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Wieder einmal fuhr ich schreiend aus meinem Traum hoch. Aber diesmal war ich nicht nur vom Schweiß komplett durchnässt.

Sonja stand mit einem leeren Eimer vor mir und sah mich erschrocken an.

"Entschuldige, du hast so sehr geschrien und ich hab dich einfach nicht aufwecken können, also ... hab ich..."

Also hat sie mir einen Eimer Wasser ins Gesicht geschüttet...

Ich seufzte.

"Danke. Ich hatte einen ... Albtraum." 

Sonja seufzte ebenfalls und ließ sich neben mich fallen. "Hörst das jemals auf, Cal?"

"Was meinst du?"

"Wir werden im Museum bedroht, Wayne liegt beinahe im Sterben und dir kann ich auch nicht helfen, obwohl ich sehe, dass dich irgendwas bedrückt. Aber du redest nicht mit mir."

Ich zog meine Beine an mich ran und senkte den Kopf. Ich wollte mich einfach nur noch verkriechen. 

"Es tut mir leid. Es ist alles gerade ... keine Ahnung, als ob uns jemand verflucht hätte."

Sonja schluchzte bitter auf. "Ja, sieht wirklich so aus, hm? Komm, machen wir uns fertig, sonst kommen wir noch zu spät zur Uni."

Wir hatten kaum geschlafen und ich konnte mich erst nach einem großen Kaffee ins Bad schleppen. 

Sonja war zwar etwas kleiner und dünner als ich, aber ich borgte ich einfach eine Leggins und das kleinste Shirt, das ich hatte. 

Manchmal war ich schon ein bisschen neidisch auf meine beste Freundin, den ich war immer schon ein bisschen groß für unser Alter gewesen und da war auch dieser Babyspeck...

Genau eine Minute vor Professor Preston stürmten wir in den Hörsaal und ließen uns auf unsere üblichen Plätze fallen.

Preston sah noch erschöpfter aus als wir. Er war so zerstreut, dass er oft sogar vergaß, was er eigentlich gerade sagen wollte.

Bo schüttelte bloß den Kopf. "Der Typ sieht echt fertig aus. Apropos, wie geht's Wayne? Habt ihr ihn wirklich ins Krankenhaus gebracht?"

Sonja nickte und rieb sich müde über die Augen.

"Er hätte sonst nicht mehr lange durchgehalten. Ich wollte nach Vorlesung noch mal zu ihm. Kommst du mit?"

"Klar. Carol?"

Ich biss mir auf die Lippe. 

"Eigentlich gern, aber ich brauch wirklich eine Runde Schlaf."

Sonja war auch alles andere als fit, aber sie schien sich nur Sorgen um die anderen zu machen. Manchmal war sie wirklich zu gut für diese Welt.

Nach der Vorlesung zog Bo mich zur Seite.

"Carol, du siehst wirklich fertig aus. Willst nicht doch über irgendwas reden?"

"Es ist wirklich alles okay. Pass lieber ein bisschen auf Sonja auf, sie überanstrengt sich noch."

Er nickte und verabschiedete sich von mir. Mit Vorfreude auf mein weiches Bett schleppte ich mich zur Bushaltestelle. 

Kaum saß ich im Bus, hatte ich wieder dieses unangenehme Gefühl im Nacken. Als würde mich jemand verfolgen.

Waren sie schon wieder hinter mir her?

Ich sah mich im Bus um, aber die meisten Fahrgäste saßen nur sichtlich gelangweilt da und spielten auf ihren Handys oder lasen Zeitung.

Beruhige dich, Carol!

Als mein Handy klingelte, entwich mir ein kleiner Aufschrei, was mir einen genervten Blick von einem älteren Herrn einbrachte. Ich lächelte entschuldigend und amtete erleichtert auf, als Toms Name auf dem Display aufleuchtet.

„Hey, Cal.", erklang seine fröhliche Stimme, bei dir mir nach diesen Tagen einfach das Herz aufging.

„Hey, Kleiner. Was gibt's?"

„Ich wollte dich nur warnen. Mom und Granny wollen dich morgen zum Dinner im Coles einladen. Und dabei rein zufällig einen jungen Mann aus Moms Büro treffen und miteinladen."

Ich stöhnte und ließ meinen Kopf gegen die Scheibe neben mir fallen. Es war nicht das erste Mal, dass die beiden mich verkuppeln wollten, aber eigentlich lief es immer auf das Gleiche hinaus.

Ich war nicht an den Typen interessiert und sie nicht an mir.

„Danke für die Warnung. Hast du Lust auf unseren Freitags-Film?"

Diese Tradition hatten wir schon eingeführt, da konnte Tom gerade mal laufen. Natürlich hatten wir ihn auch oft ausfallen lassen müssen, wegen Prüfungen und dann war da auch Toms erstes Date vor knapp zwei Jahren gewesen.

Bei dieser Erinnerung musste ich grinsen.

„Klar. Ich bring den Film mit, du kümmerst dich um das Popcorn."

„Abgemacht. Um sieben?"

„Klar, bis später!"

Er legte auf und ließ das Handy in meine Tasche zurückfallen. Zumindest hatte ich noch die Filmabende mit meinem kleinen Bruder.

Dieser klingelte pünktlich um sieben Uhr an meiner Wohnungstür und ich schloss ihn fest in die Arme.

Lachend machte er sich los. „Hey, Cal! Seit wann bist du denn so anhänglich?"

Wenn der wüsste...

„Darf man seinen kleinen Bruder nicht liebhaben?"

Er streckte mir die Zunge raus und ließ sich auf die Couch fallen. Wegen des Films hatten wir zum Glück den gleichen Geschmack. Wir beide liebten Action und diesmal hatte er den ersten Mission Impossible Teil dabei.

Mit frisch gemachtem Popcorn machte ich es mir neben ihm gemütlich und genoss einfach nur den Abend.

Seit dem Überfall war das eines der ersten normalen Dinge und einer der seltenen Momente, die ich noch mit meinem kleinen Bruder hatte.

Aber als ich draußen die bedrohende Dunkelheit sah, breitete sich ein unbehagliches Ziehen in meinem Magen aus.

Ich wusste, was da draußen war und konnte meinen Bruder nicht so in Gefahr bringen konnte.

Ich wählte Moms Nummer, damit sie ihn mit dem Auto abholte, aber niemand ging ran. Granny hatte einen Gehstock und hätte ihm im Notfall auch nicht helfen können, zumal ich ihr das nicht auch noch antun wollte.

„Ich bring dich nach Hause, okay?", erklärte ich, als er sich seine Schuhe anzog und ich griff nach meinem Mantel.

Tom lächelte. „Komm schon, Cal. Ich bin sechzehn, ich kann selbst nach Hause. Sind doch nur zwanzig Minuten."

Ich lächelte zurück, hauptsächlich, um meine Angst um ihn zu verbergen.

„Keine Widerrede!", sagte ich neckend, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie ich meinen kleinen Bruder beschützen sollte.




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