Kapitel 68: Stella

2.5K 152 17
                                    

Und mein Lebenssinn ist ein Mädchen... Dieses besondere Mädchen, das mein Leben mehr als nur auf den Kopf stellt... auf die beste Art und Weise, die es gibt...

"Jetzt wo du redest, sollten wir uns mit verschiedenen Abschnitten deiner Krankheiten beschäftigen. Jede deiner Krankheiten ist auf eine bestimmte Weise lebensbedrohlich, aber am wichtigsten ist momentan dein extremes Untergewicht, also deine Magersucht." quatscht mich mein heißgeliebter Psychologe am Montagmorgen voll, obwohl ich die Bürotür noch nicht mal geschlossen hatte.

"Guten Morgen." murmle ich verwirrt, schließe die Tür und setze mich auf den gepolsterten Stuhl. "Dir wird wahrscheinlich eine Sonde angelegt." redet er weiter und mustert mich kritisch, während mir alles aus dem Gesicht fällt.
"Nein."
"Doch."
"Nein!"
"Doch."
"Mit einer beschissenen Sonde wird meine Magersucht auch nicht gelöst, ich leide nur, nehme zu und hungere es danach eh wieder ab! Ist das so schwer zu verstehen?!" fauche ich den Mann an, welcher mich nur verständnisvoll mustert.

"Ich bin zwar dein Psychologe, aber der Arzt entscheidet das. Und wenn er sagt Sonde, dann heißt es Sonde. In dem Fall gibt es keine Rücksicht auf Psyche, die Hauptsache ist, dass du Gewicht bekommst." erklärt er es ruhig, aber mein Blick bleibt verständnislos.
"Ich will doch Essen, da helfen mir eure Drohungen nicht weiter." antworte ich kalt und verschränke meine Arme vor meiner Brust.
Kurz sieht er mich überrascht an, was sich dann aber in ein Lächeln ändert.
"Also können wir dir einen Betreuer mit zum Essen schicken?" "Ja." "Eigentlich hätten wir das schon früher machen sollen..." "Herzlich Willkommen in dieser strukturierten, makellosen Nervenheilanstalt." antworte ich knapp, weswegen der Herr mir gegenüber wieder auflacht.
"Ja, perfekte Arbeit hier." hängt er dran.

Nach ca. 45 Minuten von Fragen, wie ich bessern will und so einem Mist, werde ich mit meinem neuen "Aufpasser" zum Essen geschickt. Mein Tablett ist in 3 geteilt. Oben links liegen frische, geschnittene Apfelstücke, rechts daneben ein Glas Milch und unter beidem ist irgendwas zusammengeklatschtes, was wahrscheinlich Haferbrei dar stellen soll.

"Das sieht aus wie Durchfall." sage ich angeekelt, schiebe mein Tablett weg und mustere die junge Dame, die mir zugeteilt wurde mit kalter Miene.
Sie hat schwarze, kurze Haare. Sie sind an den Seiten abrasiert und der Rest ist nach oben gestylt, was echt gut aussieht. Ihre kristallblauen Augen mustern mich einfühlsam, was ihr eigentlich Kampflesbenartiges auftreten eindeutig in die Schranken weist. Ihr dünnes Gesicht, mit leicht herausstehenden Wangenknochen, lässt sie wiederum ziemlich taff wirken, was ein verdammt schönes Duo ergibt. Eine hübsche Frau... Aber nicht mal halb so schön wie mein Mädchen

"Es schmeckt nicht so wie es aussieht, ich musste mich vorhin auch überwinden." lacht sie warm und schiebt mir das Tablett wieder hin. "Wenn man die Kalorien vorher jemandem sagt, ist es leichter." lächelt sie ruhig und deutet auf das Tablett.
"Ich habe mich nicht über die Kalorien in Durchfall belesen." antworte ich kritisch, weswegen die Frau leicht lacht. "Ich denke du weißt was das sein soll." lacht sie leicht und zeigt auf den "Durchfall".
"Ja okay, wenn es Haferbrei sein soll, dann müssten es so... 70 Kalorien pro 100 Gramm sein. Das ist vielleicht ein halber Apfel, also 35 Kalorien und Milch hat bei 250 Milliliter, je nach Fettgehalt, einen unterschiedlichen Kalorienanteil. Bei eineinhalb Prozent Fettanteil sind es ungefähr 120 Kalorien. Bei dreieinhalb Prozent müssten es 160 Kalorien sein." halte ich meinen kleinen Vortrag und blicke in das kristallblaue Augenpaar.
"Es sind eineinhalb Prozent, sonst alles so ziemlich richtig." nickt sie respektvoll und klatscht kurz in die Hände.

"Es sind 150 Gramm Haferbrei. Ob du was isst, liegt jetzt bei dir. Ich will dich nur an deine zuckersüße Freundin erinnern." lächelt sie wissend und klimpert mit ihren Fingernägeln auf dem Tisch rum.
"Wenn sie niedlich aussehen, sind sie doch immer Monster im Bett, oder?" lächelt sie und mustert mich interessiert.
"Ich weiß noch nicht..." antworte ich mit hochgezogener Augenbraue und starre sie an.

"Ich heiße übrigens Stella." lächelt sie und zeigt auf ihr Namensschild. Komischer Übergang... "Ganz schön brav für dich." antworte ich kalt, nehme mir ein Stück Apfel und beiße ein kleines Stück ab.
"Was soll das heißen?" fragt sie grinsend und stützt sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab.
"Du bist doch zu 100 Prozent Lesbe, nicht die ruhige Art." antworte ich schulterzuckend, doch sie lächelt noch breiter.
"So auffällig?" lacht sie. "Vielleicht erkennt man sowas, wenn man selber so ist..." antworte ich ignorant.

"Soll ich da bleiben?" fragt Stella freundlich, als ich mich auf mein Bett setze. Meine Schultern zucken kurz nach oben.
Bitte geh...
"Dir scheint ein bisschen Gesellschaft nicht zu Schaden." lächelt sie und setzt sich an den Tisch.
Mission gescheitert...

"Warum bist du hier?" fragt sie nach einigen Sekunden Stille.
"Sei froh, dass ich überhaupt mit dir rede. Denn das sind sozusagen ein paar Dollar für mein Zugticket aus dem Ding hier raus. Aber nur deswegen werde ich mich dir jetzt nicht anvertrauen." knurre ich leicht genervt und sehe sie auch demensprechend an.
"Du handelst aus Angst. Du hast gar kein Selbstbewusstsein für solche Antworten." erwidert sie und steht von dem Stuhl auf.
"Woher willst du das wissen?" frage ich immer noch genervt und mustere ihre Bewegungen, wie sie mit kleinen Schritten im Zimmer auf und ab läuft.
"Du beobachtest alles, die kleinsten Bewegungen die Menschen machen." antwortet sie ruhig, sieht mich jedoch dabei komisch an.
Plötzlich läuft sie mit schnellem Schritt auf mich zu und hebt die Hand, weswegen ich instinktiv die Arme zur Abwehr hebe und meine Augen zusammenkneife.
"Du wurdest misshandelt." sagt sie sofort und mustert mich mit einem wissenden Blick.

"Adams. Reiche Eltern. Ein perfektes Familienbild. Was passt da nicht rein? Eine lesbische Tochter. Es entspricht nicht dem Idealbild. Deine Eltern haben dich misshandelt, dein Bruder tat nichts aus Angst. Der Älteste nahm sich das Leben, weil er damit nicht klar kam und ein absoluter Schisser war." zählt sie alles zusammen. Erst war ich geschockt, wie sie es tat. Doch das Ende passt mir nicht ganz.

Langsam fange ich an zu lachen, weshalb sie kritisch zu mir sieht.
"Du hast keine Ahnung." lache ich, verstumme jedoch, stehe auf und überrage sie somit einen halben Kopf.
"Häng dich nicht in ein Leben rein, wovon du keine Ahnung hast. Ich wurde nicht geschlagen, wir wurden gut behandelt. Ich wurde gemobbt in der Schule, nieder gemacht und zusammengeschlagen und fetten Drecksäcken. Jetzt raus aus meinem Zimmer." knurre ich und zeige auf die Tür.
"Ich wusste, dass ich dich breche!" lacht sie triumphierend und geht raus.
Endlich habe ich meine Maske wieder gefunden...

'Du hast deine Maske nicht wieder gefunden, es ist eine Neue... eine ganz andere.'

Schlagartig spüre ich förmlich, wie mein komplettes Gesicht kreidebleich wird und mein Blick in die Leere führt.
Nie hätte ich mich sowas getraut... egal wie man über meine Geliebten redet... das hat mir mein Vater damals abgewöhnt...

Psycho and Cutie /girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt