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Die Taschenlampe meines Handys half nur bedingt. Ich dursuchte die Stelle, die in den Nachrichten gezeigt worden war. Über eine Stunde durchsuchte ich den Rasen und die Sträucher, bis sich etwas im Licht spiegelte.

Am Rand eines Baumes lag etwas Glitzerndes. Vorsichtig hob ich es auf. Es war eine dünne Silberkette, an deren Ende ein Anhänger in Halbmondform hing. Auf der Rückseite war der Name Celeste eingraviert.

Die entführte Frau hieß Anne, also konnte sie nicht ihr gehören. Ich ließ die Kette in meine Tasche fallen. Vielleicht würde sie mir später noch weiterhelfen.

„Was tust du hier!?", rief eine inzwischen bekannte Stimme und ich fuhr zusammen.

Zitternd sah ich zu dem Baum hoch. Auf seinen breiten Ästen stand mein Retter. Seine silbernen Augen leuchteten wie zuvor und fixierten mich jägerhaft.

Eigentlich war ich weder schlagfertig noch unfreundlich, aber jetzt Schwäche zu zeigen, war einfach keine Option.

„Was geht das dich an!?", blaffte ich zurück.

Geschmeidig wie eine Katze sprang er vom Ast und landete nur wenige Zentimeter von mir entfernt.

„Wenn ich gewusst hätte, wie bissig du bist, hätte ich dir nicht das Leben gerettet.", murmelte er und ging ein paar Schritte an mir vorbei, um mich bei der Schulter anzurempeln.

Vollidiot

„Dafür hast du dir aber ganz schön viel Mühe gegeben. Du hast dich mit sieben Typen geprügelt. Wegen einer Studentin, die du nicht kennst? Eher nicht. Also, was hast du mit denen zu tun? Weißt du, warum sie das Museum bestohlen haben?"

Er drehte sich zu mir um. Wenn Blicke töten könnten...

„Ich denke, du verwechselt hier was. Beantworte meine Frage und geh dann wieder nach Hause!"

Ich hatte eigentlich immer schon klein beigegeben. Aber irgendetwas an diesem Kerl, vielleicht die Weise, wie überlegen er mich anblickte, weckte meinen Kampfgeist.

„Warum denkst du, ich bin dir Rechenschaft schuldig?"

Er öffnete den Mund leicht, sodass ich seine blanken und äußerst spitzen Zähne sehen konnte. Natürlich war er auch ein Vampir.

„Denkst du, ich hab Angst vor dir? Dass ich mich erpressen lasse? Wenn du mich tot sehen wolltest, hättest du mich längst umgebracht. Und du weißt, dass ich keine Informationen zu irgendwas habe. Ich war ein Opfer der Umstände, sonst nichts."

Er grinste kurz, eher seine Mundwinkel sich wieder nach unten zogen.

„Ein Opfer der Umstände, dass sich um zwei Uhr morgens draußen rumtreibt? Obwohl jeder die Vampire fürchtet?"

Ich sog scharf die Luft ein.

„Also seid ihr wirklich alle Vampire. Warum habt ihr das Paar hier entführt? Hast du auch auf dem Dach gestern gekämpft?"

Er legte mir eine Hand auf den Mund und zog mich hinter den Baum. Ich wehrte mich, trat und schlug um mich, bis ich erkannte, warum er das getan hatte.

Sekunden darauf tauchten zwei Gestalten aus den Schatten auf und suchten den Weg ab.

„Der Geruch ihres Blutes ist noch stark.", knurrte eine weibliche Stimme.

„Sie muss hier noch irgendwo sein.", antwortete eine männliche und die beiden verteilten sich.

Mein Helfer schob mich zum Ausgang des Parks. Offensichtlich kämpfte er nicht, wenn es nicht notwendig war. Warum hatte er dann die anderen getötet?

Er hätte sie doch zumindest k.o. schlagen können, so gut wie kämpfte. In einer Seitengasse blieb er stehen und seufzte.

„Ich mach dir ein Angebot. Du hilfst mir, ich helfe dir. Du glaubst es nicht, aber du kannst mir noch nützlich sein. Und ich sorge dafür, dass du nicht wie das Paar endest."

Erschrocken schlug ich mir die Hand vor den Mund. „Also sind sie ... Warum hast du sie nicht gerettet!?"

Wut stand in seinen glühenden Augen und er drängte mich gegen die Hausfassade.

„Glaubst du etwa, ich kann jeden naiven Menschen vor diesen Bestien beschützen!?", rief er aufgebracht.

Bist du nicht auch so eine Bestie?, wollte ich fragen, aber dann fiel mir etwas an.

Ja, er war ein Vampir.

Ja, er hatte getötet, vermutlich nicht zum ersten Mal.

Doch er hatte mich und vermutlich einige andere im Museum gerettet. Und gerade eben hatte er mir wieder geholfen, denn ich hätte die beiden nicht kommen gehört.

„Es tut mir leid.", erwiderte ich ehrlich und sein Griff lockerte ich. „Wie heißt du?"

Er ließ ganz von mir ab und sah gedankenverloren auf die Straße. „Luke."

Ich lächelte und trat einen Schritt auf ihn zu. „Ich bin Carol. Aber wenn wir zusammenarbeiten, musst du mir eine Sache erklären. Inwiefern bin ich für dich hilfreich?"

Er fuhr sich durch die Haare und lehnte sich sichtlich erschöpft gegen die andere Mauer.

„Du hast einen Kampf beobachtet und fast einen toten Vampir gesehen. Dann vereitelst du beinahe einen Raub von Edelsteinen, den ich mir selbst noch erklären muss und tauchst an dem Ort auf, an dem der Vampir gestorben ist und suchst nach Hinweisen. Du kommst immer mehr mit unserer Welt in Verbindung und das gefällt den anderen gar nicht. Aber du bist neugierig und hast keine Angst, obwohl du ein Mensch bist. Du bist die Art von Informantin, die ich brauche."

Ich dachte nach. Ich wollte dieses Geheimnis lösen. Und Luke konnte mich beschützen. Wir konnten uns gegenseitig helfen.

„Na gut. Wie kann ich dich erreichen? Über Briefe oder ein verzaubertes Amulett?"

Er lächelte und zog ein iPhone aus seiner Manteltasche.

„Ich bin ein Vampir, kein Sagengestalt."

Ich lächelte zurück.

„Okay, aber du bist doch sicher alt, oder?"

Er sah nicht älter aus als Mitte Zwanzig, aber bei Vampiren musste das nichts heißen.

Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. So sah er eigentlich ganz normal aus. Sogar ganz süß, um ehrlich zu sein.

„Ich wurde als Vampir geboren. Ich bin zweiundzwanzig, Carol."

„Oh. Ich hätte da noch ein paar andere Fragen.", gähnte ich mehr, als ich es sagte.

„Du bist müde. Ich speichere dir noch die Nummer ein und begleite dich nach Hause."

Das tat er auch und auf dem gesamten Weg sah er sich immer wieder um oder zog mich in irgendwelche Gassen, wenn anderen Vampire über die Dächer sprangen.

Schließlich kamen wir bei meinem Wohnhaus an.

Wie verabschiedete man sich in so einer Situation?

Er hatte mir heute zweimal das Leben gerettet, ich hatte ihn beleidigt, er hatte mich provoziert, wir hatten uns gegenseitig die Meinung gegeigt und nun waren wir so was wie Partner.

Ich streckte einfach die Hand.

„Danke, Luke. Für alles."

Er starrte meine Hand eine Zeitlang nur an, eher sie ergriff.

„Gern geschehen, Carol."

Dann drehte er sich und sprang über Balkone auf das Dach gegenüber, um in der Dunkelheit zu verschwinden. Ich sah ihm noch kurz hinterher, bevor ich rein ging, mich in mein Bett schlich und dort, diesmal ohne Albträume, einschlief.

BlutrubinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt