8 - Noten -

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„Hat es zwischen dir und Carina etwas verändert?", fragt Lilou. „Also die Kursfahrt?"
Ich wiege meinen Kopf hin und her.
„Ich glaube nicht, nein"
Ich runzle die Stirn. „Obwohl, kommt darauf an, wie du es meinst"

Nach der Kursfahrt war das Halbjahr so gut wie zu Ende. Die ersten Tage nach der Skifahrt verhielt ich mich Carina gegenüber sehr zurückgezogen und Carina mir gegenüber auch. Sie füllte das Klassenbuch vor dem Ende der Stunde aus und legte es wortlos auf meinen Tisch. Im Unterricht sah ich sie ein etwas weniger auffällig an als sonst. Ich schämte mich, ohne wirklich zu wissen wofür und ihr schien es genauso zu gehen.

Es ging eine Woche so, bis Carina am Montagmorgen plötzlich mit dem Eintragen ins Klassenbuch wartete. Sie empfing mich mit einem Lächeln und wir sprachen wieder miteinander. Es hatte sich etwas verändert. Wir waren uns noch näher als vorher. Es war gefährlich nahe. So als würde man sich einem Feuer immer wieder so sehr nähern, bis es an einem leckte und man trotzdem noch einen Moment ausharren würde. Es passierte häufiger, dass entweder Carina oder ich die unsichtbare Grenze überschritten, doch wir taten es nie gemeinsam und das ist der entscheidende Punkt.

Da die Zeugnisse nahten stand auch die Notenbesprechung an. Carina war eine von diesen Lehrerinnen, die die Noten ausführlich vor dem Klassenzimmer mit einem besprachen. Eigentlich eine Sache, die ich mit anderen Lehrkräften als total unangenehm empfand. Aber natürlich nicht mit Carina.

Sie gab uns eine Aufgabe in unserer Lektüre und schleppte anschließend zwei Stühle vor die Tür. Die Zeit, bis ich dran war, verstrich langsam. Die Aufgabe hatte ich schnell erledigt.

Jenny oder wie sie hieß kam rein und teilte mir mit, dass ich dran sei. An diesen Moment gewöhnte ich mich nie. An diese Vorfreude, bei jeder Notenbesprechung mit ihr.

Ich ging raus vor die Tür. Carina kramte gerade in ihrer Mappe und ich setzte mich ihr gegenüber auf den Stuhl, kein Tisch zwischen uns. Keine Barriere, die uns voneinander trennte. Wir saßen wirklich nah zusammen, ich hätte nur meine Hand ein paar Zentimeter ausstrecken müssen, schon hätte ich ihr Bein berührt. Sie schaute auf, aber nicht so normal, jedenfalls war es für mich nicht normal, dieser Blick von unten durch die Wimpern. Ich fand ihn unglaublich verführerisch.

Sie sagte: "Ava..." Kurze Pause. Ich schaute sie an, überwältigt davon, wie viel schöner sie nochmal von Nahem war.

"Du hast 15 Punkte geschrieben und jetzt noch mal 14" Carina reichte mir meine Arbeit, die sie noch nicht zurückgegeben hatte und ich überflog sie. Sie war mit dem Kommentar "noch 14" versehen.

"Noch 14?". Ich klang schnippisch, ohne es zu beabsichtigen.

Carina lachte und antwortete ebenso schnippisch. "Ich wollte dir einfach keine 13 geben".

Daraufhin lächelte ich nur und sie fragte, wie ich mich mündlich einschätzen würde. Ich zuckte mit den Schultern. Diese Frage hasste ich einfach.

Carina lächelte milde und beantwortete die Frage selbst: "Ich sehe dich mündlich zwischen 12 und 13 Punkten, aber ich habe mich dazu durchgerungen dir die 13 Punkte mündlich und somit die 14 Punkte im Zeugnis zu geben." Sie lächelte breit und fuhr fort. "Du bist ja auch immer sehr engagiert und vorbildlich...auch dein Arbeits- und Sozialverhalten...jetzt hast du letzte Woche auch noch freiweillig die Recherche zu unserer Lektüre gemacht"

Sie stockte und lächelte ein kleines Lächeln, eines von diesen von dem mir immer ganz wohlig in der Magengegend wurde.

Ich hauchte: "Dan..Danke"

Carina streckte ihre Hand nach meiner Arbeit aus, da sie sie wieder einsammeln musste. Unsere Hände berührten sich bei der Übergabe für den Bruchteil einer Sekunde. Und das nicht durch mich, ich hatte mich nie getraut, sie "ausversehen" zu berühren. Carina berührte mich und mein Puls schoss schlagartig in die Höhe. Sie sah mir nicht ins Gesicht, aber sie biss sich auf die Lippe und räusperte sich, während ich nur wie vor den Kopf geschlagen da saß.

Dann blieb ich noch einen Moment länger als gerechtfertigt sitzen, bis ich mich zurück in Klassenzimmer begab, welches sich meilenweit entfernt anfühlte.
Dort sank ich aufgekratzt auf meinen Stuhl. Positiv aufgekratzt. Schmetterlinge im Bauch trifft es ziemlich gut.

Am nächsten Tag war schon die Zeugnisvergabe, vielleicht auch am übernächsten, ich weiß nicht mehr genau. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund wurde veranlasst, dass die Fremdsprachenlehrer die Zeugnisse verteilen sollten.
Wir bekamen unsere Zeugnisse also in der Französischstunde. Es war eine sehr lockere Atmosphäre, alle haben geredet und gelacht und niemand hat auf Carina geachtet, so als wäre Unterricht.
Sie verteilte währenddessen die Zeugnisse.
Da sie einfach freundlich war, lächelte sie bei jedem und kommentierte das Zeugnis nett.
Irgendwann war natürlich mein Zeugnis an der Reihe.
Carina kam zu mir rüber und sagte: „Ein sehr schönes Zeugnis"
Das hatte sie schon zu so vielen gesagt und da ich in einigen Fächern nicht die erwarteten Noten erreicht hatte, nickte ich nur.
Sie stand immer noch vor meinem Tisch also schaute ich auf.
Sie lächelte mich so breit an, wie noch nie. Ich habe sie davor noch nie so breit lächeln sehen, in niemandes Richtung. Dieses Lächeln, oh Gott.
Ich hatte immer davon geträumt, dass sie mich so anlächelte und sie hatte es endlich getan.
Ich erinnere mich daran, wie Julian neben mir leicht verwirrt die Stirn runzelte, Carinas stolzes Lächeln gefror und sie sich daraufhin abwandte.
Julian fragte mich anschließend was das denn gewesen war, ich antwortete nicht.
Ich fühlte mich von Carina geküsst, falls das irgendwie Sinn macht.

Lilou schluckt.
„So...so habe ich mich auch gefühlt", beginnt sie. „Als du mich zum ersten mal so angelächelt hast"
Ich beuge mich zu ihr rüber und küsse sie sanft auf die Lippen.
„Das Schöne ist, ich kann dich sogar wirklich küssen".

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