1 - Lilou -

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Es ist Abend geworden in Paris. Ich sitze auf dem Balkon unserer Wohnung, die Füße liegen auf dem storchbeinigem Tisch. Unter mir rauscht die Straße, ein LKW-Fahrer hupt sich seinen Weg durch den Feierabendverkehr. In meiner Hand halte ich ein Glas Rotwein. Ich schaue zu, wie die Spätsommersonne sich darin spiegelt. Ich nehme alles in mir auf, die verdreckte Stadtluft, den Lärm - und den Granatapfelgeruch von Lilous wilder Haarmähne, als sie sich über mich beugt und mir einen Kuss auf den Übergang zwischen Kiefer und Hals drückt. Lilou meine Verlobte. Wir haben uns vor vier Jahren kennengelernt, am Bahnhof in Paris. Und dann sind wir einfach hier geblieben. Liebe ist nicht immer kompliziert. Mit Lilou war es immer einfach. Bis auf dieses eine Gespräch, dass noch geführt werden muss vor der Hochzeit. Diese eine Sache, die sie nicht von mir weiß. Diese eine Sache, die so ein großer Teil von mir ist. Diese Sache, die mich überhaupt nach Paris geführt hat.

Lilou lässt sich mir gegenüber auf einen weiteren Stuhl fallen und zündet sich eine Zigarette an. Sie ist keine Kettenraucherin, nicht abhängig, sie könnte jeden Moment damit aufhören, wenn sie wollte. Sie raucht, weil es ihrem Bild der freien Pariserin entspricht und, weil ohne dieses Risiko, dass Leben nicht spannend genug wäre. Ich mag nicht, wenn Leute rauchen, aber ich mag, wie Lilou es macht.

"Also?", fragt sie und schnippt die Kippe über die Balkonbrüstung. "Was willst du mir beichten?"

Sie scherzt, sie scherzt zu oft. "Wieso bin ich in Paris?", frage ich sie.

Lilou runzelt die Stirn. "Weil wir verlobt sind, weil wir hier wohnen...?"

Ich nehme einen Schluck vom Wein und schüttle den Kopf. "Nein, ich meine wieso ich vor vier Jahren überhaupt hierher gekommen bin"

Sie wiegt ihren Kopf hin und her. "Du hast immer erzählt, dich hat das Leben in der Kleinstadt in Deutschland erdrückt. Du wolltest weg, nach dem Abitur"

Ich nicke langsam. Lilou rückt an mich heran, nimmt mir das Weinglas aus der Hand, stellt es auf den Tisch, von dem ich meine Beine mittlerweile runtergezogen habe. Dann greift sie nach meiner Hand und hält sie fest.

"Ava...steckt da noch mehr dahinter?" Lilou ist besorgt, sie hat immer zu viel Empathie für andere Menschen übrig.

Ich entziehe ihr meine Hand und knete sie nervös in meinem Schoß. Sie sind schwitzig, nicht von der Hitze. Lilou sieht mich an. Du kannst mir alles sagen, scheinen ihre Augen mir mitteilen zu wollen und das weiß ich auch.

Ich atme tief durch und sage: "Habe ich dir je von meiner ersten Liebe erzählt?"

You were my first love [lehrerinxschülerin]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt