Je näher ich Carina komme, desto mehr Zweifel mischen sich unter mein Vorhaben. Ich meine, woher weiß ich, dass sie überhaupt noch an meiner alten Schule unterrichtet? Woher weiß ich, dass sie nicht weggezogen ist?
Ich ignoriere diese Gedankenstränge und verfolge sie nicht weiter, was würde es nützen?Der Zug fährt in den Bahnhof in Köln ein, und ich steige als eine der ersten aus.
Ich habe Glück, einen Zug nach Köln genommen zu haben. Wenn ich jetzt eine S-Bahn erwische, kann ich in einer halben Stunde an meiner alten Schule sein. Es ist kurz nach 13:00 Uhr, heute ist Freitag. Ich kann nicht noch das Wochende über warten.
Von der Sehnsucht gepeinigt laufe ich durch den Bahnhof und quetsche mich in die überfüllte S-Bahn.
Ich nehme nichts um mich herum war, die Gespräche der Menschen um mich herum sind nur ein einziges Rauschen.
Für einen Moment windet Lilou sich in meine Gedanken, jedoch wird sie von einem stetigen Carina, Carina, Carina übertönt.
Überraschenderweise vergeht die Fahrt mit der S-Bahn in Sekundenschnelle, kaum bin ich eingestiegen, steige ich auch schon aus.
Meine Heimatstadt, eine Kleinstadt.
Ich nehme mir die Zeit, meinen Blick über das Bahnhofsgebäude und die umliegenden Häuser schweifen zu lassen.
Viel hat sich nicht verändert, seit dem letzten Besuch bei meinen Eltern vor drei Monaten. Die Fahrradständer wurden erneuert.Ich verlasse den Bahnhof zügig. Nur fünf Minuten Fußmarsch, hämmert es in meinem Kopf. Diese fünf Minuten kommen mir auf einmal wie die wichtigsten fünf Minuten meines Lebens vor.
Ich höre mein eigenes Herz pochen.
Was ist wenn sie nicht da ist?
Weil sie vielleicht schon Unterrichtsschluss hat oder tatsächlich gar nicht mehr hier unterrichtet?
Die Zweifel kehren auf den letzten Metern zurück.
Mittlerweile ist es kurz vor zwei und viele jüngere Schüler kommen mir entgegen, zu Fuß oder auf Fahrrädern.
Nur noch einmal rechts abbiegen - das Schulgebäude ragt vor mir aus dem Boden.
Hier bin ich nicht mehr gewesen, seitdem ich mit meinen Abiturzeugnis rausmarschiert bin.
Ich habe diesen Ort bei jedem Besuch in Deutschland gemieden.
Auch bei der einjährigen Abiturjubiläumsfeier vor einigen Jahren bin ich nicht hier gewesen.
Alles nur wegen Carina.
Ich werde langsamer und betrachte das Schulgebäude.
Es sieht eins zu eins so aus, wie ich es in Erinnerung habe. Gestrichen in diesem dreckigen Blau, weder altmodisch noch modern, einfach ein überdimensionaler Legostein.
Ich nähere mich der Schule von der Rückseite und schleiche über den Schulhof.
Ich komme mir seltsam illegal vor und frage mich kurz, was Schüler wohl von mir denken mögen, mit meinem Kramellbonbon-T-shirt und der riesigen Sporttasche und werde mir peinlich bewusst dessen, dass dies die Aufmachung ist, in der ich vorhabe Carina unter die Augen zu treten.
Ich erwäge kurz, ins Schulgebäude zu gehen und mich dort auf der Toilette umzuziehen, aber verwerfe das.Ich habe die Schule umrundet und habe nun freie Sicht auf den Lehrerparkplatz. Mein Blick wandert kurz zu den Fenstern von Raum 103, sie sind geöffnet, bevor er automatisch von der linken Ecke des Parkplatzes, unter den Kastanien, angezogen wird.
Dort steht ein schwarzer Golf.
Ich kneife meine Augen angestrengt zusammen und versuche das Nummernschild auszumachen.
CA 2584.
Es ist das Auto. Es ist Carinas Auto.
Ich bin kurz davor in einen freudigen Tanz auszubrechen, als sich ein vernichtender Gedanke einschleicht.
Ich habe mich vollends darauf konzentriert, hierher zu kommen, weil ich Carina sehen will, dass ich keinen Gedanken daran verschwendet habe, wie genau ich das anstellen will.
Ich kann nicht einfach zu ihr hinmarschieren, ihr erzählen, dass ich sie vermisse und dann - ja was dann?
Was will ich gerade überhaupt von ihr?
Plötzlich erschöpft lasse ich mich gegen die Wand des Schulgebäudes sinken.
Einige Schüler gehen an mir vorbei, Lehrer gehen zu ihren Autos, manche von ihnen erkenne ich wieder, doch keiner schenkt mir große Beachtung. Ich könnte ja die große Schwester von irgendwem sein, eine neue Referendarin...
Mein Blick ruht unablässig auf Carinas Auto, ich kann ihn einfach nicht abwenden, es zieht mich magisch an.
So sehr, dass ich mich aufrapple und hinüber torkle.Ich umrunde das Auto einmal.
Zweimal. Fahre die Buchstaben und Zahlen auf dem Nummernschild nach.
Als würde ich es nach Kratzern inspizieren.
Ich lasse meinen Blick über den Parkplatz schweifen, niemand ist dort.
Dann werfe ich einen Blick in das Auto.
Obwohl es nur der Innenraum eines Autos ist, scheint er lauthals Carina zu schreien. Es spiegelt sie perfekt wieder.
Auf dem Beifahrersitz liegt ein Französischbuch für die Oberstufe, ein anderes als das, mit dem ich gearbeitet habe. Daneben liegt eine angebrochene Tafel Haselnussschokolade.
In der Mittelkonsole sind haufenweise Haarspangen und Haargummis, außerdem mehrere leere BonBon - Papiere.
Ein genauerer Blick zeigt mir, dass sie von den BonBons von meinem T-shirt stammen.
Auf dem Fahrersitz liegt ein Notizbuch, mit einem dahintergeklemmten Stift. Schreibt sie vielleicht Tagebuch?
Ich versinke vollkommen in meinen Beobachtungen.Bis ich meinen Namen höre.
DU LIEST GERADE
You were my first love [lehrerinxschülerin]
Roman pour AdolescentsAva ist 22, lebt in Paris, ist glücklich verlobt - ihr Leben könnte gerade nicht besser sein. Wären da nicht die Erinnerungen, die sie heimsuchen, Gedanken, die sie unterdrückt. Gedanken an ihre erste große Liebe, die sie auch nach Jahren noch nich...