4 - Zufälle -

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Ich reiße meinen Blick von den Dächern los, als ich merke, dass Lilou auf ihrem Stuhl rumzappelt - ungeduldig. Sie versucht es zu verbergen, aber ich weiß, dass ich jetzt weiter sprechen muss. Ein weiteres mal werde ich mich nicht dazu überwinden können.

Unsere Beziehung, denn es war eine, dabei steht außer Frage was für eine, basierte zum Großteil auf meiner Einbildungskraft. Ja - Carina hegte Sympathien für mich, jedoch ganz andere als ich es tat. Sie stellte sich wahrscheinlich nicht vor, wie es war mich zu küssen, sie malte sich vermutlich keine Zukunft an meiner Seite aus. Ich durchlebte verschiedene Phasen mit Carina. Den Anfang, wo ich meine Gefühle nicht zuordnen konnte, die Verliebtheit, in der ich ihretwegen die Verrücktesten Dinge tat und alles was danach kam. Nicht mehr diese blinde Verknalltheit, aber immer noch eine Stufe vor Liebeskummer, immer noch verliebt.

Die krasse Verliebtheit war die schönste und schrecklichste Phase zugleich. Schön, weil ich nicht an Konsequenzen dachte, nur meine Liebe für sie, nichts weiter. Schrecklich, weil es mich jedes mal aufs Neue verletzte: dass ich nur ihre Schülerin war. In dieser Zeit überließ ich nichts dem Zufall, ich wurde beinahe schon ein Stalker, ja, so sehr ich mich auch schäme es zuzugeben.

Es war nur wenige Wochen nach Schuljahresbeginn, als ich etwas bemerkte, was mein Herz höher schlagen ließ. Eines morgens stand ich an der Bushaltestelle, stand mir die Beine in den Bauch, weil ich wie so oft zu früh war. Da fuhr sie vorbei. Carina. In ihrem Auto, ein schwarzer Golf, ein älteres Modell. Und sie warf mir ein Lächeln zu. Carinas "Schulweg" ging also mitten an meiner Bushaltestelle vorbei und sie fuhr nie vorbei, ohne mir ein Lächeln zuzuwerfen. Jeden Morgen hoffte ich, sie würde anhalten und mich mitnehmen...es passierte natürlich nicht, sie durfte das gar nicht, eine Schülerin mitnehmen. Nach ein paar Tagen konnte ich ihr Nummernschild im Schlaf aufsagen. CA 2584. Nach ein paar Wochen wusste ich die Bedeutung. Carina Abke, geb. am 25. August 1984. Ich hatte lange knobeln müssen, lange recherchiert, viel rumgefragt. Ich habe nie erfahren, ob es stimmt, aber mir reichte diese Erklärung. Es war fasst, als hätte sie es mir selbst erzählt und es fühlte sich an, als kenne ich einen persönlichen, privaten Teil von ihr. Sie parkte ihr Auto auch immer an der gleichen Stelle, in der linken Ecke des Lehrerparkplatzes, gleich unter den Kastanien. Details, die sie wahrscheinlich unbewusst tat.

Lilou lächelt zaghaft. "Weißt du, das ist eines was ich an dir liebe", sagt sie.

"Was?", frage ich, zerstreut.

"Deine Liebe zum Detail"

Ich lächle und erzähle weiter.

Das ist nicht alles was ich tat, um mich ihr näher und verbundener zu fühlen. Wir hatten eine Schulhomepage, auf der man alle Stundenpläne jeder Jahrgangsstufe einsehen konnte, versehen mit dem jeweiligen Lehrernamen, der die Klasse unterrichtete. Ich ackerte mich durch die 50 Stundenpläne und trug akribisch, beinahe so wie bei der Klassenbuchführung, zusammen wann und in welchem Raum, sie welche Klasse unterrichtete. Nicht selten ging ich Umwege, einzig und allein in der Hoffnung ihr auf dem Gang zu begegnen. Ein Gruß von ihr war mir so viel wert. Oder einfach nur von weitem zu sehen, wie sie durch die Schulflure ging. Kleinigkeiten wie diese machten mich glücklich.

Ja, ich suchte wirklich ihre Nähe. Ich kam früher zum Unterricht und blieb länger, meldete mich immer freiwillig dafür, ihr beim Wörterbuchtragen zu helfen. Es waren immer nur Minuten, doch insgesamt betrachtet verbrachte ich mit Carina viele Stunden mehr als meine Klassenkameraden. Es ging so weit, dass ich mir wünschte sie außerhalb der Schule zu treffen. Sie erwähnte irgendwann mal, an den Kontext erinnere ich mich nicht mehr, in welchem Ort sie wohne und wie der Zufall es wollte war es mein Nachbardorf. Wann immer meine Mutter mich zum Einkaufen schickte, stieg ich aufs Fahhrad oder in den Bus und fuhr in den Aldi im Nachbardorf, alles in der Hoffnung sie zu treffen. Ich lungerte unnötig lange zwischen den Regalen umher, aber ich traf sie nie. Vielleicht kaufte sie nicht bei Aldi ein.

Ich traf Carina nur ein einziges mal außerhalb der Schule, es war nicht von mir inszeniert, es war wirklich ein Zufall. Ich war mit einer Freundin in die Stadt reingefahren, shoppen und dann wollten wir Pizza essen oder vielleicht zu McDonalds, wir hatten uns noch nicht entschieden. Wir gingen in die Einkaufspassage, meine Freundin probierte haufenweise Teile in der Umkleide bei Zara, ich saß davor. Ich war schon ein wenig erschöpft, hatte meinen Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen, bis -

"Ava?", fragte Carina. Ich schlug die Augen auf. Einbildung, dachte ich zuerst. Einbildung, du tagträumst soviel. Aber nein, sie stand wirklich vor mir.
Mein Mund war merkwürdig trocken, ich musste meine Zunge erstmal von meinem Gaumen lösen.
„Ha-hallo Frau Abke"
Sie lächelte warm. „Bist du auch einkaufen?"
Ich nickte. „Ja mit einer Freundin"
Sie lächelte noch breiter. Was ich an ihrem Lächeln besonders mochte, war, wie ihre Mundwinkel sich dabei stetig auf- und ab-bewegten. Es machte mich verrückt. Mit schoss die Röte ins Gesicht.
„Viel Spaß", sagte sie noch und ging.
„Wünsche ich Ihnen auch"
Sie schaute zwei mal zurück und ich interpretierte alles mögliche hinein.

Das war das Schlimmste, mein größter Feind: der Eifer mit dem ich Dinge dorthin interpretierte, wo nichts war.

Lilou nickt bedächtig. „Das kenne ich. Jeder der unglücklich verliebt war kennt das"
Ich greife beherzt zu den Crackern.
„Das macht es nicht einfacher"
Lilou nimmt sich auch einen.
„Nein, in der Tat nicht"

You were my first love [lehrerinxschülerin]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt