11 - Gare de l'Est -

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Während Lilou sich schlaftrunken auf dem Sofa aufsetzt koche ich schnell Kaffee.
Für sie mit viel Milch, für mich schwarz. Wenn ich mein Vorhaben durchsetzten will, muss ich wach sein und da hilft gerade nur Koffein.

„Guten Morgen", sagt Lilou und ergreift dankbar den Becher. „Ich frage gar nicht erst, ob du gut geschlafen hast, denn das hast du offensichtlich nicht"
Ich nicke zustimmend und nippe an meinem Kaffee. Sofort merke ich wie das Koffein in meine müden Glieder dringt und meinen Herzschlag beschleunigt. Innerlich verdrehe ich meine Augen. Ich weiß doch, dass ich auf Kaffee total panisch reagiere.

Lilou leert ihren Becher und seufzt:
„Okay wir müssen reden"
Ich beiße mir auf die Lippe und sie fährt unbeirrt fort.
„Dass du gestern nicht ganz bei der Sache warst, habe ich gemerkt und es tut mir Leid, es war eine blöde Idee, nachdem du emotional so aufgewühlt warst"
Ich mache Anstalten zu protestieren, doch sie hebt abwehrend ihre Hand.
„Lass mich ausreden, bitte"
Also schweige ich.
„Nachdem ich dieses Bild von...von ihr gesehen habe, da war ich..."
„Eifersüchtig?", schlage ich vor.
Sie seufzt erneut.
„Ja, eifersüchtig"
Für einen kurzen Moment sind wir still, jeder hängt seinen Gedanken nach.
„Ich hoffe, nein, ich weiß, wir bekommen das wieder hin", schließt Lilou und legt ihre Hand auf meine.
Ich schwenke meinen Kaffeebecher und schaue der schwarzen Brühe dabei zu, wie sie im Kreis schwappt.
Dann sage ich:
„Ich muss nach Deutschland"
Lilou schluckt hörbar und ein kühler Ausdruck tritt auf ihr Gesicht. Sie versteht sofort, dass ich nicht einen Besuch bei meinen Eltern meine.
„Wieso?"
Sie zieht ihre Hand zurück.
„Ich muss einfach"
Ich stehe auf und bringe die Becher in die Küche, Lilou folgt mir.
„Jetzt so auf einmal? Nur, weil du darüber geredet hast?"
Sie klingt beherrscht, aber ein kleines bisschen Wut schwingt in ihrer Stimme mit.
Scheppernd stelle ich das Geschirr in die Spüle und drehe mich zu ihr um. Sie lehnt schmollend an der Anrichte.
„Ja, jetzt so auf einmal", antworte ich ihr, eine Spur weniger beherrscht als sie.
Lilou kann das besser als ich. Sich nicht aufregen.
„Ich hätte es schon viel früher tun sollen", füge ich noch hinzu, bevor ich mich an ihr vorbei dränge und ins Schlafzimmer gehe.
Auch dahin folgt sie mir, irgendwie resigniert und nicht mehr sauer. Wie eine Mutter, die ihrem Kind erklären will, dass es eine dumme Idee ist, den Sandkuchen zu essen.
Ich ziehe meine Sporttasche unterm Bett hervor und werfe wahllos ein paar Klamotten rein, während Lilou das Ganze regungslos vom Türrahmen aus beobachtet.
Nur wenige Augenblicke später habe ich das Nötigste und will vorbei an Lilou, doch sie stellt sich mir in den Weg.
„Nur drei Fragen", flüstert sie und ich merke erst, was ich da eigentlich tue.
Ich weiche ein wenig zurück, habe plötzlich ein schlechtes Gewissen.
Sie sieht mir tief in die Augen, Tränen sammeln sich.
„Liebst du mich?", fragt sie.
„Ja", antworte ich ihr, fest, ohne zu zögern, denn es stimmt.
„Du kommst wieder?", fragt sie.
„Ich werde dich niemals allein lassen", verspreche ich ihr.
Sie nickt zögerlich und holt tief Luft, bevor sie die dritte Frage stellt.
„Liebst du Carina?"
Diese Frage trifft mich unvorbereitet.
Liebe ich Carina? Ich habe sie auf jeden Fall geliebt. Aber tue ich es immer noch? Oder hänge ich alten, nie erfüllten Gefühlen nach?
Doch der Drang in mir Carina zu sehen, ist so stark, wie seit Ewigkeiten nicht mehr, nur die Stärke meiner Gefühle, kann ich nicht einschätzen.
Lilou sieht mich mit traurigen Augen an, ich höre ihren flachen Atem.
„Ich - ich weiß es nicht", bringe ich schließlich hervor. „Es tut mir Leid"
Dann schiebe ich mich an mir vorbei.
„Denk an mein Versprechen", erinnere ich sie noch, bevor auch die Wohnungstür ins Schloss fällt.

Sobald ich das Haus verlassen habe, beginne ich zu rennen. Ich renne weg vor dem was ich Lilou antue, ich renne weg vor meinem schlechten Gewissen und zum aller ersten Mal renne ich weg vor Paris.
Es ist noch sehr früh, noch hat sich der Berufsverkehr nicht eingestellt. Kurz denke ich daran, dass ich bald auch auf dem Weg zur Uni sein sollte und, dass Lilou es in wenigen Stunden sein wird, aber die Gedanken habe ich schnell verbannt. Sie zählen jetzt nicht.
Ich laufe bis zur Metro, steige ein Richtung Gare de l'Est.
In der Metro bin ich völlig neben mir selbst, ich fühle mich, als würde ich jemand anderem dabei zusehen, wie er sich sinnlose Hoffnungen macht.
Aber mache ich mir überhaupt Hoffnungen? Worauf überhaupt?
Ich fühle mich wieder wie ein Teenager, übermannt von seinen Gefühlen, nicht imstande, sich Fragen über einen selbst zu beantworten.

Am Gare de l'Est suche ich die Tafel mit den Abfahrtzeiten nach einem Zug nach Deutschland ab - egal welchem. Hauptsache Deutschland und wenn ich dort stundenlang mit der S-Bahn fahren muss, egal.
Hauptsache ich bleibe nicht stehen, sondern gauckle mir selbst vor, mich in Richtung Carina zu bewegen.
Der nächste Zug nach Deutschland fährt um 9:35, in etwas mehr als einer Stunde, nach Köln, und ich gehe los und kaufe mir bei einer mürrischen Angestellten eine Fahrkarte.
Ich habe Glück, eine zu bekommen, der Zug ist nicht voll, das Schicksal auf meiner Seite.
Ich will mich in eines der Cafés setzen, doch als ich die schicken Leute sehe, die herausgeputzt, mit abgespreizten Fingern ihren Kaffee schlürfen und ich mir meiner eigenen Aufmachung bewusst werde, gehe ich vorbei.
Ich trage eine graue Jeans und das gestrige T-shirt, das für Karamellbonbons wirbt, ich weiß gar nicht, warum ich es besitze.
Beim Bäcker kaufe ich mir ein belegtes Brötchen und noch einen Kaffee to go und fühle mich schlecht, da ich so die Umwelt verschmutze, aber eigentlich genug Zeit hätte, um ihn aus einer Tasse zu trinken.
Ich ignoriere all die negativen Gefühle von heute morgen und begebe mich aufs Gleis.
Es zieht fürchterlich und die Züge ächzen vor sich hin, die Geräusche beruhigen mich.
Eine Vorfreude mischt sich unter mein Gefühlschaos, eine Vorfreude, die ich kaum berechtigt finde, als würde ich in den Urlaub fahren.
Genauso hat es sich angefühlt, als ich vor vier Jahren vor Carina geflohen bin, damals in die andere Richtung.
Ich fühle mich wirklich wieder wie damals, ein verliebter Teenager.
Mit einem Versprechen an mich selbst, dass dies der letzte Kaffee to go war, werfe ich den Becher in den Müll; der Zug fährt ein.
3 Stunden und 20 Minuten Fahrt bis nach Köln stehen mir bevor.

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