19

15 0 0
                                    

Trotz der absolut verrückten Situation schien es Wayne wirklich besser zu gehen. Als hätte er nach dieser Woche sein neues Leben akzeptiert. Das war wohl einfach er. Wayne war der Typ, der aus allem das Beste machen konnte und das gönnte ich ihm auch.

Ich wartete mit Absicht bis die Sonne untergegangen war, damit ich gemeinsam mit Luke die Wohnung verlassen konnte.

Im Treppenhaus hielt ich ihm am Mantel fest, damit er nicht wieder abhauen konnte.

"Du bist krank. Du brauchst Blut, oder?"

Er sah mich nicht an; sagte nichts.

"Warum vertraust du mir nicht?", stellte ich die Frage, die mir schon seit so langer Zeit auf der Zunge lag.  "Weil ich ein normaler, nutzloser, tollpatschiger Mensch bin, dem du mehrmals unfreiwillig das Leben retten musstest?"

"Carol..."

Ich kam in Rage und ließ ihn nicht zu Wort kommen.

"Weil ich eher einem hilflosen Kind gleiche als einer guten Informantin, die dir bei dem Rubinraub helfen könnte?"

"Carol!"

Ich begann zu zittern und spürte, wie meine Augen feucht wurden und meine Wangen brannten.

"Weil ich weder dir helfen kann, noch meiner Familie, noch meinen Freunden oder sonst irgendwem? Weil ich nur ein verträumtes, kleines Mädchen bin, das hin und wieder Bilder kritzelt?"

"Carol, es reicht!"

Ohne dass ich es bemerkt hatte, hatte er mein Gesicht mit beiden Händen umschlossen und zwang mich, ihn anzusehen.

Seine silbernen Augen strahlten dieselbe Verzweiflung aus, die ich in diesem Moment verspürte.

"Tut mir leid.", murmelte ich.

Ich wollte allein zurechtkommen und letztendlich hatte ich doch nur wieder rumgeheult wie ein Kind.

"Hör endlich auf, dich für alles zu entschuldigen. Es ist meine Schuld.", hörte ich ihn sagen und kurz darauf spürte ich seine Stirn, die er gegen meine lehnte.

"Luke, du brauchst Blut. Gib es bitte zu."

"Nein, du willst mir bloß etwas von deinem abgeben."

"Und was wäre das Schlimme daran?"

Er sah mich bittend an, aber ich konnte nicht nachgeben. Er sah so schlimm aus und ich wollte ihm um jeden Preis helfen.

"Wenn ich dein Blut trinke und die Wirkung wieder nachlässt, kann es sein, dass ich mich an dein Blut gewöhnt habe und wieder..."

"Es ist okay."

Ich war über die Entschlossenheit überrascht, die plötzlich in meiner Stimme lag.

Er schüttelte müde den Kopf.

"Du wärst eine Blutsklavin und das will ... das kann ich dir nicht antun, Carol."

"Kannst du es jemand anderen antun? Ich glaube nämlich nicht. Wie lange hält ein Vampir ohne Blut durch?"

Er schwieg und ich wusste nun, dass ich die Antwort gar nicht hören wollte.

"Luke, an dem Punkt, an dem sich dieses ganze Chaos gelöst hätte... An dem kein Vampir mehr eine Gefahr darstellt und die Menschen gelernt haben, dass nicht jeder eine Bestie ist, nur weil er anders ist... Hätten wir uns ab diesem Zeitpunkt jemals wieder gesehen?"

Ich wusste nicht, woher ich den plötzlichen Mut nahm, diese Frage zu stellen. Aber ich brauchte eine Antwort darauf, mehr als alles auf der Welt.

Er sah mich lange an; schien zu überlegen, was er nun sagen sollte. Schließlich umspielte ein schwaches Lächeln seine Lippen.

"Wie könnte ich die junge Frau, die etwas unbeholfen in mein Leben gestolpert ist, einfach im Stich lassen?"

Mein Herz machte einen Hüpfer nach dem anderen und meine Mundwinkel zogen sich kurz nach oben.

"Dann bitte ich als Freund, lass dir von mir helfen."

Aufforderund hielt ich ihm meinen Arm entgegen.

"Bitte.", flüsterte ich kaum hörbar.

Er nahm meine Hand und strich sanft mit dem Daumen darüber. Ich zwang mich zu einem Lächeln und ignorierte die Tränen, die sich ihren Weg in meine Augen bahnten.

"Weißt du, ich hatte als Kind eigentlich nie Angst vor Spritzen."

Er gab ein gequältes Lächeln zurück und zog mich mit der anderen Hand zu sich, um mir einen Kuss auf die Stirn zu geben. 

"Tut mir leid.", sagte er leise.

Ich wollte ihm schon sagen, dass er sich für nichts zu entschuldigen brauchte, als ich einen, oder genauer gesagt zwei, Stiche spürte. Es fühlte sich tatsächlich an, als würde einem beim Arzt Blut abgenommen werden. Ein kurzes Pieken und dann tat es nicht mehr weh. Wenn ich ehrlich war, konnte ich mich nur auf Lukes weiche Lippen konzentrieren, die wie bei einem Kuss auf meinem Handgelenk lagen. 

Dass ich mein Blut verlor, fühlte ich kaum und ich fand es auch nicht abstoßend, dass Luke es trank. Er war kein ganzer Mensch, sondern ein Vampir und wenn er menschliches Blut zum Überleben brauchte, dann war es eben so. Er bedeutete mir etwas, warum sollte ich ihm also nicht Hilfe geben, wenn er sie brauchte? 

Vielleicht war das etwas, dass wir den Vampiren gegenüber lernen mussten? Akzeptanz. 

Vielleicht würden sie uns dann auch nicht mehr angreifen und sich vor uns verstecken wollen? 

Schließlich ließ Luke meine Hand wieder los und sah mich an. In seinem Blick standen so vielen Gefühle, dass ich sie nicht zu deuten wusste. Bis auf eines.

Ungläubigkeit.

Über meine Entscheidung oder seine wusste ich nicht zu sagen. Aber was ich zu sagen wusste, waren meine folgenden Worte, denn er schwieg.

"Luke, da du jetzt mein Blut getrunken hast und das meiner Meinung nach etwas sehr persönliches ist, könntest du bitte nicht wieder ohne ein Wort verschwinden und erst nach einer Woche wieder auftauchen?"

Er machte das Letzte, von dem ich erwartet hätte, das er es tat. Er grinste mich an.

"Willst du einen Kaffee trinken gehen?"

BlutrubinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt