16 - Rastplatz -

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Ich kann meinem Blick nicht von Carina reißen, während sie konzentriert auf die Straße schaut. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich tatsächlich neben ihr in ihrem Auto sitze. Vor Stunden noch hätte ich es als absolutes Wunschdenken abgetan.
Ich weiß nicht, wohin wir fahren und es ist mir auch egal.
Ich könnte stundenlang so neben ihr sitzen. Egal wohin.
Sie hat sich kaum verändert. Nur der Rotstich aus ihren Haaren ist beinahe verschwunden und an ihrem rechten Mundwinkel hat sich ein Lachfältchen gebildet, dass aussieht wie ein Grübchen. Es lässt, wie alles an ihr, mein Herz höher schlagen.
Zum Glück riecht sie so, wie ich sie in Erinnerung habe, ihr ganzes Auto riecht nach ihr und ich fühle mich vollständig von ihrem Geruch eingehüllt. Wie eine permanente Umarmung.

Unsere Gespräche sind anfangs zögerlich, wir tasten uns aneinander heran. Aber Carina neckt und reizt mich, wie eh und je, schnell sind die Jahre der Abwesenheit voneinander vergessen.
Ständig denke ich daran, nichts Unangemessenes zu sagen, ich kann mich nicht daran gewöhnen, dass sie nicht mehr meine Lehrerin ist.
Carina scheint damit keine Probleme zu haben.
Sie ist direkter, als ich sie kenne, dominanter und sie lässt mir nicht nur einmal das Blut in die Wangen schießen, während sie sich vollkommen unter Kontrolle hat.

Ich blättere durch das Französischbuch für die Oberstufe, dass auf meinem Sitz gelegen hat. Ich habe Carina erzählt, dass ich in Frankreich lebe und sie hat erwidert, dass sie es wisse, mit einem stolzen Blitzen in ihren Augen.
Ich habe nicht gefragt woher und auch Lilou verschweige ich ihr.
Die Grammatik in dem Schulbuch durchzulesen, ruft die Erinnerung an diese eine bestimmte Grammatikarbeit hervor.
Etwas in mir windet sich.

„Carina?", frage ich behutsam.
„Darf ich dich etwas fragen?"
Sie ist gerade dabei, das Auto auf einem Raststättenparkplatz zu parken.
„Natürlich"
Sie lächelt und fügt hinzu: „Das hast du in den letzten beiden Stunden ja schon ein paar Mal"
Carina schaltet den Motor aus und wendet sich auch mit dem Oberkörper mir zu.
Ich hole tief Luft, um den nötigen Mut für meine Frage aufzubringen.
„Erinnerst du dich an diese Arbeit in der 11.? Die, bei der ich geweint habe?"
Ihr wunderschönes Lächeln bricht in sich zusammen und ein schmerzerfüllter Ausdruck tritt auf ihr Gesicht.
Ihre Stimme ist nur noch ein Flüstern, als sie sagt:
„Ava es - es tut mir so Leid...du willst wissen was los war"
Ich bringe ein Nicken zustande.
Carina streckt ihre Hände aus, um sie sanft auf meine zu legen, noch zu schüchtern, um sie zu halten.
Dann zieht sie sie wieder zurück, um ein paar lose Strähnen in die Hochsteckfrisur zu schieben.
Anschließend faltet sie ihre Hände im Schoß und senkt ihren Blick.
„Ava...ich muss dir etwas gestehen...ich muss dir etwas erzählen", beginnt sie, jedes Wort erwägend.
Ich schaue sie einfach nur an, sie mich nicht.
Ihr Blick gleitet über das Gebüsch auf dem Rastplatz, bis sie leise aufseufzt und das schwarze Notizbuch hervorzieht, welches ich vorhin auf ihrem Sitz gesehen habe.
„Das ist so ne Art Tagebuch von mir", erklärt Carina und ich komme nicht umhin, in mich hinein zu lächeln. Ich kenne sie so gut.
„Ich habe vor etwa sieben Jahren angefangen reinzuschreiben"
Sie blättert darin.
„Wie du siehst, ist es fast voll"
Ich deute nur ein Nicken an und runzle leicht meine Stirn. Ich weiß nicht, worauf sie hinauswill.
Dieser plötzliche Wechsel von der gesprächlichen, fröhlichen Carina zur ernsten Carina ist ungewohnt.
Entweder sie hatte gute oder schlechte Laune, sie wechselte eigentlich nicht dazwischen.
Aber Dinge ändern sich.
Carina umklammert immer noch das Buch.
„Ich will dir etwas daraus vorlesen", sagt sie, ihre Stimme zittert.
„Es kann sein, dass danach zwischen uns alles anders ist und dass du - dass du vielleicht nicht mehr weiter mitfahren willst"
Ihre Unterlippe fängt an zu beben und ich habe Angst, dass sie anfängt zu weinen.
„Carina", sage ich, weil ich nicht weiß was ich sonst sagen soll.
„Und wenn du dann nichts mehr mit mir zu tun haben willst, werde ich dich nicht aufhalten", endet sie.
Ich schüttle meinen Kopf. Endlich bringe ich den Mut auf, meine Hand auszustrecken und fest auf ihren Arm zu legen.
„Egal was du mir sagen willst...ich verspreche dir, dass ich nicht weglaufen werde", sage ich.
Das habe ich schon einmal getan und es war ein Fehler, ergänze ich in Gedanken.
Carina presst ihre Lippen fest aufeinander und schlägt ihr Tagebuch auf.
Ich kann fühlen wie sehr ihr Puls rast.
Meiner auch.
Dann fängt sie an:

„Das ist vom August 2012...genauer gesagt eine Woche nachdem ich deinen Kurs übernommen habe.."
Sie befeuchtet ihre Lippen. Das ist viel zu sexy für die Situation.
„Hey...ich habe die Woche über kaum geschrieben, obwohl ich einen unglaublichen Drang dazu hatte. Gleichzeitig konnte ich es auch nicht, aber was ich noch weniger kann, ist mich selbst anlügen. Also muss ich es endlich loswerden.
Ich schäme mich und ich will es nicht wahrhaben und ich hoffe so sehr, dass ich mich in meinen Gefühlen irre. So so sehr. Aber der Reihe nach, sonst verstehe ich mich selbst nicht mehr.
Ich habe letzte Woche angefangen, in meiner neuen Arbeit zu arbeiten und bin wirklich sehr glücklich. Das Kollegium ist nett (gut mit Ausnahme von - "
Carina wirft mir einen Blick zu und ich kann fast ihr schelmisches Grinsen darunter erkennen.
„Den Namen überspringe ich wohl besser"
Ich verdrehe die Augen.
„Glaub mir, ich gehe nicht petzen"
Sie deutet ein Lächeln an und liest weiter:
„ - Florian Kleidek, oh Gott, dass solche frauenfeindliche Arschlöcher Schüler unterrichten). Aber insgesamt bin ich wirklich sehr zufrieden, es ist um Welten besser als an meiner alten Arbeit.
Ich darf sogar ein Französisch-LK übernehmen und genau das ist das...naja nicht Problem keineswegs, aber irgendwie schon.
Der Kurs ist toll, alle sind so motiviert und arbeiten mit, das freut mich, ich hoffe das ist nicht nur eine Art von unterschwelligem Schleimen.
Aber genug davon, wovon ich eigentlich erzählen will, es brennt mir so sehr unter den Fingern - ich habe mich verliebt.
Aber ich habe mich in die falsche Person verguckt. In meine Schülerin.
Ava Tegelmann."

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