20 - Weihnachtsfeier -

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„Kannst du dich noch an die Weihnachtsfeier erinnern? Die, als du in der 12. warst?", fragt Carina und holt mich aus meinem Dämmerzustand.
Nach dem Ereignis auf dem Rastplatz ist Stück für Stück die Müdigkeit zu mir durchgedrungen. Schließlich bin ich bereits den ganzen Tag unterwegs. Kaum zu glauben, dass ich vor 24 Stunden noch zusammen mit Lilou auf unserem Balkon saß.
Lilou...ich spüre einen kurzen Stich in meinem Herzen. Schlechtes Gewissen.
„Ava?"
Ich hebe meinen Kopf an, der bis dahin an der Fensterscheibe gelehnt hat und drehe ihn Carina zu.
„Ja natürlich, wieso fragst du?"
Carina lächelt ein kleines Lächeln. "Naja, ich fand sie so schön".
Ein zarter pinker Hauch legt sich auf ihre Wangen und ich merke mich selbst dahinschmelzen. So verschüchtert kenne ich sie gar nicht, aber es ist süß. Ich strecke meine Hand aus, um eine Strähne aus Carinas zerstörter Hochsteckfrisur aus ihrem Gesicht zu streichen. Für einen kurzen Moment verbinden sich unsere Blicke, bevor Carina ihre Augen wieder auf die Straße richtet. Mir ist ganz warm ums Herz, so wie jedes Mal, wenn ich in ihre Augen schaue. Ich bin froh, dass dieser Effekt nicht nachlässt. "Dann erzähl mir doch davon", bitte ich sie und ihre Mundwinkel zucken kurz hoch.

"Es war einmal vor langer langer Zeit am Gymnasium eine Weihnachtsfeier", beginnt sie und ich lache und lehne mich ein wenig zurück.
Carina lacht auch. „Wie soll ich das denn erzählen?"
Ohne die Augen von der Straße zu lösen, angelt sie nach ihrem Tagebuch und drückt es mir in die Hand.
„Dürfte irgendwo im ersten Drittel zu finden sein", kommentiert sie ihre Tat.
„Lies vor, wenn du es findest"
„Es ist verrückt, dass du mir andauernd dein Tagebuch so anvertraust", sage ich.
Carina zuckt mit den Schultern.
„Du bist mein einziges Geheimnis, ansonsten bin ich ein offenes Buch", scherzt sie.
„Bist du dir da sicher?", necke ich sie.
"Nein" Sie lächelt. „Aber was wäre das Leben ohne ein bisschen Risiko"
Dieser Satz lässt mich kurz zusammenzucken. Er könnte aus Lilous Mund stammen. Doch Carina bemerkt nichts und ich schüttle es ab und schlage ihr Tagebuch zum wiederholten Male auf.

Ich finde den Eintrag schnell.

"21. Dezember 2013", beginne ich. "Hey, das war ja ein Jahr nach dem angeblichen Weltuntergang"

Carina kichert. "Gib zu, ein wenig erleichtert warst auch du"

Ich nicke, ertappt, und widme mich weiter dem Eintrag.

"Heute war der letzte Arbeitstag für dieses Jahr und dementsprechend auch die Weihnachtsfeier. Einige Kollegen bezeichnen sie als Zeitverschwendung, aber ich sehe es nicht so. Dazu ist die Atmosphäre viel zu schön. Nicht nur meiner persönlichen Situation wegen. Zuerst stand der freiwillige Besuch in der Kirche an. Ich bin hingegangen, nicht weil ich auf einmal gläubig geworden bin, sondern, weil ich gesehen habe, dass Ava sich in die Liste für die Teilnahme eingetragen hat.

Ich habe sie in der Kirche nur kurz gesehen, sie saß per Zufall einige Reihen vor mir. Manchmal wenn sie ihren Kopf gedreht hat, um mit ihren Freundinnen zu reden, habe ich ihr lachendes Profil gesehen. Das war schön.

Ich habe mich dazu entschlossen, mit meinem Französischkurs zu wichteln. Nach der Kirche kamen sie also alle zu mir in den Raum. Ich weiß nicht, ob sie alle nur glücklich waren, weil sie so dem Aufbau für die Feier entgangen sind oder, ob sie einfach wirklich gerne gewichtelt haben. Ich hoffe natürlich letzteres. Ich habe einen Schal bekommen. Ich weiß, dass dieses Geschenk nicht von Ava ist. Ich selbst habe Julian Schokolade gekauft. Meine Hoffnung Ava zu erwischen, ist leider nicht aufgegangen. Ich gebe zu, kurz habe ich erwogen, die Lose zu manipulieren. Aber wenn ich ehrlich bin...was hätte ich ihr dann geschenkt? Nichts, was ich ihr gerne schenken würde, wäre angemessen gewesen. Ava hat ein kleines Badeset bekommen. Sie schien sich zu freuen.

Jedenfalls fand dann die Feier statt. Jede Klasse bzw. jeder Kurs organisierte eine kleine Attraktion, die eigentlich eher für jüngere Schüler/innen interessant waren. (Bis auf die Essensstände. Die HotDogs der 8.Klässer waren eine ernstzunehmende Konkurrenz Ikea gegenüber).

An einer Attraktion habe ich teilgenommen und wenn ich daran denke, wird mir immer noch ganz flau im Magen, aber in einer guten Art und Weise. Rein aus Interesse schaute ich bei den Attraktionen, der Klassen und Kurse, die von mir unterrichtet werden, vorbei . Die, bei der Ava mithalf, hob ich mir bis zum Schluss auf.

Es war, so nannten sie es, "weihnachtliches Schminken", eine Form des Kinderschminkens mit ausschließlich Weihnachtsmotiven. Obwohl die meisten Krakeleien die dabei entstanden sind, relativ hässlich waren, stolzierten die 5.Klässler stolz umher und präsentierten allen ihre bemalten Gesichter. Das war einfach süß. Manchmal mischten sich unter diese hässlichen Malereien wunderschöne, filigrane und kurz darauf hatte ich den Ursprung gefunden: Ava natürlich.

Sie saß am Fenster und als ich mich durch den vollen Raum zu ihr durchgeschoben hatte, fragte sie gerade ein kleines Mädchen nach ihrem Wunschmotiv (eine Schneeflocke). Ich glaube sie bemerkte mich nicht, da ich schräg hinter ihr stand.
Es war als hätte ich mich heute erneut in sie verliebt. Die Art wie sie den Pinsel in die hellblaue Glitzerfarbe tauchte und sanft den Kopf des Mädchens drehte, bevor sie auf ihrer Wange zu malen begann, ließ meine Knie weich werden und ich wünschte mir anstelle des Mädchens zu sein.
Ava kann so wunderschön zeichnen, es ist unglaublich. Das ist wahres Talent.
Irgendwann ging das Mädchen und ich setzte mich auf den Stuhl. Folgender Dialog kam zustande:
Ich: „Ich wusste gar nicht, dass du so begabt bist"
Ava: „Ach ist doch nichts besonderes"
Ich: „Oh doch"
Ava: „Sie sitzen auf dem Stuhl. Für die Kinder die bemalt werden wollen."
Ich: „Tue ich das?"
Ava: „Was für ein Motiv darf es denn sein, Frau Abke?"
Ich weiß nicht was in diesem Moment über mich kam, aber ich sagte „Mistelzweig".
Avas zarte Hände hielten meine Wange und sie neigte sich mit ihrem Gesicht nah an meins. Der Pinsel kitzelte auf meiner Wange und dort wo ich ihre Hände spürte, brannte meine Haut. Ich nahm ihren süßen Duft war und mein Herz schlug so schnell, ich war mir sicher, sie würde es bemerken."

Hier endet Carinas Eintrag.
„Ich habe es nicht bemerkt", sage ich. „Aber ich habe mir gewünscht, dass es so ist. Meine Gedanken waren ganz ähnlich"
Ein kleines Lächeln schleicht sich auf Carinas Lippen, nur ganz klein, genau richtig, für den Moment.
„Wir sind gleich da", sagt sie.
„Ich weiß", antworte ich.
Sie schaut verwirrt. „Woher weißt du wohin wir fahren?"
„Du bist nicht so diskret wie du denkst", erwidere ich grinsend.

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