24 - In Ewigkeit verbunden -

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Am Samstagabend, fast 24 Stunden später stehe ich vor meiner Wohnungstür. Meiner und Lilous. Die Tür zum Treppenhaus habe ich aufgeschlossen, doch jetzt zögert meine Hand mit dem Schlüssel. Ich lasse sie sinken und betätige den altmodischen Türklopfer. Was ist, wenn ich nicht mehr willkommen bin?
Das Klopfen hallt durch das gespenstisch stille Treppenhaus und verklingt langsam. Doch die Tür ist immer noch zu. Ob Lilou weggefahren ist? Verübeln könnte ich es ihr nicht.
Ich entscheide mich gerade dazu, selbst aufzuschließen, als die Tür geöffnet wird. Vor mir steht Lilou, mit einem Pinsel in der Hand, in ihrem Malkittel. Ganz die Kunststudentin.
Als sie sieht, dass ich es bin, dreht sie sich ohne ein weiteres Wort um und geht zurück ins Wohnzimmer. Ich bleibe wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Wenige Sekunden später kommt Lilou zurück und nimmt meine Hand. Sie kann nicht so hart sein, wie sie es gerne wäre.
„Na komm schon rein", flüstert sie und zieht mich in die Wohnung.
Lilou führt mich zum Sofa. Ich bin so müde, ich breche beinahe zusammen.
Sie legt ihren Malkittel ab und setzt Teewasser auf. Ich betrachte die Leinwand, die auf ihrer Staffelei steht.
Ein expressionistisches Bild, in tannengrün, weiß und schwarz. Ich versuche, die Gefühle die dahinterstecken zu deuten, aber ich kann es nicht.
Lilou setzt sich neben mich, die zwei Tassen Ingwertee stellt sie vor uns auf den Couchtisch. Dort liegt immer noch mein Jahrbuch, jedoch ist eine andere Seite aufgeschlagen worden. Die Seite, auf der ein Bild von mir, mit einer Urkunde für ein archäologisches Projekt, zu finden ist.
Ich klappe es zu. Es ist an der Zeit, meine Schulzeit ein für alle mal hinter mir zu lassen.
„Du bist zurückgekommen", stellt Lilou fest.
„Ich habe es versprochen"
„Bist du nur deshalb wieder hier?"
Ich schüttle den Kopf. „Nein"
„Was...ist passiert?", fragt Lilou und kratzt angetrocknete Farbe von ihrem Daumen.
Ich setze an, um zu erzählen, doch Tränen sind schneller als Worte und sie sind unaufhaltsam. Sie brechen aus mir heraus und ersticken jeden Versuch, etwas zusammenhängendes zu erzählen, im Keim.
Ohne auch nur einen Moment zu zögern, nimmt Lilou mich in den Arm und streicht mir behutsam über den Rücken.
„Ich verzeihe dir", flüstert Lilou.
So weine ich mich in den Schlaf.

Drei Monate später

Das expressionistische Bild, dass ich nicht verstanden habe, hängt mittlerweile an unserer Wohnzimmerwand. Lilou hat es mir erklärt. Das Grün bin ich. Das Weiß ist sie. Und das Schwarz,  was die Farben  voneinander spaltet oder miteinander verbindet - je nachdem wie man es sieht - sind unerklärliche Gefühle aus unserer Vergangenheit. Ich liebe das Bild.
Es ist frühmorgens und Lilou ist gerade im Bad. Ich tapse das Treppenhaus hinunter zu den Briefkästen, meine Art von Morgensport. Ich hole einen Stapel Post aus unserem Briefkasten und fühle einen leisen Anflug von schlechtem Gewissen, wie in letzter Zeit immer, wenn ich Briefe sehe. Ich habe nach Carinas Adresse gesucht, doch vergeblich. Es ist, als ob es sie nicht gäbe. Ich schulde ihr das Geld immer noch, dabei wartet es fein säuberlich verpackt in einem hellblauen Briefumschlag.
Auf dem Weg nach oben in die Wohnung schaue ich unsere Post durch. Eine Rechnung und noch eine - wieso gibt es immer Rechnungen die man begleichen muss?
Der dritte Brief ist anders. Ich muss nur auf die Buchstaben schauen, die meinen Namen bilden, ich erkenne sofort wessen Hand übers Papier geglitten ist. Mir wird schwindelig und ich muss mich am Geländer festhalten, um nicht zu stürzen.
Langsam lasse ich mich auf die Treppenstufen sinken und reiße den Brief mit zittrigen Händen auf.

Liebste Ava,
ich hoffe du wirst diesen Brief zu ende lesen, ich hoffe ich tue dir damit nicht weh, aber vor allem hoffe ich, dass du verstehst. Bitte. Wenn nicht heute, dann vielleicht in ein paar Monaten oder nächstes Jahr. Ich flehe dich an, von ganzem Herzen.
Wir lieben uns - nicht wahr? Wenn nicht, dann... ja dann schreibe ich diesen Brief vollkommen grundlos. Du merkst, das hier hat bemitleidenswert wenig Struktur, entschuldige.
Zurück zu was ich eigentlich sagen wollte.
Ich liebe dich mehr, als ich je einen Menschen geliebt habe und je lieben werde. Das ist ein Versprechen, dass ich mit unendlicher Sicherheit geben kann. Es tut mir Leid, dass ich dich abgewiesen habe. Mir ist noch nie etwas dermaßen schwer gefallen. Aber ich musste es tun und das weißt du, wir wissen es beide. Lilou - ich kenne sie nicht, doch bin ich überzeugt davon, dass sie deine Liebe mehr verdient als ich und auch du weißt das. Tief in dir.
Ich habe deine Liebe vor 4 Jahren verdient. Wenn man zu lange zögert, wünscht man sich nur noch, dass es klappt, doch das tut es nicht. Die Liebe mag unendlich sein, aber der Zeitpunkt an dem man sie einander offenbart; dieser ist endlich.
Ich bin nicht nur sicher, dass Lilou dich verdient, ich bin auch sicher, dass du sie verdienst. Jemanden der immer für dich da ist. Ich war es nicht und auch das weißt du.
Verstehst du was ich meine?
Ava ich liebe dich, bitte vergiss das niemals. Es wird sich nicht ändern.
Aber ich gehöre der Vergangenheit an. Unsere Beziehung gehört der Vergangenheit an. Unsere Liebe jedoch bleibt für immer.
Es ist besser so.
Werde einfach glücklich, heirate die Frau deiner Träume. Ich weiß nicht, was dich hat an ihr zweifeln lassen, sodass du mich aufgesucht hast. Ich bin mir sicher, dass du nun weißt, dass du in der Projektion die du von mir hattest nicht gefunden hast, was du glaubtest zu missen.
Lass mich los, lass mich frei aus deinem Herzen. Du kannst die Gitterstäbe brechen, die mich in dir halten, ich werde nicht gehen, vertrau mir.
Denn ich bin die Vergangenheit und diese bleibt. Wir sind in Ewigkeit verbunden.
Verstehst du was ich dir sagen will?
Verstehst du, Liebste?

Carina

Tränen fallen in Zeitlupe auf den Brief und verwischen einige Worte.

Ja ich tue es. Ich verstehe, Carina.

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