22

12 0 0
                                    

Der nächste Morgen brachte so viele Überraschungen mit sich, dass ich mit in der Unicafeteria einen doppelten Espresso leisten musste.

Ich hatte Sonja am Abend zuvor angerufen, dass es Wayne wieder gut ging und nun wartete sie ungeduldig in ihrem schönen grünen Kleid und mit Make-up vor dem Eingang. Die Absätze ihre braunen Stiefel klapperten, da sie mit dem Fuß auf und ab tippte und sich immer wieder durch ihre blonden Locken fuhr.

Schließlich fuhr er vor und stieg aus. Er hatte die Kapuze über dem Kopf, lächelte jedoch breit. Aber als er Sonja sah, grinste er wie ein Honigkuchenpferd. Sie rannte lächelnd auf ihn zu und umarmte ihn so stürmisch, dass er selbst bei seiner Größe umgefallen wäre.

Ich war so gerührt von dem Bild, dass ich anfangs gar nicht merkte, wie Bo neben mich trat.

"Was war mit Wayne los?", fragte er plötzlich mit rauer Stimme. "Und erzähl mir nicht, dass er bloß krank war oder du es nicht weißt."

"Hast du deshalb nicht mehr mit mir geredet?", fragte ich leise.

Er seufzte.

"Okay, das war nicht fair von mir. Aber versteh mich doch mal, Carol. Mit Wayne stimmt was nicht und ich bin mir sicher, du weißt was. Vielleicht dasselbe, dass dich schon seit Wochen bedrückt und obwohl wir schon so lange Freunde sind, sagst du mir nichts. Ich wollte euch helfen, wusste aber nicht wie. Dann hat auch noch Sonja auf stumm geschaltet und ich dachte mir: hey, dann mach ich das mal auch."

"Bo, ich will mich wirklich bei dir entschuldigen. Ich kann nicht für die anderen sprechen und kann auch niemanden sonst für meine Fehler verantwortlich machen. Ich bitte dich um Verzeihung. Du bist mir wirklich wichtig, Bo, und ich wollte dich ganz bestimmt nicht verletzen. Nur weiß ich nicht, wie ich mit überhaupt jemandem über meine Probleme reden soll. Das hat nichts mit dir oder Wayne oder Sonja zu tun. Wirklich nicht."

Bo sah mich eine Weile nur an, eher er seufzte.

"Schon gut, Carol. Aber ich sehe meine Freunde einfach nicht gerne leiden. Willst du zumindest versuchen, mit mir zu reden? Vielleicht kann ich dir doch helfen?"

"Das wäre wirklich schön, aber jetzt gibt es wohl gerade Wichtigeres!", rief ich und deutete ungläubig und glücklich zugleich auf Wayne und Sonja, die sich küssten.

"Wurde ja auch Zeit.", brummte Bo grinsend. "Komm, wir gehen schon mal vor. Geben wir den beiden etwas Freiraum."

Im Hörsaal waren wir noch allein und das war der perfekte Moment, um mit Bo zu reden.

Nachdem wir uns an unseren üblichen Platz gesetzt hatten, atmete ich tief durch.

"Okay, was ich dir jetzt erzähle klingt absolut verrückt und ob du mir nun glaubst oder nicht, du darfst mit niemandem darüber reden! Nicht, dass ich Sonja nicht vertraue, aber mit der Sorge um Wayne hat sie für die nächsten Tage glaube ich genug durchgemacht."

Bo nickte ernst und in den zwanzig Minuten, bis Sonja, Wayne und die anderen Studenten kamen erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Von dem Abend beim Supermarkt bis hin zu dem Punkt, an dem wir herausgefunden hatten, was mit Wayne los war.

Die Bar und die persönlichen Stellen ließ ich natürlich aus.

Bo schien nicht überrascht, als er hörte, was unsere Räuber aus der Nacht im Museum waren und wer für die drei grausamen Morde in letzter Zeit verantwortlich war.

Als ich fertig war, schüttelte er leicht den Kopf.

"Vampire. Natürlich! Was sollten diese Nachtwesen sonst sein!"

Ich sah nur auf meine Hände und wartete auf eine weitere Reaktion.

"Bist du sauer auf mich?"

Er seufzte.

"Nein, Cal, natürlich nicht. Ich bin froh, dass es dir nach all dem noch gut geht und ich verstehe, warum du eigentlich nicht darüber reden wolltest. Trotzdem bin ich froh, dass du es mir erzählt hast. Und dieser Luke kann die Rubine zurückholen, bevor noch mehr sterben müssen?"

Inzwischen flüsterten wir nur noch, da der Raum fast ganz gefüllt war. Nur Sonja und Wayne fehlten noch.

"Ich weiß es nicht. Im Moment dreht sich alles, verstehst du? Ich bin nur froh, dass es euch gut geht und das soll auch so bleiben."

Unser Gespräch wurde von unseren Freunden beendet, die händchenhaltend in den Hörsaal traten und sich eine Reihe vor uns setzten.

"Knutscherei vorbei?", fragte ich neckend.

Sonja errötete und Wayne grinste.

Seltsamerweise war Professor Preston zehn Minuten nach Vorlesungsbeginn noch nicht da. Er verspätete sich nie.

Einige wunderten sich, blieben jedoch ruhig. Als er nach einer halben Stunde allerdings immer noch nicht auftauchte und wir uns schon nach ihm umfragen wollten, kam eine andere Professorin mit ernstem Gesichtsausdruck herein.

"Liebe Studenten, es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Professor Andrew Preston wurde von seiner Frau heute Morgen als vermisst gemeldet. Bis wir eine Vertretung gefunden haben, wird es wohl eine Woche dauern und wenn Professor Preston bis dahin nicht auftaucht, werden die Vorlesungen so lange entfallen. Wir bitten um Ihr Verständnis und hoffen, unseren Kollegen bald wieder bei uns zu haben."

Mit schnellen Schritten verließ sie den Saal wieder und ließ etwa zwanzig verdutzte Studenten zurück.

Eine böse Ahnung tat sich bei mir auf und mir wurde schlecht.

Bo ging es nicht anders.

"Hey, Cal. Wenn du sagst, die Vampire haben immer wieder jemanden verschwinden lassen, der zu viel wusste, kann es dann nicht sein, dass..."

Er wollte es nicht aussprechen und das musste er auch nicht.

Die Vampire mussten sich unseren Kunstprofessor geholt haben.

Er wollte doch immer seiner Frau wegen des Rubinraubs helfen. Und wenn er herausgefunden hatte, dass die Diebe Vampire waren? Vielleicht sogar, dass sie die geheimnisvollen Nachtwesen waren?

Preston war nicht dumm. Wenn er von den Vampiren wusste, hätte er nur eins und eins zusammenzählen müssen.

Aber so schlimm die Sache auch war, wenn er den Vampiren aus dem Museum auf die Schliche gekommen war, musste es bei ihm irgendeine Spur zu ihnen geben.

Darin sah ich die Chance, die Rubine zu finden. Und wenn ich unendlich viel Glück hatte, vielleicht sogar den lebenden Professor Preston.

BlutrubinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt