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Ich schlief bis Mittag durch. Professor Preston hatte wegen des Vorfalls im Museum die Vorlesungen für die restliche Woche abgesagt.

Tom kam von der Schule zurück und Granny hatte gekocht. Die beiden sahen mich besorgt an, als ich im Pyjama mit ihnen am Tisch saß und lustlos in meinen Spaghetti rumstochterte.

Ich war nicht der Typ, der einfach so hungerte, aber die rote Tomatensauce erinnerte mich viel zu sehr an Blut.

Das konnte ich weder Tom noch Granny sagen, denn sie würden sich ja doch nur mehr Sorgen machen.

Also stellte ich mich unter die Dusche und zog mich an.

Gegen Nachmittag klingelten meine Freunde an der Tür.

"Ihr müsst nach gestern heute sicher nicht beim Umzug helfen.", seufzte ich, aber gerade Sonja winkte ab.

"Das bringt uns alle auf andere Gedanken." Da hatte sie recht.

Trotzdem redeten wir während dem Einpacken kaum ein Wort miteinander. Ich hatte nicht viele Sachen. Mein Bett, mein Schrank mit meiner Kleidung, und meinen Schreibtisch.

Den Rest hatte ich mir schon gekauft und musste ihn nur noch aus dem Lager abholen.

Durch das schnelle Arbeiten ohne Ablenkung waren wir abends fertig und bestellten Pizza. Ich spendierte wie versprochen ein paar Flaschen Bier.

Bo bemühte sich wie ich um eine halbwegs gute Stimmung, aber Sonja zitterte immer noch jedes Mal, wenn sie ein lautes Geräusch hörte und Wayne war nicht glücklich, wenn sie es nicht auch war.

Nachdem Wayne den Fernseher angeschlossen hatte, schaltete ich eine Quizshow ein. Das war immer so ein Ding von uns gewesen.

Glücklich sah ich dabei zu, wie sich alle auf den weißen Teppich vor den Fernseher setzten und mitrateten.

Meine Freunde so wie früher zu sehen, wenn auch nur für einen kurzen Moment, tat gut.

Ich wollte mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank holen, als mein Handy vibrierte. Eine SMS von einer unbekannten Nummer.

Komm aufs Dach

Was hätte ich darauf verwettet, dass die Nachricht von Luke war. Ohne jede Erklärung mich einfach herumzumkommandieren. Und woher hatte er überhaupt meine neue Adresse?

Leicht gereizt schnappte ich meinen Mantel und erzählte meinen Freunden, dass ich kurz frische Luft holen wollte.

Auf dem Geländer des Daches hockte Luke, sein langer Mantel wehte im Wind und verlieh dem Ganzen etwas Mystisches.

"Hey.", sagte ich.

Er drehte sich um. "Hey."

"Woher weißt du, wo ich jetzt wohne?"

"Ich hab euch gesehen, als ich meine Tour gemacht hab. Und jetzt verzieh nicht so divahaft dein Gesicht, ich hab einen Auftrag für dich."

Divahaft? Auf seiner hellen Haut war eine Ohrfeige sicher schön zu sehen.

"Und zwar?", fragte ich gereizt.

"Du musst rauskriegen, welche Art von Edelsteinen die Diebe gestohlen haben. Im Fernsehen sagen sie es nicht und auch auf keiner Newswebsite oder der Zeitung."

"Warum? Ist das denn wichtig?"

"Sehr sogar."

Er wollte sich einfach abwenden und wieder verschwinden.

"Hey! Warte mal!"

Nur langsam drehte er sich wieder um.

"Ich mache das, aber dafür beantwortest du mir mal ein paar Fragen!"

Der Befehlston schien ihm gar nicht zu gefallen, denn er verzog das Gesicht, als hätte ich ihn gezwungen, Toiletten zu putzen.

Gut so.

"Ich will alles über euch Vampire wissen und warum ihr nicht ... na ja ...
zeigt, dass ihr Vampire seid. Die Stadt fürchtet euch doch sowieso."

"Was denkst du, warum dieses Paar und noch ein paar andere in den letzten Jahrhunderten verschwunden sind? Sie wollen ihr Geheimnis wahren. Die Menschen wissen schon viel zu viel über Vampire. Zum Glück tun es die meisten als Mythen ab."

"Heißt das, jede Geschichte über euch ist wahr?"

Er lächelte schwach. Hm, er war wirklich schön, wenn er lächelte...

"Nein, wir können uns nicht in Fledermäuse verwandeln und werden auch nicht älter als ihr."

Ich musste grinsen.

"Haha. Aber ihr trinkt Blut. Und ihr könnt schneller rennen und höher springen. Verwandelt ihr euch draußen bei Sonne wirklich zu Asche?"

"Nein, wir sind bloß empfindlicher als normale Menschen. Wir verbrennen uns bloß in der Sonne. Wie bei einer Herdplatte. Darum sind wir auch so blass und brauchen das Blut. Das wir schneller sind und höher springen, ist eigentlich normal. Der gewöhnlich menschliche Körper ist lediglich abgeschwächt."

"Heißt das, wenn die Menschen auch Blut trinken würden..."

Bei dem Gedanken wurde mir schlecht, aber Luke schien sich bestens zu amüsieren.

"Nein, das ist eine jahrtausend alte Erbsache. Du würdest dich bloß übergeben, sonst nichts." 

Beleidigt zog ich eine Schnutte. "Okay, eine wichtige Frage hätte ich noch."

"Welche?"

"Könnt ihr wirklich mit einem Biss jemanden in einen Vampir verwandeln?"

Augenblicklich wurde sein Gesichtsausdruck ernst. Gedankenverloren starrte er auf die Lichter der Stadt. Bevor er mir antwortete, atmete er tief durch, als würden ihn schlimme Erinnerungen an dieses Thema quälen.

Aber sagte doch, dass er so geboren wurde...

"Nein, Carol. Das ist nicht möglich."

Dann sprang ohne ein weiteres Wort aufs nächste Dach und rannte mit enormer Geschwindigkeit davon.

Vielleicht hätte ich dieses Thema nicht ansprechen sollen. Irgendetwas quälte ihn. Er hatte mir geholfen und ich würde versuchen, ihm zu helfen. Sowohl als Informantin als auch als Freund. Denn Freunde schien er mir nicht zu haben. 

Andererseits machte er auch nicht den Eindruck, als würde er sich um den Kontakt mit andern sehr bemühen. Woher wollte ich auch wissen, wie das bei Vampiren war?

Ich ging zu meinen Freunden zurück, die inzwischen angefangen hatte, über die richtigen Antworten zu wetten. Lächelnd setzte ich mich zu ihnen.

"Alles okay?", fragte Sonja. 

"Ja, alles gut. Haust du die Jungs wieder bei der Kategorie Promis in die Pfanne?"

"Hey!", beschwerte Bo sich. "Kann ja nicht jeder so ein Groupie wie Sonja sein!"

Sie gab ihm einen freundschaftlichen Schlag gegen die Schulter. 

"Und es kann nicht jeder so ein Hinterwälder sein wie du! Da pass auf!" 

Die richtige Antwort wurde eingeblendet. Sonja jubelte und grinste frech, als Wayne und Bo ihr jeweils fünf Dollar zusteckten. 

Ich musste einfach mitlachen. Meine Freunde waren die besten.


BlutrubinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt