Kapitel 57

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Ich blickte auf das Krankenhaus, in welchem ich nun seit Wochen ein und aus gegangen bin.
Es war gefühlt mein zweites Zuhause geworden, auch wenn es mehr als ungewollt war.
Ja, es war noch immer schwer, dieses Krankenhaus zu betreten.
Es war noch immer schwer, mitbekommen zu müssen, dass Lynn so gerne wieder sie selbst sein wollte, es aber niemals wieder sein könnte.
Nur langsam machte sie Fortschritte.
Vor zwei Wochen hat sie endlich die Augen wieder geöffnet, vor einer Woche hat sie schließlich angefangen, wieder einigermaßen ihre Finger zu bewegen.
Noch fiel es ihr schwer, den Mund zu bewegen und ich hatte große Bedenken. Jeden Tag lag mir die Frage, ob sie es mir übel nahm, dass ich sie am Leben gehalten hatte.
Das war wahrlich nicht das Leben, das sie führen wollte.
Sie machte aber Fortschritte und daran hielt ich mich fest.
An diesem kleinen Strohhalm hielten wir alle uns fest, da es sonst nichts anderes mehr gab, an dem wir uns hätten festhalten können.
Wir wären mir dem Strom der Trauer und Zweifel mitgezogen worden und das war es nicht, was wir wollten.

Ungeduldig tippte ich auf meinem Lenkrad herum und lauschte noch den letzten Tönen des Liedes, welches lief, bevor ich mir die Kapuze tief in die Stirn zog und ausstieg.
Es war ein sonniger Tag, einer von den Tagen, an denen man nicht in einem Krankenhaus versauern wollte.

,, Hey, Marco!" Ich lächelte, als ich den Raum betrat.
Sarah saß gerade bei Lynn am Bett und erzählte ihr von ihrem Tag.
Ich erwartete nicht viel, als Lynn auf einmal ihren Kopf zu mir drehte und lächelte.
,, Hey!"
,, Lynn! Was! Zur! Hölle!", rief ich laut und hüpfte wie ein kleines Kind herum.
Sarah grinste mich an.
,, Der Wahnsinn oder? Der Arzt, dein Lieblingsarzt, der hat mir vorhin erzählt, dass die hier jetzt mit ihr verschiedene Übungen machen, um all das an Erinnerungen wieder anzuregen, was durch diesen Sturz weit nach hinten in ihrem Gehirn gerutscht ist.
Es scheint wirklich gut zu klappen!" Glückshormone durchströmten meinen Körper während ich mir einen Stuhl an Lynns Bett heranzog.
,, Das ist der Wahnsinn, Lynn!" Sie schmunzelte und brachte ein leichtes Ja heraus.
Bis wir wieder normale Konversationen führen konnte könnte es sicher noch dauern.
Das war aber ein Anfang, ein sehr guter Anfang.

Ich erzählte ihr, wie Jonas im Kindergarten eine Impfung gegen Mädchen erfunden hatte weil man durch Kontakt zu denen ja bekanntlicherweise auch eines werden würde.
Sie zog eine Augenbrauen hoch und flüsterte irgendwas mit Fußball und ich wusste sofort, worum es ging.
,, Ich bin mir sicher, dass du unser Spiel gesehen hast. Es läuft wirklich ganz gut. Zwar nicht gut genug, um den Bayern ihre 25.000 Titel hintereinander wegzuschnappen aber nach letzter Saison ist es bis jetzt eine große Leistung." Sie rümpfte die Nase und machte eine Bewegung mit dem Zeigefinger. Ich lachte.
,, Ich weiß, die Bundesliga wird langweilig. Aber wir haben ja jetzt Jerôme!" Wieder lächelte sie.
,, Toll!"
,, Ich weiß, er ist ja auch sehr oft bei dir. Ich hoffe er petzt nicht."
,, Nutella!" Laut lachten Sarah und ich auf und ich warf entschuldigend die Hände in den Himmel.
,, Was soll ich sagen? Selbst ein Fanatiker von Nutella zu sein und ein Sohn mit der selben Sucht zu besitzen ist nunmal schwer."

Nach einer guten Stunde rief das Training und ich seufzte, als ich das Krankenhaus verließ.
Dieser Alltag war keiner, der mir Spaß machte. Es war jeden Morgen eine Qual, mich aus dem Bett quälen zu müssen. Noch immer.

,, Kapitän, was geht? Hat das Schiff angelegt?", rief Lukasz mir zu und lachte laut über seinen Spruch, der zugegebenermaßen nicht schlecht war.
,, Mein Auto ist nicht so groß!" Er prustete laut los und klopfte auf die Motorhaube, während ich ausstieg.
,, Wie war es im Krankenhaus und wo ist der Rabauke?" Ich lächelte, da er mich an das freudige Ereignis von vorhin erinnerte.
,, Lynn kann jetzt wieder den Kopf drehen und während wir Auswärts gespielt haben hat sie die Sprachtherapie angefangen und es wirkt wahre Wunder! Ganze Sätze sind noch schwer für sie weil sie ja erst einmal ihre Erinnerungen ans Sprechen wieder aufrütteln muss und dazu kommt ja noch, dass ihr Körper von Tag zu Tag schwächer wird und reden somit doppelt so schwer wird." Ich verzog das Gesicht und blickte zu Lu, welcher nicht wusste, was er dazu sagen sollte.
Nichts. Nichts war eine gute Antwort.

,, FÜNF RUNDEN AUSLAUFEN UND DANN KÖNNT IHR SCHLUSS FÜR HEUTE MACHEN!", rief Lucien und ich seufzte erleichtert.
Ich musste Jonas noch aus dem Kindergarten abholen und das war eigentlich wirklich schon fast überfällig.
Schnell lief ich meine fünf Runden und stürmte nur so in Richtung Umkleide, als Schmelle mich aufhielt.
,, Mach' mal halblang!", sagte er lachend.
,, Ich muss Jonas noch abholen, die werden wieder mit mir schimpfen weil ich viel zu spät bin!" Er verdrehte die Augen.
,, Schon vergessen, dass wir dir etwas versprochen haben? Jonas ist bei Jenny, die Beiden sind was Essen weil sie doch nicht so gut kochen kann."
,, Sind was essen bedeutet in dem Fall also McDonald's, ja?" Er grinste und nickte.
,, Lass dir Zeit, sie bringt ihn in zwei Stunden zu dir. Dann ist er bestimmt ordentlich ausgetobt und schläft schneller als du hier rufen kannst."
,, Sagt der Mann, der ja schon Kinder hat..", murmelte ich amüsiert und er schlug mir gegen den Arm.
,, Hey!" Unschuldig warf ich die Arme in die Luft.
,, Ich weiß, ich weiß!"

Als ich vom Trainingsgelände herunterfuhr, hielt ich tatsächlich auch für ein paar wartende Fans an.
Das tat ich sonst in 0,1 Prozent der Fälle und das aus einfachen Gründen.
Ich musste meistens schnell zu Jonas und außerdem war es uns verboten, das zu tun.
Ja, schon klar. Man könnte jetzt behaupten, dass ich mich Jahre lang nicht darum geschert habe, ob ich einen Führerschein besitze oder nicht, obwohl es verboten war, ohne einen zu fahren.
Irgendwann war es aber zu spät, um die Reißleine zu ziehen.
Zudem bin ich erwachsener geworden, habe aus meinen Fehlern gelernt.
Ich habe meiner Familie damals schreckliches damit angetan, das wusste ich. Sie haben mehr darunter gelitten, als ich es getan habe.
Lynn stand lange in der Kritik, da wir zu dem Zeitpunkt, an dem alles herauskam, schon ein Jahr zusammen waren.
Ihr persönlich tat es wirklich nicht gut, all diese Kritik abzubekommen, da sie bereits schwanger war, als all das herauskam.
Verdammt, was hat sie mich zusammengeschissen, als ich sie angerufen habe und ihr alles beichten musste.
Danach hatte ihre Frauenärztin ihr strikte Bettruhe verordnet da sie sich so aufgeregt hatte.

Ja, es war schon wieder vier Jahre her und in diesen vier Jahren ist viel passiert. Viel, das ich gerne rückgängig machen würde aber niemals könnte..

fix you - Ich rette Dich [ Marco Reus ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt