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Sonja hatte mich mehr als nur einmal gefragt, was mit mir los war. Ich hatte immer wieder gelächelt und gesagt, dass alles in Ordnung ist.

Also half sie mir wie versprochen mit der Vorbereitung. Sie steckte meine Haare zu einen lockeren Knoten hoch und verlieh meinen Augenliedern einen dunklen Schatten.

Mit etwas Puder überdeckte sie die feinen Kratzer, die ich im Haus der Prestons abbekommen hatte. Auch bei ihnen musste ich Sonja anlügen, aber es war besser so.

Schließlich betrachteten wir ihr Werk im Spiegel. Sie hatte ganze Arbeit geleistet und lächelte zufrieden. Ich hingegen konnte keine richtige Freude aufbringen.

Ich hatte Luke die Wahrheit gesagt, ich wollte an diesem Abend etwas Normales tun. Aber es machte mich nicht glücklich. Noch nicht.

Vielleicht war George ja ganz nett?

"Du musst mir morgen unbedingt alles erzählen!", sagte Sonja aufregt.

Sie begleitete mich noch bis zum Coles, da ich ohnehin ein paar Minuten zu früh dran war.

"Natürlich.", grinste ich und sie umarmte mich nochmal, bevor ich allein dastand.

Ich war wirklich nervös. Mein letztes Date hatte ich vor etwa einem Jahr mit meinem ersten Freund. Da hatten wir uns auch getrennt.

Ungeduldig trat ich von einem Fuß auf den anderen, als ich plötzlich einen Luftzug hinter mir spürte. Ich dachte schon wieder an die anderen Vampire, aber als mich niemand angriff und ich nur eine gewisse Kälte spürte, ahnte ich, wer hinter mir in der Gasse stand.

"Was willst du hier, Luke?", fragte ich wütend.

Das war wirklich die letzte Situation auf Erden, an der er sich einmischen sollte.

Aber ich bekam keine Antwort. Genervt drehte ich mich um. Er sah mich nur aus seinen silbernen Augen an.

"Warum bist du hier!?", wiederholte ich mich, diesmal lauter.

"Nicht so wichtig." Er drehte sich um und wollte wie schon so oft einfach wieder abhauen.

Diesmal rief ich ihm sicher nichts hinterher. Sollte er doch gehen, wenn er wollte.

"Oh, und Carol!", rief er bereits vom Dach.

Ich wagte einen letzten Blick zu ihm nach oben.

"Du siehst wunderschön aus."

Dann verschwand er.

Ich starrte verdutzt auf das Dach, selbst als er schon lange verschwunden war. Bis ich spürte, wie mir jemand auf die Schulter tippte.

Ein Mann, etwa fünf Jahre älter als ich, lächelte mir freundlich entgegen. So jung wie er war, waren seine grau-silbernen Haare sicher gefärbt, aber es stand ihm gut und passte zu seinen blaugrauen Augen.

Er trug ein schneeweißes Hemd, eine Jeans und ein Jackett, das seine trainierte Figur betonte.

"Carol?", fragte er mit einer tiefen, samtigen Stimme.

"Ja. Freut mich, George."

"Ebenfalls. Wollen wir reingehen?"

Ich nickte und folgte ihm. Er wirkte ganz nett und offen. Ganz anders als ... Luke.

Auch während dem Essen erschien er mir immer mehr aufgeschlossen. Er erzählte von seinen vielen Reisen und den Menschen, die er kennengelernt hatte.

Einen Moment lang wurde ich richtig neidisch. Er war nicht viel älter und hatte schon so viel von der Welt gesehen, während ich nie über die Landesgrenze hinaus gekommen war.

Bei dem Dessert grinste er nur vor sich hin. "Was ist?", fragte ich ebenfalls grinsend.

"Weißt du, Carol ... wenn ich ehrlich bin, wollte ich deiner Mutter einen Gefallen tun. Ich werde nicht gerne verkuppelt. Aber jetzt bereue ich es ganz und gar nicht."

"Mir geht es nicht anders. Ich mag das auch nicht anders. Und jetzt stell dir mal vor, sie will dich jeden Monat mit jemandem zusammenbringen. Aber ich bereue diesen Abend auch nicht."

Und ich meinte es auch so. George war sympathisch und zuvorkommend. Ein wahrer Gentlemen.

Nach dem Essen gingen wir noch ein wenig spazieren und ich hoffte inständig, dass diesmal kein Angriff diesen Moment zerstörte.

Er brachte mich bis zu meinem Wohnhaus. Aber keiner von uns war verlegen. George war wirklich der Traum einer jeden Schwiegermutter, doch richtige Gefühle hatte ich nicht.

Ihm ging es anscheinend genauso.

"Hör mal, Carol. Der Abend war ganz wundervoll. Du bist wirklich ein interessanter und freundlicher Mensch, aber..."

"Aber wir mögen uns nicht auf diese Weise, nicht wahr?", fragte ich leicht lächelnd.

Er lächelte zurück.

"Ich fürchte nein. Ich wäre so gerne mit dir befreundet, aber nächsten Monat ziehe ich wegen des Jobs um. Bis dahin können wir aber gerne nochmal essen gehen."

"Das würde mich freuen."

Wir tauschten Nummern aus und verabschiedeten uns mit einer Umarmung.

Kaum war er weg, überfiel mich die Müdigkeit. Ich wollte nur noch in mein Bett sinken und bis morgen Mittag schlafen, aber das schrille Klingeln meines Handys machte diesen Plan zunichte.

Es war Luke. Wollte er etwa mein Date stören? George war zwar schon gegangen, aber ich drückte ihn trotzdem weg. Ich hatte keine Nerven mehr an diesem Abend.

Doch es klingelte immer wieder. Unaufhörlich, wie ein hämisches Lachen.

Ich hielt es nicht mehr aus, drückte auf Annehmen und schrie "WAS!?" ins Telefon.

"Carol, es ist etwas Schlimmes passiert.", hörte ich Dannys Stimme. Wenn etwas Schlimmes passiert war und er mit Lukes Handy anrief...

"Was ist los?", fragte ich mit ungewollter Panik in der Stimme.

"Er konnte es nicht lassen. Anthony und seine Leute haben ihn angegriffen und wir können ihn auch nicht in ein Krankenhaus bringen. Enna tut für ihn was sie kann, aber..."

Ich hörte ihm kaum mehr zu.

"Ich bin gleich da!", rief ich und rannte zur nächsten Haltestelle.

In den Schuhen laufen war schwierig und ich stolperte mehrmals. Aber ich konnte nicht stehenbleiben. Zum zweiten Mal an diesem Abend musste ich rennen.

Denn selten hatte ich solche Angst um jemanden gehabt.

BlutrubinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt