIS |1| AssassinenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt