Obwohl der Kuss so zurückhaltend ist, atmen wir beide schwer, als Harry sich von mir löst. Es sind nur ein paar Zentimeter, die unsere Gesichter voneinander trennen und es ist sein lodernder Blick, der mir den Verstand raubt. Was ist hier gerade geschehen?
Das Klingeln seines Handys wird lauter und räuspernd löst er sich gänzlich und fischt sein Handy aus der Hosentasche. "Sorry", nuschelt er, ehe er das Gespräch annimmt.
"White?", meldet er sich neutral und wendet dann den Blick ab. Das gibt mir die Zeit, mich zu sammeln. Leicht überfordert streifen meine Finger durch meine Haare. Tausend Gedanken und doch irgendwie nichts - das beschreibt gerade ganz gut den Inhalt meines Wattehirns. Wir haben uns geküsst und das ganz anders als sonst. Bisher war immer klar, was darauf folgen würde, aber jetzt?
"Was!? Das ist nicht dein Ernst? Wie konnte das passieren?", Harrys Stimme donnert durch den Stall und alarmiert blicke ich zu ihm. Seine Miene ist wütend. Oh oh. "Meine Güte, ja ich bin gleich da", seufzt er und selbst ein Fremder würde erkennen, wie genervt er gerade ist. Will er mich jetzt hier einfach stehen lassen? Wir wollten doch reden...
Harry beendet das Gespräch und sieht dann entschuldigend zu mir: "Das war Zayn. Ich muss weg." Ich nicke. Was soll ich auch sonst tun? Er wird mit Sicherheit nicht bleiben, wenn ich ihn darum bitte, auch wenn ich mir das eigentlich wünsche. Es macht mich irgendwie sauer, dass er jetzt verschwinden will. Allerdings bin ich nicht sauer auf ihn, sondern auf mich und meine Gedanken. Er ist schließlich ein freier Mensch und kann tun und lassen, was er will. Plötzlich macht Harry einen Schritt auf mich zu. Bevor er etwas sagen kann, wende ich den Blick ab und gehe schnellen Schrittes Richtung Ausgang und verlasse den Stall.
Harry folgt mir nicht und seufzend lehne ich mich mit dem Rücken an die Hauswand und rutsche einen Moment später hinunter, sodass ich auf dem Boden sitze. Was ist das zwischen Harry und mir? Meine ganzen One-Night-Stands oder auch kurzzeitige Affären haben mich nie so durcheinander gebracht. Es wurde einfach gevögelt und danach ist man gegangen. Aber mit Harry ist das anders. Vielleicht interpretiere ich auch einfach zu viel hinein, vielleicht geht es mir auch nur so, weil wir trotz Freundschaft miteinander schlafen. Bisher war das bei meinen Bekanntschaften nämlich nicht der Fall. Allerdings befürchte ich, dass sich doch etwas anderes bei mir eingenistet hat. Gefühle.
Verdammt, das ist alles so verwirrend.
"Hi, zu dir wollte ich." Ich blicke auf und sehe einen grinsenden Liam vor mir stehen. "Hey. Was gibt's denn?", frage ich ihn lächelnd. "Naja, du wolltest doch eine eigene Wohnung haben und nun habe ich eine gefunden. Wir können direkt nach San Francisco fahren und uns das Schmuckstück anschauen. Was hältst du davon?" Achja, meine eigene Wohnung. Das hatte ich schon wieder ganz vergessen.
"Sicher", antworte ich, erhebe mich und klopfe dann den staubigen Sand von meinem Hintern. "Ist da noch Dreck?", frage ich Liam und drehe ihm meinen Rücken zu. "Nein, sieht perfekt aus." Ich erkenne das Schmunzeln seiner Stimmlage und werfe ihm daher einen wissenden Blick über die Schulter, ehe wir zu seinem Wagen laufen und uns auf den Weg machen.
Die Golden Gate Bridge liegt heute in einem dichten Nebelschleier, sodass man kaum etwas erkennen kann. Die Straßen sind brechendvoll und es dauert eine halbe Ewigkeit, bis wir im Stadtteil Nob Hill ankommen und Liam den Wagen auf einem kleinen Privatparkplatz zum Stehen bringt.
Imposante Säulen prangen vor der Fassade des weißen Gebäudes und lassen es unglaublich teuer wirken. Während Liam aus dem Auto aussteigt und zielstrebig auf den Eingang zugeht, bleibe ich stehen und starre mit großen Augen das moderne Gebäude an. Fensterfronten erstrecken sich über alle vier Stockwerke und unweigerlich stelle ich mir die Frage, was eine Wohnung hier wohl kostet.
"Kommst du?", ruft Liam mir von der Eingangstür zu. Hastig setze ich mich in Bewegung und laufe zu ihm. Er hält mir die Tür auf und ich betrete zögernd diesen halben Palast. "Deine Wohnung wäre ganz oben. Der Eigentümer hat mir aber den Code gegeben, dass wir uns in Ruhe alles ansehen können", erklärt er, als er den Knopf des Aufzuges betätigt. "Aufgeregt?", fragt er mich grinsend mit hochgezogenen Augenbrauen. "Ein bisschen."
Im Fahrstuhl selbst gibt er einen Code ein und ich staune nicht schlecht, als sich die Türen wieder öffnen und wir mitten in einer Wohnung stehen. Sie ist nicht riesig, aber hochmodern. Durch die hohen Decken, die weißen Wände und den gepflegten Hartholzboden wirkt der Wohnraum offen und einladend, auch wenn die Möbel allesamt schwarz sind. "Wohnt hier noch jemand?", erkundige ich mich. "Nein. Die Wohnung wird möbliert übergeben."
Verstehend nicke ich und gehe weiter. An der hinteren Wand des Wohnzimmers ziehen sich Regale entlang, die bis an die Decke reichen und mit hunderten von Büchern gefüllt sind. Direkt daneben geht es in den offenen Küchenbereich mit einem großen Esstisch. Darüber hängt ein Kronleuchter, der dem Raum mit seinem sanften Licht Wärme schenkt. Auch das Badezimmer weicht nicht vom Farbschema ab und ist mit schwarzen und weißen Fliesen versehen. Im Schlafzimmer steht auf einer Art Podest ein großes, rundes Bett. Meine Wangen passen sich der rotfarbenen Satinbettwäsche an, als sich sofort unsittliche Bilder mit Harry in meinem Kopf abspielen. Mein Gott, seit wann werde ich denn rot, wenn ich an Sex denke?! Das kenne ich gar nicht von mir.
Schnell wende ich mich ab und folge dann Liam auf die Dachterrasse. Diese ist nicht groß, aber auch nicht zu klein. Kein Nachbar hat Einblick in diesen Bereich und dieser Punkt ist es, der mich überzeugt. Okay gut, bereits der funktionierende Fahrstuhl hat mich überzeugt, denn bis vor einigen Wochen musste ich mich mit einer durchgelegenen Matratze auf dem Fußboden zufriedengeben.
"Wow. Liam, die ist der absolut Wahnsinn", schwärme ich und lasse andächtig meine Finger über das metallene Geländer der Terrasse gleiten. "Sie gefällt dir?", vergewissert er sich. "Ob sie mir gefällt? Ich liebe sie."
"Dann gehört sie dir", sagt er ernst und ich blicke zu ihm. "Wie meinst du das? Muss Harry da nicht erst noch zustimmen? Schließlich ist es sein Geld oder nicht?" Liam runzelt kurz die Stirn und blicke dann in die Ferne. "Das stimmt schon. Harry ist aber ein Einzelgänger und freut sich, wenn er sein Reich wieder für sich alleine hat. Mir fällt daher kein Grund ein, warum er nein sagen sollte... dir etwa?" Er schaut wieder zu mir und zieht erwartungsvoll eine Augenbraue hoch.
Was könnte Harry dagegen haben? Vielleicht, dass wir keinen Sex mehr haben werden und wenn doch, dann eher selten. Allerdings haben wir auch noch nicht geredet. Gibt es eventuell ein Fünkchen Hoffnung, dass er mehr möchte? Mein Herz macht einen Satz bei diesem Gedanken. Meine Güte, kann bitte jemand das Chaos in meinem Kopf ordnen? Das macht mich selbst ganz verrückt.
"Nein...", sage ich langsam, "Aber kann ich mir das vielleicht noch einmal überlegen?" Überrascht sieht Liam mich an: "Ja klar, das ist kein Problem, Louis." Er sagt es so weich und verständnisvoll, dass ich ihn dankbar anlächeln muss.
"Gut, dann wären wir ja hier durch. Was hältst du davon, wenn wir noch zusammen was essen gehen und dann können wir zurück nach Zatago", schlägt er grinsend vor. "Klar, klingt gut. Aber bitte nur zu einem Italiener. Ich habe mal wieder richtig Bock, auf eine geilomeilo Pizza."
"Geilomeilo Pizza?", lacht er und hält mir wieder die Terrassentür auf. "Ja, ganz genau. Geilomeilo Pizza." Beim Übertreten der Türschwelle spüre ich seine Hand auf meinem Rücken, die er auch erst wieder entfernt, als wir den Fahrstuhl betreten.
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Danke, für eure zahlreichen Kommis, Hinweise und Meinungen im letzten Kapitel. Es ist wirklich einiges zusammen gekommen :)Habt ein schönes Restwochenende ;)
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Zatago - [Larry-AU]
FanfictionTeil I Verzweiflung. Laut dem amerikanischen Webster-Wörterbuch ist das der Zustand völliger Hoffnungslosigkeit. Und was macht man, wenn man keine Hoffnung mehr hat? Richtig - Dummheiten. Aber sagt man nicht auch, dass dumme Ideen die besten Ideen s...