5 - Grammatikarbeit -

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Lilou lässt sich von meinen Erzählungen ganz schön in den Bann ziehen, ich merke wie gedankenverloren sie auf ihrer Lippe rumkaut und versucht mich zu verstehen. Das ist Lilou, sie will die Dinge über dich nicht nur einfach wissen - sie will sie wirklich verstehen. Ihr Weinglas ist leer, aber ich schenke ihr nach und erzähle weiter. Immer weiter.

Ja, die Einbildung spielte eine große Rolle. Aber leider bildete ihr mir nicht nur positive Dinge ein. Wenn sie mal traurig dreinschaute...unwillkürlich die Frage, ob ich sie verärgert hatte. Wenn sie mich in einer Stunde mal nicht beachtete oder mir nicht zulächelte...wenn wir mal nach der Stunde nicht sprachen und sie mir das Klassenbuch nur hinschob...ich machte mir Vorwürfe, große Vorwürfe und fühlte mich elend. Meistens war sie am nächsten Tag wieder die Carina wie gewöhnlich. Die, die mich warm anlächelte während sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr schob, die, die mit mir lachte, als wären wir Freundinnen, deswegen konnte ich es einfach hinter mir lassen. Aber dieses eine Ereignis...ich habe danach abends viele Stunden in mein Kopfkissen geweint. Ich fühlte mich von ihr ertappt, ich glaubte sie würde sich davor ekeln, es so weit mit mir gekommen lassen zu haben.

Die Erinnerung treibt mir Tränen in die Augen, Tränen von denen ich dachte, ich hätte genug vergossen. Doch dieses Mal bin ich nicht allein. Lilou ist da und streicht mit ihren zarten Händen beruhigend über meine. Unabsichtlich denke ich daran, dass ich gar nicht weiß, wie Carinas Hände sich anfühlen.

Dieser eine Tag, war der Tag einer Grammatikarbeit. Carina bestand immer drauf, dass die Tische auseinandergeschoben werden mussten. Ich schob meinen Tisch unauffällig ein bisschen mehr in ihre Nähe und dabei bekam ich einen flüchtigen Blick von ihr ab, darin lag so viel Wut und Ekel mir gegenüber drin. Es war so vernichtend, ich schreckte regelrecht zurück und mir kamen beinahe die Tränen. Was war nur geschehen, was hatte ich getan. Dann, während ich die Arbeit ausfüllte, konnte ich es nicht mehr aufhalten und ein, zwei stille Tränen ronnen mir die Wange hinunter. Sie hat es gesehen und ich tat als sei des der Arbeit wegen. Diese schneidende Kälte in ihrem Blick davor hat mir einfach so im Herzen wehgetan. Als sie meine Tränen sah, hat sie plötzlich besorgt ausgesehen und das hat mir noch mehr wehgetan, diese Sorge auf ihrem Gesicht, ich fühlte mich schuldig. Es war aber nur flüchtig, sie drehte sich weg, doch behielt mich im Augenwinkel, wie so oft.

Zu Carinas Grammatikarbeit gehörte auch ein Diktatteil, was auf Französisch wirklich nicht einfach ist. Ich habe ein Wort einmal nicht genau verstanden und ratlos aufgeschaut. Sie schaute mir bereits in die Augen. Ich wollte es sagen. Dass ich es nicht genau gehört habe. Also habe ich meinen Mund aufgemacht und bewegt, aber es kam kein Ton raus. Ihr Blick hat mich einfach gelähmt. Ich habe mich damit abgefunden und saß einfach da und schaute sie an, vergessen, dass es eine Arbeit war. Ohne die Augen von mir abzuwenden, begann Carina den Satz langsam nochmal zu diktieren. Vor Scham habe ich sofort wieder aufs Blatt geschaut. Es war so demütigend.

Am Ende der Stunde ging sie herum, um unsere Arbeiten einzusammeln. Sie kam direkt auf mich zu und aus purer Verzweiflung habe ich sie einfacht angelächelt, die getrockneten Tränen noch auf meinen Wangen, was sie wundersamerweise erwidert hat. Es war wie in einem kitschigen Film. Sie hat mir, während sie ging, in die Augen gesehen und gelächelt, zum ersten mal in meine Richtung an diesem Tag, was zur Folge hatte, dass sie über einen Rucksack stolperte. Der Stapel an bereits eingesammelten Arbeiten ergoss sich genau auf und unter meinen Tisch. Wie im Film. Es war wie ein einstudierter Vorgang, zu schön fielen die Blätter. Errötend bückte ich mich, um ihr beim Aufsammeln zu helfen. Carina hat es gemieden mich anzusehen, doch ich bemerkte, dass sie auch rot war, was extrem selten bei ihr war, jedenfalls hatte ich es noch nicht gesehen. Ob vor Wut oder Scham wusste ich nicht. Während ich ihr half, war ich ihr so nah, dass ich sie riechen konnte. Es war so betörend, mir ist schwindelig geworden. Wie konnte ein Mensch nur so anziehend riechen.

Kurz drauf gab ich ihr meine Arbeit, in meinem Gesicht stand Verzweiflung, ich flehte sie stumm an mir zu vergeben. Sie nahm die Arbeit und sah mich einfach nur mit einer Mischung aus Wut und Sorge an, sie stand so lange neben meinem Tisch, bis ich zu ihr aufschaute, genau da wandte sie sich ab.

Später war ich vorne am Lehrertisch, um das Klassenbuch zu holen. Es war noch nicht ausgefüllt, daher bat ich sie leise einzutragen. Normalerweise lächelte sie mich dann an, normalerweise lobte sie mich dann für meine Aufmerksamkeit. Normalerweise hätte sie sorgfältig eingetragen, normalerweise hätte sie mich nach meiner Arbeit gefragt. Nein, sie kritzelte schnell etwas hinein und schob das Klassenbuch von sich weg, mich würdigte sie nicht eines Blickes, sie antwortete nicht auf mein Tschüss. Da war sie bereits beschäftigt, mit anderen zu lachen.

Alles was ich mich an diesem Tag fragte war, was ich ihr angetan hatte, dass sie mir nun dies antat. Hatte sie erkannt, welche Gefühle ich für sie hegte? Widerte ich sie an? Ich habe bis heute keine Erklärung für diesen Tag.

Ich merke wie mir weitere Tränen am Kinn hinuntertropfen und wische mir schnell durchs Gesicht. Ich habe Angst, dass ich Lilou verletze, Angst, dass ich sie glaubt ich würde sie nicht wahrhaftig lieben. Doch Lilou wischt mir die restlichen Tränen auch noch weg, küsst sie mir von den Wimpern. Und da weiß ich, dass wenn mich eine Person versteht, diese Person Lilou ist.

You were my first love [lehrerinxschülerin]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt