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Als ich das Devilsnight erreichte, bekam ich kaum noch Luft. Die fünf Jungs waren da und hatten denselben erschrockenen Gesichtsausdruck wie ich und Danny, der einen Erste-Hilfe-Koffer durchwühlte.

Als ich mich sah, deutete er auf eine schmale Holztreppe, die in den ersten Stock führte. Ich stürmte nach oben und sah durch nur eine von vier Türen Licht.

In einem kleinen Zimmer mit nur einem Schrank und einem Bett lag er. Er war von so vielen Wunden übersät, dass ich einen Moment dachte, es wäre bereits zu spät.

Enna drehte sich langsam zu mir um.

"Carol, hilf mir mal."

Zitternd ließ ich mich neben sie vor das Bett sinken.

"Was ist mit ihm?", fragte ich heiser, während ich ihr bei diversen Verbänden half.

Lukes Brust hob und senkte sich unregelmäßig und sein Atem klang nach einem leisen Röcheln. Schweißperlen glänzten auf seiner bleichen Haut.

"Er ist in die Bar getaumelt und noch an der Tür zusammengebrochen. Zwei Rippen sind auf jeden Fall gebrochen, er hat keine inneren Blutungen. Aber Blut braucht er auf jeden Fall. Er hat so viel verloren. John muss ihm welches besorgen, sonst hält er nicht mehr lange durch."

Geschockt schlug ich mir die Hand vor den Mund. Er durfte nicht...

"Ich gehe runter und helfe Danny bei der Suche nach Schmerzmitteln. Hin und wieder wacht er auf, dann braucht er Wasser, bis wir das Blut haben. Bleib bitte so lange bei ihm."

Kaum war sie aus der Tür verschwunden, rannten mir Tränen übers Gesicht.

"Bitte nicht.", flüsterte ich immer wieder, als würde es irgendwas bringen.

Ich nahm seine eiskalte Hand in meine und drückte sie fest.

Es kam mir wie eine nie endende Ewigkeit vor, aber irgendwann erwiderte er den Druck leicht und seine Augenlieder zuckten.

"Luke!"

Ich wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, was bei seinen Verletzungen sicher nicht ratsam war. Er öffnete seine Augen immer weiter, bis ich wieder dieses vertraute silberne Funkeln sah.

"Carol." 

Er musterte mich, als würde er nicht glauben, dass ich neben ihm saß.

"Was tust du hier? Hast du nicht gerade ein Date?"

Etwas in mir zerbrach. Wie konnte er nur? 

Ich stand auf und hätte ihn am liebsten geschlagen oder getreten.

"Du bist ein richtiges Arschloch, weißt du das!?", schrie ich und es war mir egal, ob Enna und Danny mich hören konnten. 

Sein verwirrter Gesichtsausdruck zeigte, dass er keine Ahnung hatte, was ich meinte. Das war klar und dennoch schmerzte es wie ein Messerstich.

"Du liegst hier im Sterben und ich dachte ... ich dachte wirklich, dass du es diesmal nicht überlebst. Ich dachte, diesmal bist du zu weit gegangen, weil du einfach keinem Kampf aus dem Weg gehst oder flüchtest, wenn du weißt, dass du verlierst. ICH HATTE ANGST UM DICH! KAPIERST DU DAS!?" 

Meine Stimme wurde von selbst immer lauter.

"Und du hast nichts anderes zu tun, als deine verdammten Sticheleien zu bringen, als deinen Frust an meinem Privatleben auszulassen! Es war ein Fehler, dass ich überhaupt hergekommen bin! Für dich bin ich anscheinend bloß ein Zeitvertreib! Ein Ding, das man einfach in die Ecke werfen kann, wenn man es nicht braucht! Ich hab Leute, die mir wichtig sind, wegen dir angelogen und hintergangen! Ich entferne mich immer weiter von meiner Familie, von meinem alten Leben, aber gut, dass wenigstens du deinen Spaß hast!"

"Soll ich mich entschuldigen?", fragte er irritierend ruhig. "Das würde ich tun, aber was würde es bringen?"

Er verzog das Gesicht, als er sich unter Schmerzen etwas aufsetzte.

"Wir können nicht zusammenarbeiten. Wir geraten immer aneinander, weil jeder sein eigenes Leben hat. Du brauchst jemanden, der dasselbe Ziel wie du hat und dich auf demselben Weg unterstützen kann. Ich hatte seit dem Verschwinden meiner Schwester nichts anderes mehr als den Kampf. Ich hatte nichts zu verlieren und das war gut so. Aber jetzt verliere ich dich und besser auf diese Weise, als durch den Tod."

Ich brauchte einen Moment, um seine Worte zu verarbeiten, eher ich den müde den Kopf senkte.

"Dann ist dir dein Leben gar nichts wert? Die Leute um dich herum? Danny, Enna, John... Die, die als deine Freunde bezeichnest? Es wird dich jemand vermissen, wenn du nicht mehr da bist, Luke. Das muss jeder von uns lernen. Selbst wenn uns an unserem Dasein tatsächlich nichts mehr liegen sollte, können wir nicht einfach durch die Gegend stolzieren uns freiwillig vor jeden Bus werfen. Nicht, wenn es jemanden gibt, dem wir etwas bedeuten. Das wäre egoistisch. Und das bist du nicht. Nicht du, Luke."

"Du redest schon, als wären seit Jahren vertraut. Das ist nicht gut. Du passt nicht in unsere Welt, Carol."

"Und wenn ich aber nicht in die normale Welt passen will!? Vielleicht bist du doch egoistisch. Wir oft muss ich es dir noch sagen!? ES IST MEIN LEBEN!!!"

Ich atmete tief durch und fasste einen Entschluss. Ich ließ meine Hand in meine Tasche gleiten.

"Und ich treffe auch meine Entscheidungen."

Meine Finger umschlossen das Taschenmesser, dass ich inzwischen stets bei mir trug, und ich fuhr mit der Klinge über meinen Unterarm. Rotes Blut sickerte sofort aus der Wunde und Lukes Augen funkelten wie Sterne.

"Was soll der Scheiß, Carol!?", fauchte Luke, aber sein Ton verriet mir, wie sehr er das Blut brauchte und auch wollte.

"Socinem, schon vergessen? Also lass mich dein verdammtes Leben retten und dann sind wir fertig miteinander."

Die letzten Worte fielen mir schwerer als alles zuvor in meinem Leben, aber in diesem Punkt hatte er recht. Wir konnten uns nicht länger sehen. Die Vampire würden dank der Rubine ein neues Ziel haben und Mr Preston würde so oder so wieder auftauchen. 

Wir beiden allein hätten ihn nicht retten können, das wurde mir schon nach dem Überfall auf Mrs Preston bewusst. Falls er überhaupt noch am Leben war.

Luke war viel zu fertig, um zu protestieren. Diesmal schmerzte es sogar ein wenig, als er sich wie ein Verdurstender auf die Wunde stürzte, aber meine Entscheidung bereute ich nicht. Auch wenn sich unsere Wege trennen würden, bereute ich es nicht, ihm das Leben zu retten.

BlutrubinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt