6 - Kursfahrt -

3K 168 5
                                    


Lilou raucht. Dieses Mal zieht sie kräftig an der Zigarette, füllt ihre Lungen tiefer und energischer als für gewöhnlich. Ich sitze stumm und schaue ihr zu. Eine leichte Brise zieht über den Balkon und weht Lilou die Haare ins Gesicht, sie streicht sie genervt zurück.
„Carina hat auch geraucht", sage ich urplötzlich, überrascht von mir selbst. Ich hatte es vergessen, tief in meinem Unterbewusstsein verstaut, aber es stimmt. Carina hat geraucht.
Lilou drückt die Kippe aus.
„Woher weißt du das?"

Es war auf Kursfahrt. Sie war zum Ende des ersten Halbjahres der 11. Klasse, nur eine oder zwei Wochen nach der Grammatikarbeit. Wir fuhren zusammen mit dem anderen Französischkurs und einem Deutschkurs oder war es ein Englischkurs? Ich weiß es nicht mehr. Die Fahrt ging in den Schwarzwald, keine Ahnung wer das ausgesucht hatte, neben Kursfahrten nach Österreich oder Hamburg war es nicht unbedingt das Traumziel. Es war Winter, es war kalt und es lag sogar genug Schnee zum Skifahren, was einige auch taten. Ich nicht. Ich war eine von den wenigen, die sich dafür entschieden hatten kein Ski zu fahren und das nur aus einem Grund: Carina betreute die „Talgruppe".
Die Fahrt ging über fünf Tage, wir fuhren mit einem Reisebus, vier Stunden lang. Keiner meiner Freunde war mit dabei, also saß ich allein relativ weit vorne im Bus, hinten wurde mir immer übel.
Natürlich hoffte ich Carina würde sich neben mich setzen und natürlich tat sie es nicht, sie saß mit dem anderen Lehrer, er war alt, also wurde ich auch nicht eifersüchtig. Carina saß zwar nicht neben mir, schräg zwei Reihen vor mir saß sie, aber bei jedem ihrer Rundgänge in dem sie prüfte, ob alles in Ordnung war blieb sie auffällig lange neben mir stehen und wir redeten. Es war mir egal, dass andere sich darüber lustig machten, dass ich freiwillig mit einer Lehrerin sprach, denn mich machten diese paar Minuten so glücklich. Allein die Tatsache, dass ich es schaffte ihr ein Lachen zu entlocken und sie mich auf diese besondere Weise anlächelte. Dieses Lächeln, dass sich ganz langsam auf ihrem Gesicht ausbreitete und es vollkommen erstrahlen ließ - nur für mich.
In der Herberge teilte ich mir ein Zimmer mit irgendeinem Mädchen was ich nicht kannte und keiner von uns beiden legte Wert darauf den anderen kennenzulernen, Tatsache ist ich sah sie die meiste Zeit nicht. Damals kam ich mir ein bisschen ausgeschlossen vor, heute weiß ich nicht einmal mehr wie sie hieß. Ein weiterer Beweis dafür wie unwichtig all diese Schulfreundschaften und Beliebtheit doch sind. Aber egal, davon wollte ich ja gar nicht erzählen.
Die Kursfahrt war voll mit gemeinsamen Erlebnissen von Carina und mir. Mir sind aber nur Bruchstücke geblieben...man vergisst so schnell, selbst was man nicht vergessen will.
Gleich am ersten Tag, wir hatten gerade Koffer ausgepackt und etwas gegessen, entfloh ich dem Zimmer und wanderte über das Gelände der Herberge. Es war gerade frischer Schnee gefallen, der unter meinen Schuhen knirschte. Ich wollte zum See runtergehen, man musste einer Lehrkraft bescheid sagen, ich fand Carina schnell, als ob ich fühlen könnte wo sie war.
„Darf ich zum See runtergehen?", fragte ich sie. Sie saß mit dem anderen Lehrer auf einem der Sofa im Aufenthaltsraum.
„Zum See?". Sie erhob sich. „Da wollte ich auch hin, ich komme mit, wenn es dich nicht stört"
„Nein, tut es nicht", versicherte ich ihr. Nein, stören das tat es mich nun wirklich nicht, eher das Gegenteil.
Carina lächelte.
Ich folgte ihr zu ihrem Zimmer, weil sie sich ihre Jacke holen wollte, aus Höflichkeit blieb ich davor stehen.
Sie schmunzelte, ich weiß noch genau wie die Abendsonne dabei auf ihr Gesicht fiel.
„Nun komm schon rein, ich verstecke nichts", sagte sie und ich glaubte damals tatsächlich mich verhört zu haben.
Schließlich folgte ich ihr dann in ihr Zimmer, ein ganz normales Herbergszimmer mit zwei Betten, auf das eine hatte sie achtlos ihren Koffer geworfen. Ich setzte mich auf ihr Bett, das in dem sie schlief oder eher schlafen würde, es war ja der erste Tag, und allein der Gedanke daran, dass Carina in wenigen Stunden hier liegen würde, raubte mir den Atem.
Ich sah Carina dabei zu, wie sie dickere Socken, Jacke und Schal anzog und verlor mich komplett in ihren grazilen Bewegungen. Es fühlte sich für mich irrsinnigerweise so intim an, in ihrem Zimmer zu sein, als würde sie ein Stück von sich mit mir teilen.
Wir stapften zum See und ich weiß noch wie losgelöst Carina war. In dem Moment war sie nicht meine Lehrerin, in dem Moment war ich nicht ihre Schülerin - wir waren einfach Carina und Ava.
Sie redete pausenlos, wohingegen ich ein wenig schüchtern war, in ihrer Gegenwart umso mehr, daher erzählte sie und es war so schön ihrer Stimme zu lauschen, ein wenig rau von der kalten Luft.
Wir verliefen uns. Wir waren einfach zu vertieft in das Gespräch wie es scheint, denn irgendwann schienen wir noch weiter vom See entfernt zu sein als am Anfang. Wir bemerkten es auf einer Lichtung. Der Weg zum See hatte durch den Wald geführt, der Schnee den Weg bedeckt, so waren wir wohl falsch abgebogen. Die Lichtung war wunderschön, der Neuschnee, die Eiszapfen die sich an den Trauerweiden gebildet hatten, Carinas gerötete Wangen - das war zu viel Perfektion und Schönheit auf einmal und ich weiß noch wie ich dachte „Bitte küss mich, bitte küss mich einfach"
Wir standen da und plötzlich fing Carina an zu lachen, ein offenes ungehaltenes Lachen.
Wenn ich die Augen schließe, sehe ich dieses Segment an mir vorbeiziehen.
Ich kann nicht glauben, dass es wirklich passiert ist. Es klingt so unwirklich.
Wir brauchten mehrere Anläufe, um den See zu finden, aber Carina gab mir nicht eine Sekunde lang das Gefühl, dass sie die Zeit mit mir als lästig empfand. Vielmehr hatte ich das Gefühl sie würde es genießen. Sie ging so nah an mir, ich konnte ihre Körperwärme spüren, es war fast als würde ich sie berühren.
Wir kamen zu spät zum Abendessen. Eine gute Viertelstunde war es sicherlich. Wir platzten in den Speisesaal, alle Blicke musterten uns, neugierig.
Carina aber warf mir nur ein schelmisches Grinsen zu und zwinkerte.

„Ich muss kurz aufs Klo", unterbricht Lilou mich. „Sorry"
„Ist ok", murmle ich, ein wenig erschöpft.
Lilou geht an mir vorbei in die Wohnung, dabei streicht sie mir sanft über die Schulter.
Und ich merke die Anspannung augenblicklich von mir abfallen.

You were my first love [lehrerinxschülerin]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt